Auch wenn der Regen anscheinend gar nicht mehr aufhören will und wir nicht mehr recht wissen, wie die Sonne eigentlich aussieht – das scil-team verabschiedet sich in die “Sommer”-Pause und wir melden uns im August wieder zurück!
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Informelles Lernen in sozialen Netzwerken: Kulturunterschiede und Herausforderungen für Lernende und Lehrende
Am 16.06.2014 wurde ich von e-teaching.org zu einer Online-Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe “Erforschung von Web 2.0 und sozialen Netzwerken in der Lehre” eingeladen.
Eine der beiden Referenten war Frau Dr. Birgit Spies, Lehrbeauftragte für Medienpsychologie an der Hochschule Fresenius in Hamburg und Inhaberin von THINKTIME learning.
Das Thema der Veranstaltung lautete „Web 2.0 und soziale Netzwerke“. Dr. Birgit Spies arbeitet als Beraterin für die Entwicklung und Umsetzung neuer Aus- und Weiterbildungskonzepte insbesondere im Bereich des E-learnings und informellem Lernen in sozialen Netzwerken. Erst kürzlich hat sie nach einigen Jahren Berufserfahrung auf diesen Gebiet eine Dissertation verfasst, mit dem Titel: „Informelles Lernen in sozialen Online-Netzwerken – Eine Vergleichstudie mit deutschen und amerikanischen Studierenden“ (2013).
In ihrer Tätigkeit als Lehrbeauftragte beobachtete sie, wie die Studierenden aktiv digitale Medien wie Facebook, Skype, YouTube etc. einsetzen, um ihre eignen (Lern-)ziele im Studium zu erreichen. Fragte man die Studierenden jedoch direkt danach, ob sie digitalen Medien für das Lernen nutzen, fielen die Antworten zumeist negativ aus. Anhand dieser Beobachtungen stellte Spies sich die Frage, ob kein bewusstes Lernen mit digitalen Medien stattfindet. Folgende Detailfragen waren der Ausgangspunkt für ihre empirische Untersuchung:
- Lasen sich Anhaltspunkte für informelles Lernen in sozialen Online Netzwerken finden?
- Wird das Netzwerk als Lernressource genutzt? Wird es als solche erkannt?
- Wie kann vernetztes Lernen beschrieben werden? Wie kann Lernen in diesem Zusammenhang beschrieben werden?
- Unterscheiden sich deutsche und amerikanische Studierende hinsichtlich der Nutzung von digitalen Medien beim Lernen?
Ihre Untersuchungen führten zu interessanten Ergebnissen:
- Zwischen 15% bis 46% der Studierenden nutzen soziale Netzwerke im studienbezogenen Kontext. Dabei sind jedoch Unterschiede zwischen amerikanischen und deutschen Studierenden zu beobachten. Und zwar (1) bezogen auf das Verständnis von Lernen und (2) hinsichtlich der Art und Weise wie die Studierenden soziale Netzwerke zur Unterstützung informeller Lernprozesse nutzen.
- Im Vergleich zwischen deutschen und amerikanischen Studierenden wurde deutlich, dass informelles Lernen im Social Web bei den deutschen Studierenden hauptsächlich im Zusammenhang von Organisation, Absprache und Recherche von Informationen stattfindet. Weniger verwendet werden soziale Online Netzwerke zum Austausch von Wissen. Dies ist bei den amerikanischen Studierenden anders. Diese diskutieren mehr im Netz, auch über Informationen und das Verständnis von Lerninhalten. Insgesamt sind die Deutschen aber aktiver im Web als die Amerikaner.
- Die deutschen und amerikanischen Studierenden scheinen ein unterschiedliches Verständnis davon zu haben, was “Lernen“ bedeutet und welche Zielsetzung es verfolgen sollte. Die deutschen Studierenden sind eher Outputorientiert. Lernen wird weniger als Befähigung zur gesellschaftlichen Teilhabe und oder als Erweiterung von Lebenserfahrungen bzw. als Gewinn neuer Einsichten verstanden. Lernen besteht für sie eher aus Nacharbeiten und dem Bearbeiten von Skripten. Deutsche Studierende assozieren mit Lernen „Anstrengung“ und die „Aufgabe von Dingen die Spass machen“.
- Amerikanische wie auch deutsche Studierende sind der Meinung, dass soziale Netzwerke sie bei der Lernmotivation unterstützen. Die amerikanischen Studenten sind jedoch stärker davon überzeugt, dass sie auch ausserhalb der Lernmotivation von Netzwerken profitieren können.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden:
Die Arbeit mit und die Vernetzung über soziale Online Netzwerke sind ausserhalb des Lernens etabliert und akzeptiert. Lernen mit sozialen Netzwerken findet statt. Jedoch scheint dies eher unbewusst zu passieren und oft nicht als Lernressource bewusst eingesetzt oder verstanden zu werden. Als Frage stellt Birgit Spies in den Raum, ob Lernprozesse mit sozialen Netzwerken bewusst erfolgen müssen oder ob es nicht reicht, dass sie erfolgen.
Zudem formuliert sie die These, dass wenn soziale Netzwerke unbewusste Lernressourcen darstellen, es als schwierig betrachtet werden könnte diese für das Lernen und die Gestaltung neuer Lernumgebungen zu etablieren. Ein weiterer Punkt, den sie zur Diskussion stellt.
Um informelles Lernen in formale Lernprozesse zu integrieren sind Herausforderungen auf zwei Ebenen zu berücksichtigen – auf der Ebene der Lernenden und auf der Ebene der Lehrenden.
