Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen zwei Fragenkomplexe: 1) Welche Art von Stärkung / Befähigung brauchen unsere Zielgruppen (Schülerinnen & Schüler, Studierende, Berufslernende, Beschäftigte), um erfolgreich mit GenKI-Werkzeugen arbeiten zu können? 2) Wie können wir diese Stärkung / Befähigung umsetzen?
Hohe Entwicklungsdynamik im Bereich von GenKI-Werkzeugen
Die Veröffentlichung von ChatGPT (30.11.2022) liegt fast zwei Jahre zurück. Die anfängliche Verunsicherung (insbesondere an Bildungsinstitutionen wie Schulen / Hochschulen) hat sich vielerorts gelegt. Wir verstehen inzwischen besser, wie Werkzeuge wie ChatGPT & Co funktionieren und auch wofür sie eingesetzt werden können (mehr dazu u.a. hier).
Weniger klar ist, welche Kompetenzen bzw. Skills wir brauchen, um erfolgreich mit diesen Werkzeugen arbeiten bzw. lernen zu können. Zu klären ist auch, wie diese Kompetenzen bzw. Skills zielführend entwickelt werden können. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die hohe Entwicklungsdynamik im Bereich der generativen KI und darauf basierender Werkzeuge. Immer wieder werden neue, leistungsfähigere Sprachmodelle bzw. GPTs veröffentlicht – so beispielsweise kürzlich GPT-o1 von OpenAI. In der Folge verändert sich auch die Art und Weise, wie wir mit diesen Werkzeugen interagieren und arbeiten – und welche Kompetenzen / Skills es dazu braucht (vgl. dazu Ethan Mollick in diesem Post).
Diese beiden Fragenkomplexe:
1) Welche Kompetenzen / Skills braucht es?
2) Wie können diese entwickelt werden?
standen dementsprechend im Mittelpunkt des 11. SCIL Trend- & Community Day am 20.09.2024 in St.Gallen. Wir hatten zum einen externe Gäste eingeladen, uns zu ihren Projekten und Erfahrungen zu berichten. Zum anderen haben uns aber auch die Doktorand:innen an unserem Institut eingeladen, die uns zu ihren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in diesem Feld ins Bild gesetzt haben.
Kompetenzen für Arbeits- & Lernwelten mit (Gen)KI
In seinem orientierenden Einstiegsbeitrag hat Volker Rohr aufgezeigt, dass es zahlreiche unterschiedliche Modelle und Rahmen für die Systematisierung von KI-Kompetenzen gibt: AICOMP, DigCompEdu, UNESCO-Framework, und viele weitere.
Diese Modelle beschreiben bzw. systematisieren Kompetenzen und Skills für den Umgang mit KI allgemein, aber nicht explizit für den Umgang mit generativer KI. Darüber hinaus sind diese Modellierungsansätze häufig sehr umfangreich, womit sich die Frage nach der Praktikabilität stellt. In Anlehnung an das Modell von Kong et al. (2024) hat Volker Rohr daher einen Rahmen mit vier Kompetenzfacetten aufgezogen, die für das Lernen und Arbeiten mit GenKI wichtig sind:
- Haltungen & Einstellungen (z.B. Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit GenKI und den zu erwartenden Veränderungen von (Berufs-)Arbeit);
- Kognitive Aspekte (Wissen zu / Verständnis von Werkzeugen, Nutzungsmöglichkeiten, etc.);
- Metakognitive Aspekte (Selbst-Wahrnehmung in der Zusammenarbeit mit bzw. bei der Steuerung von GenKI-Werkzeugen);
- Verhalten / Umsetzung (z.B. Berücksichtigen von ethischen Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit diesen Werkzeugen).
Diese Systematik diente uns dann als ein Orientierungs- und Bezugsrahmen für die weiteren Beiträge des Tages.
Standortbestimmung zu GenKI-Skills: Optionen & Beispiele
Sobald geklärt ist, welche Kompetenzen und Skills im Hinblick auf generative KI gefördert und entwickelt werden sollen, könnte die Frage nach dem “Wie?” angegangen werden. Allerdings ist es in der Regel sinnvoll, zunächst zu klären, wo denn die Zielgruppen aktuell stehen.
