Über Digitalisierung und die Implikationen für die Hochschulbildung wird derzeit viel diskutiert, so auch an unserer Universität. Mein Institutskollege Dieter Euler und unser Prorektor Lukas Gschwend werfen in ihrem Beitrag in der NZZ grundsätzliche Fragen zum Bildungsauftrag von Hochschulen auf. Sie positionieren sich mit dem Titel:
HOCHSCHULBILDUNG: Zwischen Humboldt und Digitalisierung
Die Digitalisierung wird in diesem Beitrag als Anlass genommen, den Innovationsschub der Hochschullehre, der derzeit durch das Aufkommen digitaler Medien geprägt ist, kritisch zu hinterfragen. Ausgangspunkt des Beitrages ist die Frage, ob Hochschulen primär dem Leitziel der „Persönlichkeitsbildung durch Wissenschaft» oder dem Leitziel der «Berufsqualifizierung» folgen sollten. Der Beitrag liefert Diskussionsstoff zu zwei Fragen: 1) Was wollen / sollen wir Studierenden beibringen?
2) Wie soll dies geschehen und welche Rolle sollen digitalen Medien dabei einnehmen?
Inhaltlich geht der Beitrag meiner Kollegen nicht weiter darauf ein, inwieweit die Digitalisierung Folgen für erforderliche Kompetenzprofile hat. Vielmehr wird der Blick auf einen notwendigen ganzheitlichen Blick gelenkt:
„Absolventen sollen im Studium Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen entwickeln, um als unternehmerische Persönlichkeiten gesellschaftlich verantwortlich zu handeln. Durch die Fähigkeit zu integrativem Denken sollen sie in der Lage sein, komplexe praktische wie akademische Probleme strukturiert zu lösen. Ferner sollen sie sich durch ein soziales und kulturelles Orientierungsvermögen auszeichnen.“
Hervorgehoben wird, dass das Zusammenwirken von Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen, also „Knowing“, „Doing“ und „Being“ zentral ist.
Der Einsatz digitaler Medien in der Lehre ist den Kollegen Euler und Gschwend zufolge ein Mittel zum Zweck. Digitale Medien sollen die mittel- und langfristigen strategischen Perspektiven einer universitären Fach- und Persönlichkeitsbildung unterstützen.
„Nur so lässt sich sicherstellen, dass der Anspruch der Gesellschaft und die Anforderungen des (akademischen) Arbeitsmarkts dauerhaft vereinigt werden können.“
Die Auswirkungen einer Googlesierung unserer Gesellschaft sind jedoch tiefgreifender als wir häufig meinen. Aktuelle Studien, die meine Kollegin Katarina Stanoevska vom mcm-Institut der HSG und ich gemeinsam an Gymnasien durchführen, zeigen: es hat sich eine regelrechte „Big Data Ideologie“ eingeschlichen. vermeintlich „neue“ Wissenstypen („Wissen, wo? „Wissen, wozu“, „Wissen, was ist gut genug?“) verdrängen vermeintlich „alte Wissenstypen“ (Wissen, warum?“ „Wissen, was?“, „Wissen, wie?“). Die 16-Jährigen Jugendlichen sind im Schnitt bereits seit 8 Jahren im Internet. Sie überschätzen ihre Informationskompetenzen. Die Schere zwischen Selbsteinschätzung und tatsächlichem Können geht sogar mit der Zeit noch weiter auseinander – das heisst, je länger sie im Internet sind, desto grösser werden die Defizite im Hinblick auf ihre Informationskompetenzen. Ja, man kann so weit gehen zu sagen, dass diese Schüler (unsere künftigen Studierenden) ihre bisherigen Informationsstrategien zugunsten von neuen Strategien besser wieder „verlernen“ sollten – wofür sie selbst aber keine Notwendigkeit sehen (sie hören ja immer wieder, sie seien die Digital Natives, die den Umgang mit digitalen Medien im Blut hätten).
Ja, wir brauchen das Zusammenwirken von Knowing, Doing und Being. Aber das Knowing muss sich grundlegend ändern: eine ausbalancierte Wissensökologie, der Erwerb von Wissen sollte verknüpft werden mit dem eigenen Erkenntisgewinnungsprozess. Wenn wir uns weitere Entwicklungen im Bereich cognitive computing ansehen, dann stellen sich darüber hinaus auch neue Fragen an unser „Being“: wie müssen wir den Umgang mit sog. emotionalen Systemen (Robotern) lernen, die unsere Emotionen erkennen können und darauf reagieren: Wie werden wir mit diesem Neuen umgehen? Was macht das mit uns?
Den Ausgangspunkt des Beitrages, eine Gegenüberstellung von humboldtschem Bildungsideal einerseits und Digitalisierung andererseits kann ich persönlich nicht teilen. Das Internet ist kein Bildungsautomat, sondern, ohne epistomologisches Fundament des Nutzers, eine „Halbwissensmaschine“, wie es etwa Sascha Lobo formulierte. Die technologischen Entwicklungen stellen die Menschheit vor eine grosse Herausforderung. „Es geht darum, unser Denken auf ein höheres Niveau zu heben“ (Karin Vey). Und wie es in einem Kommentar zum Beitrag auf den Seiten der NZZ selbst nachzulesen ist:
„Wissenschaftler gucken hinter die Erscheinungen, wollen wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wie Goethe seinen Faust sagen lässt; deshalb gibt es eine sich gegenseitig bedingende dialektische Einheit und keinen kontradiktorischen Widerspruch zwischen dem Humboldtschen Bildungsideal und der technischen Zivilisation.“
„Mit Humboldt ins digitale Zeitalter – warum nicht?“ – so schloss der Präsident der Studentenschaft der Universität St.Gallen seine Festrede am Dies Academicus.
[…] Seufert macht sich im scil-blog unter dem Titel „HOCHSCHULBILDUNG: Humboldt digital?“ Gedanken über den Bildungsauftrag von Mittel- und Hochschulen (via Theo Byland auf […]