Die bisherige Diskussion um die Nutzung von ChatGPT & Co im Bereich Bildung / Entwicklung fokussiert zu stark auf die Produktion von Lernmedien. Das Potenzial für qualitative Weiterentwicklungen – insbesondere im Hinblick auf selbstorganisierte Lernaktivitäten – ist zu wenig im Blick.
Dieser Blogpost umfasst zwei Teile. In diesem ersten Teil geht es um den SCIL GenAI Skills Check als Beispiel für einen Chatbot, der einen umfangreichen, strukturierten, zielorientierten und personalisierten Dialogen im Bereich Lernen und Entwicklung ermöglicht. Im zweiten Teil geht es um die weiteren Konsequenzen für Bildung und Entwicklung.
– – –
Einsatzmöglichkeiten für ChatGPT & Co in Bildung & Entwicklung
Die Einsatzmöglichkeiten für ChatGPT & Co im Aufgabenfeld Bildung und Entwicklung sind vielfältig. Legt man den ADDIE-Prozess als stark vereinfachte und weithin bekannte Fassung eines allgemeinen Leistungsprozesses zugrunde, ergibt sich folgender Orientierungsrahmen:
In der aktuellen Diskussion um ChatGPT&Co steht – zumindest im Kontext der betrieblichen Aus- und Weiterbildung – das Potenzial zur Vereinfachung und Beschleunigung bei der Entwicklung von Lernmaterialien im Vordergrund. Seltener wird darauf verwiesen, dass ChatGPT&Co auch bei anderen Aufgaben sinnvoll unterstützen kann – etwa der Entwicklung von Design-Ideen oder der Analyse von Daten zu Bedarfssituationen (z.B. Philippa Hardman in diesem Blogpost). Kaum im Blick ist bisher das Nutzenpotenzial im Hinblick auf Qualitätsverbesserungen, und zwar insbesondere bei der Umsetzung von eigenverantwortetem und selbstorganisiertem Lernen.
Selbstorganisiertes Lernen mit Inhalte-Bibliotheken
In vielen Unternehmen und Organisationen werden den Beschäftigten umfangreiche Inhalte-Bibliotheken verfügbar gemacht, aus denen sie eigenständig Lerninhalte auswählen und bedarfsorientiert bearbeiten können. Ein Beispiel hierfür ist etwa die unternehmensweite Einführung von Linkedin Learning bei Infineon (Spirgi & Tronsberg 2022).
In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Veränderung einer Lernkultur und die Bewegung zu mehr eigenverantwortetem und selbstorganisiertem Lernen nicht leicht zu bewerkstelligen ist. Das Bereitstellen von technischen Umgebungen allein führt in der Regel noch nicht zum Erfolg. Denn eigenverantwortliches und selbstreguliertes Lernen ist anspruchsvoll. Eben weil die Lernenden keine Lehrpersonen, Trainer:innen oder Lernbegleiter:innen an ihrer Seite haben, die sie in diesem Prozess unterstützen. Dies zeigt sich etwa wenn es darum geht, eigene Lern- und Entwicklungsziele zu formulieren, sich im Verlauf des Lernprozesses zu steuern oder den Transfer in die Arbeitssituation zu leisten.
Hier kommt generative KI ins Spiel – und zwar in Form von spezifisch konfigurierten CustomGPTs. CustomGPTs können eigenverantwortetes und selbstorganisiertes Lernen umfangreich unterstützen – von der Klärung der eigenen Lern- und Entwicklungsziele bis hin zum Umsetzungscoaching. Im Teil 2 dieser Blogpost-Sequenz werden wird dies weiter erläutern. In diesem Post steht ein bestimmter CustomGPT im Mittelpunkt, nämlich ein virtueller Assistent für eine persönliche Standortbestimmung zu Fähigkeiten und Fertigkeiten.
SCIL GenAI Skills Check
Der SCIL GenAI Skills Check ermöglicht Dialoge, über die eine erste Orientierung zu den eigenen Kompetenzen und Skills sowie erste Ideen für Entwicklungsaktivitäten formuliert werden können. Dabei ist dieser Skills Check sehr spezifisch ausgerichtet, und zwar auf Skills für das Arbeiten mit GenKI-Werkzeugen (ChatGPT & Co). Grundsätzlich kann ein solcher Skills Check aber auch für beliebige andere Fähigkeiten und Fertigkeiten angepasst werden.
Der SCIL GenAI Skills Check ist so konfiguriert, dass er einen ausführlichen und vorstrukturierten Dialog mit den Benutzer:innen über verschiedene Schritte ermöglicht:
- Orientierung zum Thema und zum Ziel des Dialogs
- Check bzw. Standortbestimmung zu den fokussierten Skills
- Feedback & Einschätzung der Ausprägung der Skills
- Reflexion des aktuellen Stands
- Ideen für einen Entwicklungsplan
- Zusammenfassung
Die Entwicklung des SCIL GenAI Skills Check erfolgte zunächst im Rahmen der Arbeiten der SCIL Entwicklungspartnerschaft 2023/24 (Meier 2024). Der SCIL GenAI Skills Check liegt aktuell in Version 0.3 vor. Der Skills Check wurde als CustomGPT auf der Plattform chatgpt.com angelegt. Der Check ist über die folgende URL verfügbar: https://chatgpt.com/g/g-EE65tm1E6-scil-genai-skills-check-03. Der Check ist noch nicht perfekt. Aber er zeigt, welche Möglichkeiten sich hier für Bildungsverantwortliche eröffnen.
