Trainings und Kurse, die synchron durch TrainerInnen geführt bzw. durch LernbegleiterInnen moderiert werden, sind ein wichtiges Element im Leistungsportfolio von Bildungsdienstleistern. Diese Formate müssen häufig längere Zeit im Voraus terminlich fixiert werden. Nicht nur angesichts der aktuellen Unsicherheiten (Covid-19) sind Bildungsdienstleister gefordert, über einen erweiterten Trainingsformate-Mix mehr Flexibilität zu entwickeln. Wir haben mit Christoph Bosshard, Bildungsmanager Blended Learning, Swissmem Academy, darüber gesprochen, wie dieser Mix bei Swissmem Academy gestaltet ist.
Christoph Meier / scil:
Christoph, kannst du Swissmem Academy und dich selbst kurz vorstellen?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
Swissmem Academy ist das Bildungszentrum von Swissmem, dem führenden Verband für KMU und Grossfirmen der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) sowie verwandter technologieorientierter Branchen. In praxisorientierten Lehrgängen, Seminaren oder firmeninternen Trainings vermittelt wir Kompetenzen für Fach- und Führungspersonen aus der Industrie.
Meine Rolle bei Swissmem Academy umfasst die Umgestaltung der Lernprozesse und die Implementierung einer neuen Lernstrategie. Seit über drei Jahren arbeite ich mit meinen Kollegen an der Entwicklung einer ganzheitlichen Lernumgebung und der Konzeption von Blended Learning Prozessen.
Christoph Meier / scil:
Wie sieht denn der Trainingsformate-Mix für Swissmem Academy aus?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
Unser Lernkonzept, welches seit 2017 in unseren Lernangeboten angewendet wird, basiert auf einem Blended-Learning-Modell. Die folgende Abbildung zeigt die zentralen Elemente in einer Übersicht:
In allen 3 Phasen des Lernkonzeptes sind Online-Settings vorgesehen. Dafür haben wir uns für zwei Anwendung entschieden: einerseits setzen wir Zoom (Videokonferenz) und anderseits SwissmemSpaces (VR -Klassenraum) ein.
Christoph Meier / scil:
Was ist SwissmemSpaces und welche Rolle bzw. Funktion übernimmt SwissmemSpaces in dem von dir aufgezeigten Formate-Mix?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
SwissmemSpaces ist eine Desktop-VR-Umgebung. Teilnehmende an Trainings und Lehrgängen bewegen sich mit ihrem jeweils persönlich gestalteten Avatar in einer virtuellen Akademie, die unterschiedliche Räume und Bereiche bietet. Diese virtuelle Umgebung haben wir zusammen mit unserem Partner TriCAT GmbH in Ulm entwickelt.
Wir verwenden SwissmemSpaces in allen Phasen eines Trainings bzw. Lehrganges. Gerade im Zuge der Covid-Pandemie und dem damit verbundenen Lockdown war es wichtig, bei den Onlinetrainings eine gewisse Abwechslung reinzubringen. Durch das Arbeiten mit SwissmemSpaces erreichen wir, dass bei den Teilnehmenden das Gefühl entsteht, gemeinsam mit den anderen Teilnehmenden «vor Ort» zu sein (Immersion). Dieser Eindruck ist etwas, das gerade mit Anwendungen wie Zoom nicht erreicht werden kann.
Christoph Meier / scil:
Was waren die Motivation und die Ziele, die mit dem Projekt «SwissmemSpaces» verfolgt wurden?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
Unser Ziel war es, eine Alternative zu Präsenzkursen sowie herkömmlichen Online-Seminaren (etwa über Teams oder Zoom) zu entwickeln, bei denen die Teilnehmenden ohne Reisezeit und –kosten gemeinsam und vor allem nachhaltig Bildungsthemen auf praxisbezogene Weise erarbeiten.
Zudem suchten wir nach Möglichkeiten, wie wir die Themen Digitalisierung und Gamification in unsere Trainingskonzeption integrieren können. Hier spielt SwissmemSpaces – unsere virtuelle 3D-Lern- und Arbeitswelt – die seit etwa zwei Jahren im Einsatz ist, eine wichtige Rolle.
Christoph Meier / scil:
Für welche Angebote wird diese Umgebung genutzt und für welche – gegebenenfalls ganz bewusst – nicht?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
Konkret reicht die Spannweite der Anwendungen von kurzen Meetings bis zu mehrtägigen Trainings, Konferenzen mit mehreren Dutzend Teilnehmenden bis zu Einzelcoachings.