Für eine solche Standortbestimmung bzw. ein solches Assessment gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: formativ oder summativ; hoher oder niedriger Anspruch an Gültigkeit und Genauigkeit; etc.. In meinem anschliessenden Beitrag habe ich zunächst einen einfachen Möglichkeitsraum aufgezogen und dann zwei Beispiele vorgestellt. Zum einen die stärker auf Objektivierung ausgerichteten Skills-Verifications von Workera. Zum anderen unseren SCIL GenAI Skills Check Vs03. Dieser ist stärker auf eine Sensibilisierung für das Entwicklungsthema und auf eine Aktivierung für die weitere Beschäftigung damit ausgerichtet.
Diesen Skills Check haben wir dann mit allen Teilnehmenden erprobt. Dabei zeigte sich, dass die Wahl des Werkzeugs und des Modus einen Unterschied macht. So war es beispielsweise mit einem kostenfreien Benutzerkonto bei OpenAI nicht möglich, den umfangreichen Check vollständig durchzuführen. Mit einem Pro-Account dagegen funktionierte die Standortbestimmung gut. Ein Teilnehmer verwendete GPT im Voice-Modus und berichtete sehr positiv von der Nutzererfahrung.
Dieses Beispiel zeigt, dass mit Werkzeugen wie ChatGPT & Co durchaus umfangreiche, in Teilen vorstrukturierte Dialoge geführt werden können. Hier eröffnet sich ein grosses Potenzial für Bildung und Personalentwicklung in Form von Tutoring, Coaching und Rollenspielen bzw. Simulationen.
Förderung von GenKI-Kompetenzen bei SBB: Praxisbericht
Mit dem nächsten Beitrag waren wir dann beim Fragenkomplex “Wie können Kompetenzen und Skills zu GenKI entwickelt werden?” Deborah Imboden leitet entsprechende Projekte dazu bei der SBB und berichtete zum Vorgehen dort.
Sie positionierte die Entwicklungsaktivitäten zu GenKI bei der SBB zunächst im grösseren Handlungsfeld “Veränderung der Arbeitswelt meistern” und zeigte dann das Vorgehensmodell auf: Berufsanalysen als Grundlage für darauf basierende Massnahmen zur Vorbereitung der Mitarbeitenden auf das Arbeiten mit generativer KI.
Die Unterstützungsangebote zum Thema KI / GenKI bei SBB beinhalten eine Grundlagen-Einheit (online) mit vier Modulen, eine Prompt-Bibliothek, Vorträge, Workshops mit Stationenarbeiten, Netzwerk-Anlässe sowie darüber hinaus gehende weitere, auch externe Angebote.
Insgesamt liegt der Fokus der Unterstützung und Befähigung bei SBB bisher auf der Dimension Wissen / Fertigkeiten. Haltungen und Einstellungen zur Arbeit mit GenKI werden ebenfalls adressiert. In Zukunft sollen aber auch die weiteren Dimensionen (Metakognition und Verhalten) systematischer behandelt werden.
Aktuelle F&E-Arbeiten zu GenKI-Kompetenz am IBB-HSG
Nach der Mittagspause leitete Sabine Seufert den F&E-Marktplatz zu GenKI ein und setzte die Arbeiten am Institut in einen grösseren Rahmen.
Diesen Rahmen gliederte sie in drei Ebenen:
- Strategische Einschätzungen bzw. langfristige Positionen (beispielsweise Future Work Self oder die Sicht auf KI-Roboter als Konkurrenten oder Partner);
- Domänen-spezifische Kompetenzen (beispielsweise Critical Thinking Skills im Umgang mit GenKI oder Schreibkompetenzen);
- Transversale Kompetenzen (beispielsweise AI-Empowerment oder Growth Mindset).
An den insgesamt vier Marktplatz-Ständen stellten dann Mandana York, Kira Rohwer, Lukas Spirgi und Stefan Sonderegger ihre aktuellen Forschungs- bzw. Entwicklungsprojekte vor. Zentrale Punkte waren die folgenden:
- Grundlegende Haltungen bzw. Persönlichkeitsmerkmale wie etwa “Growth Mindset” haben einen Einfluss auf die Wahrnehmung von GenKI-Assistenzsystemen und die Bereitschaft, mit diesen kooperativ zusammen zu arbeiten.