- Lernende werden zum selbstverantwortlichen Handeln aufgerufen. Er muss lernen, Netzwerke selbständig zu nutzen, sich selbst stärker zu reflektieren, offen zu kommunizieren und dazu orientiert sein, wo welche Informationen abgerufen werden können. Dann wäre es möglich Chancen sozialer Netzwerke zu nutzen und formale Räume aufzubrechen.
- Lehrenden werden zum Coach, Lernbegleiter, „Helfer im Dschungel“. Sie entwickeln Lernlandschaften und lernen selbst das Netzwerk zu nutzen (Personen und Wissen). Lernen wird offener sein müssen und eine andere Kultur des Lernens und der Organisierens wird notwendig werden. Dies erfordert zudem Vertrauen in die Lernenden und ihre Netzwerke.
Die Studie hat mich aus zwei Gründen besonders angesprochen. Zum einen verwendet sie für die empirische Datenerhebung eine interessante Kombination aus Tagebüchern, Interviews und Fragebögen. Zum anderen decken sich einige ihrer Beobachtungen mit den Ergebnissen aus unserer aktuellen Studie „Medienkompetenzen in der Berufsbildung – Theoretische Grundlagen und empirische Erhebung bei Auszubildenden der Schindler AG“, welche demnächst veröffentlicht wird. Ich werde dazu auch in diesem Blog berichten.
Die Veranstaltung sowie ein Interview mir Birgit Spies sind übrigens auch online zugänglich, und zwar unter den unten angegebenen Links. Mit ihrer angenehmen Vortragsweise macht es zudem Spass ihr zuzuhören.
Link zur Veranstaltung
Link zum Interview
Link pdf Studie
Videos als Lernressourcen: besser handhabbar durch neue Webservices
Filme (und Videos) sind spätestens seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts (Stichworte hier: Videorekorder und Schulfernsehen) ein Bestandteil des breit verfügbaren Medienmixes für Lehr-Lernprozesse. Filme und Videos werden insbesondere wegen ihres Potenzials, vergleichsweise direkte und authentische Erfahrungssituationen zu ermöglichen (z.B. durch filmische Dokumentationen zur Arbeitstechnik traditioneller Schmiede in Afrika, zum Ablauf der Endkontrolle beim einem Hersteller von Nutzfahrzeugen oder auch durch Interviews mit Vertretern verschiedener Anspruchsgruppen in einem urbanen Transformationsprozess).
Dummerweise sind Filme und Videos bisher sehr sperrige (Lern-)Medien gewesen. Zwar konnt man mit Videorekordern und kann man bei der Betrachtung von Videos am PC vergleichsweise einfach anhalten, zurückfahren und neu starten. Aber für eine intensive individuelle Bearbeitung, wie wir es beispielsweise anhand von Texten (analog und digital) gewohnt sind (Kommentare auf dem Seitenrand, Hervorhebungen), fehlten lange Zeit die Werkzeuge. Dies beginnt sich langsam zu ändern.
Das erste nicht-professionelle Werkzeug zur digitalen Annotation von Videos, dem ich vor einigen Jahren begegnet bin, war Vertov, ein plug-in für das Literaturverwaltungswerkzeug Zotero. Das war allerdings vor der Zeit von YouTube und es konnten nur Video in verschiedenen Quicktime sowie mp3 und wav-Formaten verarbeitet werden. Mittlerweile ist YouTube zum unüberschaubar grossen Universum für Videoinhalte im WWW geworden. Und darüber hinaus sind im Rahmen der Angebote von Coursera, Udacity, edX oder der Khan-Academy ungezählte Lehrvideos im WWW verfügbar. Beide Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass ein zunehmender Bedarf an Werkzeugen entsteht, mit denen sich Videos für Lehr-Lernzwecke exzerpieren und annotieren lassen.
Ein Beispiel: Im Rahmen der Ausbildung von Lehrpersonen werden häufig Videoaufzeichnungen von Lehr-Lernsequenzen erstellt – etwa im Rahmen sogenannter “Microteachings”, bei denen es darum geht, eine 5-10 minütige Lernsequenz zu gestalten. Bisher wurden diese zwar oft aufgezeichnet, konnten aber hinterher nicht wirklich gut analysiert und verarbeitet werden.
Heute können mit Tablet-PCs oder Smartphones einfach Aufzeichnungen erstellt, auf YouTube hochgeladen und von dort aus weiter verwendet und verarbeitet werden. Auch mit YouTube können Ausschnitte definiert und einfache Annotationen ergänzt werden. Weitergehende Bearbeitungsmöglichkeiten bieten etwa videonot.es oder VideoANT, Webservices zur punktgenauen Annotation von Videos, mit denen sich beispielsweise Inhaltsübersichten zu Videos erstellen und Sprungmarken zu interessanten Stellen im Video erstellen lassen. Oder mit ThingLink, einem Webservice, mit dem man Bilder und Videos annotieren und dabei weitere Inhalts-Ebenen in das Video einbetten kann.
Screenshot zu Videonot.es
So können, um zum Beispiel zurückzukehren, Aufzeichnungen von Lehr-Lernsequenzen analysiert, mit anderen geteilt und kommentiert werden. Damit werden endlich auch Videoaufzeichnungen als Lernressourcen einfacher handhabbar. Beispiele dazu, wie solche web-basierten Analyse- und Bearbeitungsverfahren für Videos für Lernzwecke genutzt werden können, finden sich übrigens auch bei der deutschen Firma Ghostthinker.