SWITCH, der Partner für Internetdienste der Schweizer Hochschulen, unterstützt u.a. die eduhub community, die die Experten der Schweizer Hochschulen zum Thema E-Learning repräsentiert. SWITCH bzw. eduhub organisieren in unregelmässigen Abständen Webinare zu verschiedenen Themen rund um den Einsatz von neuen Technologien zur Unterstützung von Lehr-/Lernprozessen.
Vor gut einer Woche hat in diesem Rahmen Dr. Wolfgang Widulle von der Hochschule für Soziale Arbeit in Olten (FH Nordwestschweiz) zu seiner Umsetzung des Flipped Classroom Modells anhand der Lehrveranstaltung “Ressourcenorientierung in der Beratung” vorgestellt. Ich fand sein Webinar sehr interessant und die didaktische Umsetzung des Flipped Classroom Modells sehr hoch entwickelt. Er hat nach einer Curriculumsreform, durch die die Lehrzeit für das von ihm verantwortete Modul gekürzt wurde, in 2010 mit der der Aufzeichnung von Vorlesungsvideos begonnen und seither diesen Ansatz weiterentwickelt. Hier ein kurzer Bericht dazu.
Ausgangspunkt für das Redesign der Lehrveranstaltung nach dem Flipped Classroom Modell waren folgende Rahmenbedingungen:
- viele Studierende (aktuell ca. 230)
- wenig Lernzeit für die angestrebten Entwicklungsziele
- wenig Gelegenheit für die Studierenden, praktische Beratungskompetenzen zu entwickeln.
Das Grunddesign für seine Veranstaltung hat Wolfgang Widulle in dieser Übersicht zusammengefasst:
In diesem Design besteht eine Vorlesungseinheit im ersten Semester (Schwerpunkt Kommunikation und Gesprächsführung in der sozialen Arbeit) aus folgenden Elementen:
- Vorbereitende Videovorträge und Leseaufträge
- “Aktivierende Vorlesungen” mit 50-70 Studierenden (Bearbeitung von Fragen zu den Videos / Leseaufträgen, Bearbeitung von Fallstudien z.B. mit Jigsaw-Gruppenarbeiten, Lerntagebücher)
- “Teilplena” mit jeweils ca. 18-20 Studierenden (u.a. Arbeit an Fällen, Rollenspiele, Feedback). Geübt wird in Dreiergruppen (Klient, Fachkraft, Beobachter).
Dieses Design wird in vier parallel laufenden Kursen mit jeweils 50-70 Studierenden umgesetzt.
Das Design für das zweite Semester (Schwerpunkt Grundlagen der Beratung in der sozialen Arbeit) besteht aus den gleichen Elementen. Zusätzlich kommen noch folgende Elemente hinzu:
- Arbeit in Prüfungsvorbereitungsgruppen (jeweils 3 Studierende, die u.a. mit Rollenspielen und Videoaufzeichnungen arbeiten)
- Video-basiertes Kolloquium als zentraler Leistungsnachweis basierend auf Video-Rollenspielen und Reflexionen dazu sowie
- Video-basierte Prüfungsleistungen, bei denen die Studierenden sich selbst oder Kollegen im Rahmen von Beratungsgesprächen (mit Partnern, Freunden, in der Familie etc.) per Video aufzeichnen und diese Aufzeichnungen inkl. Reflexionen als Leistungsnachweis dem Dozierenden zur Verfügung stellen.
Wolfgang Widulle stellt folgende Aspekte heraus, die bei der Konzeption / Planung berücksichtigt werden müssen:
- Fokus Didaktik
- Welche Funktion sollen die Videos im gesamten Lerndesign erfüllen?
- Wie lang können / sollen Videovorlesungen sein? (Widulle empfiehlt ca. 20′)
- Wie kann verhindert werden, dass Studierende die Videos im “Sofamodus” passiv an sich vorbeirauschen lassen? (Hier empfiehlt er eine enge Verknüpfung von Videos und Aktivitäten in den Präsenzsitzungen)
- Fokus Technik / Produktion
- Was braucht es an Technik? (Aufzeichnungssoftware ist ein ‘Muss’, ein Studio ‘nice to have’.
- Perfektionismus muss man hinter sich lassen.
- Wie kann man lebendige Videovorlesungen erstellen, wenn man kein Live-Publikum hat?
