Im Rahmen eines Pilotprojekts am Kantonsspital Baselland wird aufgezeigt, wie selbst erstellte, kurze Videos als Performance Support für Rettungssanitäter:innen eingesetzt werden könnten.
Im Rahmen unseres Weiterbildungsmoduls “Workplace Learning” betrachten wir das Lernen ‘on-the-job’ und ‘in the flow of work’ ebenso wie die Förderung von Mitarbeiter:innen, die lernförderliche Gestaltung von Arbeitsumgebungen, das Wissensmanagement und nicht zuletzt auch das Thema ‘Performance Support’.
Marc Rosenberg hat ‘Performance Support’ wie folgt definiert:
Performance support is a tool or other resource (…) which provides just the right amount of task guidance, support, and productivity benefits to the user—precisely at the moment of need.
Rosenberg, M. J. (2013). At the moment of need. The case for performance support. The eLearning Guild, S. 7-9.
Conrad Gottfredson und Bob Mosher haben das Zusammenspiel von Training einerseits und Performance Support andererseits über ihre Formulierung der ‘5 moments of need’ skizziert:
Für die Bearbeitung der beiden ersten Bedarfssituationen (‘Neu’, ‘Mehr / Detail’) ist formal organisiertes Training von besonderer Relevanz. Für die weitere Bedarfssituationen (‘Anwenden’, ‘Problemlösen’ und ‘Verändern’) kommen dem Microlearning und Performance Support eine grosse Bedeutung zu.
Bob Mosher hat kürzlich im Rahmen eines Webinars noch eine andere Visualisierung für das Zusammenspiel von Training einerseits und Microlearning / Performance-Support andererseits gezeigt:
Die obere Variante der Darstellung verweist darauf, dass Wissen und Fertigkeiten nach einem Training (dunkelgrün eingefärbter Bereich) wieder verloren gehen, wenn sie nicht tatsächlich in der täglichen Arbeit aktualisiert, gefestigt und weiterentwickelt werden (hellgrün eingefärbter Bereich). Mosher plädiert daher dafür, Microlearning bzw. Learning in the Flow of Work und Performance Support als Teil der Qualifizierung zu verstehen und von vornherein in das Gesamtdesign zu integrieren (untere Variante der Darstellung).
Im Rahmen seiner Transferarbeit für dieses Weiterbildungsmodul hat Pascal Stephan, Verantwortlicher für die Aus- und Weiterbildung beim Rettungsdienst Kantonsspital Baselland, diese Themen aufgegriffen. Er hat ‘Microlearning’ und ‘Performance Support’ als Ausgangspunkte genommen und auf den Arbeitskontext von Rettungssanitäter:innen angewendet. Im Folgenden ein Auszug aus seiner Arbeit.
Rettungssanitäter:innen – Aufgabenbereiche
Der Arbeitsbereich von Rettungssanitäter:innen erfordert viel Flexibilität, ein breites Wissen und viele Fertigkeiten, welche in einer Notfallsituation zeitnah und fehlerfrei umgesetzt werden müssen. Das Einsatzspektrum für Rettungssanitäter:innen ist vielfältig und beinhaltet unter anderem folgende Disziplinen: Kardiologie (z.B. Herzinfarkt), Pneumologie (z.B. Asthma), Neurologie (z.B. Krampfanfall), Gastroenterologie (z.B. Gallenkolik), Traumatologie (z.B. Schädel-Hirn-Trauma), Toxikologie (z.B. Intoxikationen), uvm.
Hinzu kommt, dass Rettungssanitäter:innen häufig auf sich alleine gestellt sind – auch wenn hier die Digitalisierung neue Möglichkeiten bietet. So kann beispielsweise ein Elektrokardiogramm an die Kardiologie zur weiteren Beurteilung telemetriert werden.