Vergleichstests und Eindrücke
Die aktuell verfügbare Version 0.3 haben wir in den letzten Wochen zum Gegenstand von verschiedenen Vergleichstests gemacht. Für diese Tests haben wir die folgenden Umgebungen genutzt:
- OpenAI
- GPT 3.5, Englisch und Deutsch
- GPT-4o, Englisch und Deutsch
- Anthropic
- Claude Opus 3, Englisch und Deutsch
- Claude Sonnet 3.5, Englisch und Deutsch
- Google
- Gemini – 1.5 Flash, Englisch und Deutsch
- Gemini Advanced, Englisch und Deutsch
- Microsoft
- Microsoft Copilot (copilot.microsoft.com), Englisch und Deutsch
Der SCIL GenAI Skills Check zielt nicht auf eine objektive, summative Feststellung von Kompetenzen oder Skills ab. Vielmehr ist dieser Chatbot darauf ausgerichtet, eine erste Standortbestimmung zu ermöglichen, für das Thema zu sensibilisieren und die Nutzer:innen zu motivieren, das Kompetenzfeld «Arbeiten mit GenKI» weiter zu verfolgen. Aus diesem Grund stand für uns bei den Tests und Vergleichen die Dialoggestaltung im Vordergrund.
Folgende Punkte haben wir betrachtet:
- Dialogeröffnung
- Fragen und Antworten
- Orientierung an der Instruktion (Schritte und Themen)
- Übergang vom Check zur Bewertung
- Ausprägung der Bewertung
- Entwicklungsplan
- Interaktionsstil
Die ausführlichen Test-Protokolle und Ergebnisse sind im SCIL Arbeitsbericht 32 nachzulesen. Hier eine Übersicht zu den wichtigsten Punkten:
Können CustomGPTs selbstorganisierte Lernaktivitäten sinnvoll unterstützen?
Entwicklung und Erprobung des CustomGPT «SCIL GenAI Skills Check» zeigen, dass die leistungsfähigsten aktuell im Markt verfügbaren Chatbots ein grosses Potenzial für die Unterstützung von umfangreichen, strukturierten, zielorientierten und personalisierten Dialogen im Bereich Lernen und Entwicklung bieten. Und sie zeigen auch, dass die Nutzer:innnen einen solchen Dialog als gewinnbringend erleben können.
Welche Perspektiven und Handlungsfelder ergeben sich daraus für Bildung und Personalentwicklung? Dieser Frage gehen wir im zweiten Teil dieses Blogposts nach.
– – –
SCIL Webinar Reihe: Selbstorganisiertes Lernen mit CustomGPTs unterstützen
In einer Reihe von fünf aufeinander aufbauenden Webinaren werden wir das Thema “Selbstorganisiertes Lernen mit CustomGPTs unterstützen” vertiefen. Dies sind die Themen:
- Selbstorganisiertes Lernen (SOL): Einordnung, Formate, Stand, Erfordernisse.
- Generative KI für Bildung / Personalentwicklung: Einsatzszenarien.
- Unterstützung von SOL mit CustomGPTs:
- SCIL Tutor: Erkundung und Vertiefung von selbst gewählten Themen;
- SCIL Study-Buddy: Festigen durch Lehren bzw. Erklären;
- SCIL Transfer-Coach: Umsetzung von Gelerntem im Arbeitsfeld.
- Aktionsplan zur Förderung von SOL mit ChatGPT & Co.
Start ist am 05. Februar 2025. Mehr Informationen und Anmeldung hier.
– – –
Meier, C. (2024): Abschluss SCIL Entwicklungspartnerschaft 2023 / 24. Blogpost, 12. Juli 2024. scil.ch/blog.
Meier, C., & Mann, J. M. (2024). Selbstorganisiertes Lernen mit CustomGPTs fördern: Das Beispiel SCIL GenAI Skills Check. St. Gallen. Universität St.Gallen: Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien.
Sven Hallwirth says
Hallo,
ich nutze seit August 2023 LinkedIn Learning und Co in Kombination mit ChatGPT und inzwischen auch einer Reihe von CustomGPTs. Ich habe damit bereits einige hundert Kurse bearbeitet, an CustomGPTs experimentiert, analysiert und unterschiedliche Ergebnistypen umgesetzt.
Der große Vorteil in der Kombination von LLM mit Wissensdomänen ist, dass ich individuell, interaktiv und immersiv meine Lernerfahrung gestalten kann.
Es sollte jedes Lehrbuch mit einem CustomGPT ausgestattet werden. Das wäre schon ein großer Erfolg und wichtiger Schritt hin zu niederschwelliger Wissensvermittlung.
Ich kann Ihren Ansatz daher nur bestärken und hoffen, dass weiter in dieser Richtung gearbeitet wird.
Viele Grüße
Sven