- Was braucht es an Zeitaufwand für die Produktion der Vorlesungsvideos?
Interessant fand ich auch die Ausführungen zum Arbeitsaufwand: Widulle hat für die bisher erstellten 42 Videovorlesungen mit einer Gesamtlaufzeit von ca. 17 Stunden ca. 350 Arbeitsstunden aufgewendet. Für das Erstellen einer 20-30 minütigen Videovorlesung veranschlagt er aktuell etwa einen Tag Arbeitszeit. Einiges an Arbeitszeit erfordern insbesondere die folgenden Aktivitäten:
- das Erstellen der advance organizer (Themenübersichten) inkl. Visualisierungen gemäss der Bikablo-Bildsprache;
- das mehrfache Aufzeichnen von Vorlesungen bzw. das Schneiden von Aufzeichnungen (Beseitigen von Versprechern, Fehlern etc.);
Für die Produktion der Videovorlesungen verwendet Wolfgang Widulle folgende Ausstattung:
- MacBook Pro + zusätzlicher Monitor
- Screenflow 5 (Screencasting Software)
- Røede Video Mic Pro directional microphone
- Greenscreen 1.8 x 3 Meter (selbst hergestellt)
- LED Bauscheinwerfer für indirektes Licht
Für die Videoaufzeichnungen von Rollenspielen in den Präsenzsitzungen verwendet er folgende Ausstattung:
- iPad Air + iOgrapher Rahmen mit Haltegriffen und iOgrapher 37mm Weitwinkelvorsatz
- Camera (iOS Software)
- Røede Video Mic Pro directional microphone
- verschiedene Stative
Die folgende Abbildung zeigt das Büro von Wolfgang Widulle, das er gleichzeitig als “Aufnahmestudio” nutzt. Nicht zu sehen ist hier der LCD-Deckenfluter (5500 Kelvin), den er als zusätzliche Lichtquelle einsetzt.
Das folgende Bildschirmfoto zeigt zwei Momente im Rahmen einer Videovorlesung zur Vorbereitung auf den Leseauftrag und die Präsenzsitzungen. Zu sehen ist, dass die Positionierung der Lehrperson im Video immer wieder einmal wechselt (vermutlich, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Studierenden hoch zu halten) und dass bei der Aufzeichnung zum Teil auch innerhalb von grösseren Wissensstrukturen zwischen Detailansichten und Gesamtübersichten gewechselt wird.
Im Rahmen einer Evaluation der Lehrveranstaltung im Juni 2015 hat Wolfgang Widulle unter anderem folgende Schlüsse für sich gezogen:
- Die Videovorlesungen sind eine gute Vorbereitung für die Leseaufträge und die Präsenzsitzungen und diese Abfolge (Video – Lesen – Diskussion in Präsenz) hat sich bewährt.
- Die Videovorlesungen (verfügbar über SWITCHtube) stellen gleichzeitig eine nützliche Referenz für die Studierenden dar
- Es bleibt endlich genug Zeit für Fragen, Übungen und Reflexionen in den Präsenzsitzungen.
- Die Anwesenheit in den Präsenzsitzungen und auch das Aktivitätsniveau dort haben sich erhöht.
- Eine gute Vorbereitung der Studierenden ist zentral für die erfolgreiche Arbeit in den Präsenzsitzungen.
- Die Studierenden müssen zunächst lernen, wie sie mit den Vorlesungsvideos gut arbeiten (d.h. lernen) können.
- Der Zeitaufwand für die Produktion der Videovorlesungen ist hoch.
- Potenzial zur Weiterentwicklung gibt es u.a. im Hinblick auf die Videovorlesungen, insbesondere deren Länge, Dichte, Problem- bzw. Fall-Orientierung.
Eine Aufzeichnung des SWITCH-Webinars ebenso wie die Folien dazu sind hier verfügbar.
“Flipped Classroom” wird übrigens auch Thema im Rahmen unseres scil Seminars “Innovatives Blended Learning Design” Anfang Oktober in St.Gallen sein…
[…] In seiner Lehrtätigkeit hat er das Flipped-Classroom Modell seit vielen Jahren umgesetzt (hier ein Kurzbericht zu einem Webinar von ihm zu diesem Thema). Und er unterrichtet auch seit vielen Jahren zum Thema […]