Damit Rettungssanitäter:innen bei den vielen relevanten Themengebieten auf dem aktuellen Stand bleiben, werden vom Interverband für Rettungswesen (IVR) mindestens 40 Fortbildungsstunden für jeden Mitarbeitenden pro Jahr gefordert. Der Rettungsdienst Kantonsspital Baselland hat ein breites Fortbildungsangebot auf die Beine gestellt, über das sich die Mitarbeitenden jedes Jahr ihr individuelles Programm zusammenstellen können:
Micro-Learning und Performance Support im Rettungsdienst
Die oben genannten Aufgabenbereiche und Disziplinen erfordern auf Seiten der Rettungssanitäter:innen vielfältige technische Fertigkeiten. Der Rettungswagen ist ausgestattet mit verschiedenen medizinaltechnischen Geräten wie z.B.
- Elektrokardiogramm (EKG) zur Überwachung der Kreislauffunktionen, wie auch zur Defibrillation, Kardioversion oder Schrittmachertherapie;
- Beatmungsgerät für die invasive und nicht-invasive Beatmung eines Patienten mit unterschiedlichen Beatmungsformen;
- Mechanische Reanimationshilfe für die Herzdruckmassage;
- Perfusor für die kontrollierte und kontinuierliche Applikation eines Medikamentes.
Neben diesen Medizinalprodukten gibt es noch weitere technische Fertigkeiten, welche die Rettungssanitäter:innen gewährleisten müssen. Dazu zählt die Fahrzeugtechnik mit allen möglichen Funktionen und Knöpfen im Fahrzeugcockpit und Patientenraum. Auch die Montage der Schneeketten auf Doppelbereifung muss geübt sein, damit diese bei einem Rettungseinsatz zeitnah montiert werden können. Für all diese Geräte und technischen Herausforderungen bieten Performance Support und Micro-Learning eine optimale Unterstützung während und ausserhalb des Einsatzes.
Pilotprojekt: Anleitungsvideo für den Einsatz eines Perfusors
Als Pilotprojekt für die Umsetzung von Micro-Learning / Performance Support wurde der Perfusor ausgewählt, welcher in der Präklinik sehr selten zum Einsatz kommt. Aber wenn er zum Einsatz kommt, dann braucht es einen sicheren Umgang mit diesem Medizinalprodukt. Andernfalls kann es rasch zu einer Gefährdung für Patient:innen kommen. Ziel der Transferarbeit war es, ein Anleitungsvideo zu erstellen, welches die erforderliche Unterstützung bei der Handhabung des Perfusors gewährleisten soll, dieses Video zu testen und erste Erfahrungen abzuleiten.
Vorbereitung, Aufzeichnung, Schnitt
Als Vorbereitung für das Erstellen des Anleitungsvideos wurden zu Beginn alle Schritte und nötigen Informationen in einem Regiebuch festgehalten. Als nächstes folgte die Aufzeichnung des Videos. Hierfür wurden alle Schritte in Echtzeit durchgeführt und aufgezeichnet. Nach der Aufzeichnung wurde die Videosequenz über iMovie zusammengeschnitten und formatiert. Die Audioaufzeichnung erfolgte separat und im Anschluss an den Videoschnitt, um so eine gute Tonqualität gewährleisten zu können. Zusätzlich wurden die wichtigen Schritte mit Untertiteln versehen, damit das Video auch ohne Ton abgespielt werden kann (z.B. im Verlauf eines Einsatzes).
Bei längeren Handlungen (z.B. beim Vorbereiten des Materials) wurde bewusst der Schnelllauf gewählt, damit das Video auch für Lernzwecke und ohne eine parallele Umsetzung der gezeigten Handlungen genutzt werden kann. Bei einer Verwendung des Videos parallel zur Umsetzung der Handlungen müssen die Anwender:innen die Videosequenz allerdings an verschiedenen Stellen kurz pausieren.