- Die in einem Experimental-Setting demonstrierten “critical thinking skills” werden von der Arbeitsumgebung (mit / ohne Nutzung von GenKI-Assistenten) beeinflusst.
- KI-basierte Systeme können genutzt werden, um spezifische Kompetenzen wie z.B. wissenschaftliches Schreiben zu fördern. Dafür braucht es spezifisch gestaltete Lerndesigns.
- Es werden auch spezifische Unterstützungsangebote benötigt, um Bildungsverantwortlichen / Lehrpersonen aufzuzeigen, wie GenKI Lehr- und Lernprozesse unterstützen kann. Darüber hinaus braucht es geeignete Lern- und Testumgebungen.
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Mandana York: Future Work Self und AI Empowerment.
Ready für KI aus psychologischer Perspektive?
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Kira Rohwer: Critical Thinking Skills im Umgang mit GenAI:ChatGPT.
Studie zum kritischen Denken in der Hochschulbildung.
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Lukas Spirgi: Entwicklung vom Schreibkompetenzen mit generativer KI
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Stefan Sonderegger: Education Copilot – Sandbox für KI-basierte Lerndesigns
Mandana York, M.Sc.
Kira Rohwer, M.Sc. M.A.
Lukas Spirgi, M.A.
Dr. Stefan Sonderegger
Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien, Universität St.Gallen
Förderung von GenKI-Kompetenzen an der Universität Lüneburg
Mit dem Beitrag von Dana-Kristin Mah, Junior-Professur für Digitales Lehren und Lernen an der Leuphana-Universität Lüneburg, blieben wir im Anschluss noch im Kontext Hochschulbildung.
An der Universität Lüneburg wird Bildung zu KI bzw. die Förderung von (Gen)KI-Kompetenzen in vielfältiger Weise vorangetrieben. So beinhaltet das Leuphana Studienmodell Angebote im Bereich “Data Literacy” für Studierende im ersten Semester und diese werden um das Thema “AI Literacy” erweitert. Die Studierenden können über verschiedene Services, die im Verbund mit anderen Hochschulen betrieben werden, auf eine ganze Reihe von verschiedenen GenKI-Tools zugreifen. Das Thema GenKI wird im Rahmen von verschiedenen Veranstaltungen und Workshops aufgegriffen (Tag der Lehre, Schreiblabor, Medien- & Informationszentrum). Und auch in der Breite der Lehre ist generative KI ein Thema, wie Dana-Kristin Mah am Beispiel der Fakultät Bildung aufzeigte. Dabei kommen zwei Perspektiven zum Tragen: (Gen)KI als Lerngegenstand sowie auch (Gen)KI als Werkzeuge.
Empowerment für M365 Copilot
Mit dem Beitrag von Joachim Haydecker ging es zurück in den betrieblichen Kontext. Dort sind aktuell zahlreiche Unternehmen und Organisationen dabei, Microsoft 365 Copilot für Office Anwendungen wie Word, PowerPoint, Excel, Outlook, Teams, etc. zu evaluieren.
Auch ENBW hat einen mehrmonatigen Evaluationsprozess durchgeführt. In dessen Verlauf hat sich gezeigt, dass es eine Unterstützung / Befähigung der Anwender:innen braucht, um die M365 Copiloten sinnvoll nutzen zu können. Bei ENWB wurde daher der Evaluationsprozess mit einem systematischen Vorgehen zur Unterstützung / Befähigung der Nutzer:innen verwoben. Das gewählte Vorgehen entsprach einer vereinfachten und gekürzten Version von Peer-Learning bzw. Lernzirkeln gemäss lernOS. In einem systematisch gestalteten, mehrwöchigen Programm haben jeweils 4-5 Teilnehmende in einer Lerngruppe systematisch Übungen zur Nutzung von M365 Copilot bearbeitet. Joachim Haydecker zufolge hat sich dieses Vorgehen gut bewährt.