Des Weiteren ist es wichtig, dass das Anleitungsvideo auf das Wesentliche reduziert wird, damit die Benutzerfreundlichkeit auch während eines Rettungseinsatzes gewährleistet ist. Weiterführende Informationen – beispielsweise Tipps und übergeordnete Einstellungsparameter – wurden bewusst an das Ende des Videos gesetzt. Damit auch einzelne Handlungsschritte übersprungen oder wiederholt angesehen werden können, wurde zusätzlich eine Kapitelstruktur hinterlegt. Diese kann in der Video-Fusszeile über das Symbol für “Kapitel” (Chapter) aufgerufen werden.
Das Arbeitsergebnis: Anleitungsvideo zum Perfusor
Das nachfolgende Video dient der Anleitung von Rettungssanitäter:innen bei der Arbeit mit dem Perfusor:
Video 1: Anleitung Perfusor (Quelle: Pascal Stephan)
Praxistest
Mit einem Arbeitskollegen wurde das Anleitungsvideo getestet. Dazu wurde er unvorbereitet darum gebeten, einen Noradrenalin-Perfusor zu richten und in Betrieb zu nehmen. Der erste Durchgang erfolgte ohne Anleitungsvideo. Der zweite Durchgang erfolgte unmittelbar im Anschluss (ohne zwischenzeitliches Feedback) und mit dem Anleitungsvideo als Unterstützung.
Die zentralen Einsichten aus diesem Praxistest und der anschliessenden gemeinsamen Reflexion mit der Testperson sind die folgenden Punkte:
- Der Kollege hatte den Perfusor bisher nur zwei Mal in einem Rettungseinsatz gebraucht, zuletzt vor ca. zwei Jahren.
- Beim Richten des Perfusors zeigten sich im ersten Durchgang mehrere kleinere Unsicherheiten und es wurden nicht alle Schritte korrekt umgesetzt. Unter anderem wurde das Rückschlagventil vergessen, die Perfusorleitung wurde nicht beschriftet und die Venflonkappe wurde nicht zugeklebt).
- Beim zweiten Durchgang wurde das Anleitungsvideo über ein Smartphone als Unterstützung hinzugezogen. Dabei wurden alle erforderlichen Schritte korrekt umgesetzt.
- Die sichere und flexible Platzierung des Smartphones in einem Rettungswagen erwies sich als schwierig. Die Herausforderung bestand darin, das Smartphone so zu platzieren, dass das Anleitungsvideo angeschaut und zeitgleich die Handlungen durchgeführt werden können.
- Die eigenen Arbeitsschritte und das Anleitungsvideo laufen nicht immer synchron. Das Video musste wiederholt pausiert werden. Dabei zeigte sich, dass die Bedienknöpfe (Stoppen und Fortsetzen) auf einem Smartphone klein sind und nicht immer sofort getroffen wurden.
Reflexion und Lernerfahrungen
Der Praxistest zeigt, wie wichtig solche Unterstützungssysteme in der täglichen Arbeit sind und welches Potenzial sie im präklinischen Setting haben können. Gleichzeitig wird auch deutlich, wie wichtig gute und einfach verfügbare Micro-Learning-Angebote sind, um die Mitarbeitenden in ihrem Kompetenzbereich fit zu halten. Gerade der Perfusor wird im präklinischen Setting selten bis nie angewendet. Wenn es ihn jedoch braucht, muss dieser fehlerfrei und umgehend in Betrieb genommen werden können.
Die Erfahrung wird zeigen, ob solche Anleitungsvideos ausreichend nutzerfreundlich sind, so dass sie auch während eines Rettungseinsatzes genutzt werden können. Als Micro-Learning-Angebote können solche Videos jedoch eine gute Lernunterstützung bieten, beispielsweise bei der Einführung von neuen Mitarbeitenden oder auch im Rahmen von Wiederholungen und Übungen in der einsatzfreien Zeit.
Weitere Anwendungsbereiche
Der Rettungsdienst Kantonsspital Baselland verfolgt nun die Ausweitung solcher Anleitungsvideos auf weitere Medizinalgeräte und technische Bereiche. Die folgende Abbildung illustriert, wie dies aussehen könnte:
Mehr Informationen zum scil Weiterbildungsmodul “Workplace Learning” gibt es über diese Seite.