Förderung von GenKI-Kompetenzen mit Promptathons
Den letzten fachlichen Beitrag des Tages steuerte Gerd Stumm von SAP bei. Startpunkt für seinen Beitrag war die Feststellung, dass GenKI anders ist als Software, die wir bisher kannten. Und dass deshalb das Nutzen und Ausprobieren unverzichtbar ist, um Lösungen wie ChatGPT & Co effektiv nutzen zu können.
Eine sehr praxisorientierte Lernerfahrung zu GenKI ist das Format Promptathon. Ein Promptathon ist eine etwa zweistündige Grossgruppenveranstaltung, bei der 20-150 Teilnehmende mit verschiedenen Problemstellungen konfrontiert werden, die sie in Kleingruppen (3-4 Personen) bearbeiten. Dabei arbeiten die Kleingruppen selbstorganisiert an Prompts, mit denen die von ihnen ausgewählte Problemstellung möglichst gut bewältigt werden kann. Mehr zum Format Promptathon bei CLC (2024).
Als zentrale Ressource für die Vorbereitung und Durchführung eines Promptathons haben sich grosse digitale Whiteboards erwiesen. Auf diesen sind nicht nur die Aufträge / Challenges dokumentiert. Dort finden auch die zahlreichen Kleingruppen Raum, um ihre Arbeit und Lösungen zu dokumentieren. Und im Nachgang ermöglichen diese digitalen Whiteboards allen Teilnehmenden einen Zugang zu allen Problemstellungen und Lösungen, die im Verlauf der Veranstaltung erarbeitet wurden.
Fazit
Generative KI ist in unseren Arbeits- und Lernwelten angekommen – jedenfalls an vielen Orten. Damit stellen sich nächste Fragen: (1) Welche Kompetenzen / Skills brauchen wir dafür? (2) Wie können diese Kompetenzen / Skills gefördert bzw. entwickelt werden?
Die bisher vorliegenden Kompetenzmodelle und Kompetenzrahmen sind eher allgemein mit Blick auf KI formuliert und berücksichtigen die Besonderheiten von generativer KI noch nicht. Beispielsweise die verschiedenen Ausprägungen des Ineinandergreifens von Mensch und Maschine bei der Bearbeitung von Aufgaben (hybride Intelligenz oder Co-Creativity). Hier gibt es also noch weiteren Klärungsbedarf.
Wenn neue Anforderungen zutage treten, ist die erste Reaktion häufig “Wir brauchen einen Kurs dafür” (Schuchmann / Seufert 2013). Die Möglichkeiten für das Befähigen von Zielgruppen für die Arbeit mit GenKI-Anwendungen wie ChatGPT & Co gehen aber weit darüber hinaus. Die Beiträge zum Tag haben gezeigt, wie ein breiteres Angebotsportfolio sowohl im Kontext der betrieblichen Bildung als auch im Kontext der Hochschulbildung umgesetzt werden kann. Und sie haben gezeigt, dass insbesondere handlungsorientierten Formaten wie etwa Peer- bzw. Circle Learning oder Promptathons grosse Bedeutung zukommt.
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Kong, S.‑C., Cheung, M.‑Y. W., & Tsang, O. (2024). Developing an artificial intelligence literacy framework: Evaluation of a literacy course for senior secondary students using a project-based learning approach. Computers and Education: Artificial Intelligence, 6 (1-11).
CLC (Robes / Kirchner) (2024): Leitfaden zur Durchführung eines Promptathons.
Schuchmann, D., & Seufert, S. (2013). Neuorientierung betrieblicher Weiterbildung – Wege aus der “Kürsli-Denke”? In S. Seufert & C. Metzger (Eds.), Kompetenzentwicklung in unterschiedlichen Lernkulturen: Festschrift für Dieter Euler zum 60. Geburtstag (pp. 421–442). Paderborn: Eusl.
Save the date: 12. Trend- & Community Day am 19.09.2025
Der 12. SCIL Trend- & Community Day findet am 19. September 2025 statt. Das Rahmenthema haben wir noch nicht definiert – wir werden dazu informieren.
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