Das virtuelle Gebäude ist mit kleinen und grossen Meetingräumen, einem Auditorium für bis zu 100 Personen, einem Coachingbereich sowie einem weitläufigen Garten mit Feuerstelle, Schachspiel und einer Vielzahl von Sitzgelegenheiten ausgestattet. Es bietet eine grosse Anzahl von Möglichkeiten für gemeinsames Arbeiten, Lernen und informellen Austausch – vorausgesetzt man lässt sich im Aussenbereich nicht zu sehr vom Zwitschern der Vögel und dem Luftschiff mit der Aufschrift «Swissmem Academy» ablenken.
Was vielleicht etwas verspielt klingt dient einem sehr wichtigen Ziel im Hinblick auf das Gesamtdesign der Lernumgebung: es erhöht bzw. ermöglich die Immersion, d.h. das Eintauchen in die künstliche Welt. Aus unserer Erfahrung wird diese Welt von den Teilnehmenden nach etwa 15 Minuten als neue Realität gesehen und erlebt.
Es gibt bei uns keine Einschränkungen, für welche Entwicklungsangebote SwissmemSpaces genutzt werden kann und für welche nicht. Es ist eine didaktische Entscheidung, die auf die jeweiligen Ziele abgestimmt sein muss. SwissmemSpaces kann für Führungs-, Verhaltens- und Fachtrainings genutzt werden oder einfach nur für die Präsentation von Projektarbeiten.
Christoph Meier / scil:
Welche Erfahrungen habt ihr bisher mit dieser virtuellen Lernumgebung gemacht?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
Die virtuelle Swissmem Academy ist jetzt seit zwei Jahren im Praxiseinsatz. Generell lässt sich sagen, dass es für fast alle Teilnehmenden zuerst etwas befremdlich wirkt, dass Trainings oder Meetings nicht wie gewohnt als Präsenzveranstaltung stattfinden. Dies hat sich in den letzten Monaten jedoch ziemlich stark verändert. Onlinemeetings bzw. die Nutzung von Videoconferencing-Tools sind wohl nun für einen Grossteil der Bevölkerung irgendwie selbstverständlich geworden.
Zentral bleibt jedoch die Frage, wie sehr solche Tools für nachhaltige Trainings verwendet werden können. Mit der Anwendung Zoom haben wir hier sehr positive Erfahrungen gemacht. Die virtuelle Lernwelt geht für uns jedoch einen zentralen Schritt weiter, denn sie imitiert die Realität mit vielerlei Ansätzen, die in die Trainingskonzepte mit einfliessen. Dies ist einer der zentralen Erfahrungen, welche uns auch die Trainer und Teilnehmenden zurückmelden.
Christoph Meier / scil:
Welche «digitalen Kompetenzen» werden explizit oder beiläufig bzw. unterschwellig durch die Arbeit in dieser virtuellen Umgebung gestärkt?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
In unserem Kompetenzenmodell werden digitale Kompetenzen als transversale (übergreifende) Kompetenzen definiert. Dies bedeutet, dass wir in allen unseren Trainings ein Augenmerk auf die Förderung bzw. Weiterentwicklung dieser Kompetenzen legen. Dies soll jedoch eher beiläufig geschehen. Dies beginnt bereits bei der Nutzung unserer Lernumgebung, wo die Teilnehmenden alle Kursinformationen, Unterlagen, Feedbacks etc. auf einer digitalen Lernplattform finden und während eines ganzen Trainings damit arbeiten. Und natürlich wird dies auch durch die Nutzung von Anwendungen wie SwissmemSpaces oder Zoom weiter gefördert. Das beginnt beim Download und der Installation des Clients sowie damit verbunden Themen wie Sicherheitseinstellungen oder Umgang mit externer Software. Und das setzt sich fort über das Navigieren mit einem Avatar in einer immersiven Umgebung bis hin zum Erstellen und manipulieren digitaler Objekte (z.B. Flipcharts, Pinwände oder 3D-Modelle) in der virtuellen Lernumgebung.
Es ist unterdessen in unseren Trainings selbstverständlich, dass alle Teilnehmenden entsprechende Devices (Laptops, Tablets u.ä.) in Präsenz- oder Onlinetrainings verwenden. Dies hat sich in den letzten drei Jahren enorm verändert.
Christoph Meier / scil:
Wie erleben die Nutzer diese Umgebung?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
Grundsätzlich ist die Nutzung von SwissmemSpaces sehr schnell und ohne grosse Vorkenntnisse möglich. Probleme bereiten am ehesten die folgenden Themen: Download der Anwendung, Login und das Aktivieren der Audioquellen – wie bei anderen Anwendungen auch.
Kurs- & Programm-Teilnehmende:
Bisherige Teilnehmende haben die Art der bisherigen Nutzung sehr geschätzt und viele können sich weitere Einsatzmöglichkeiten vorstellen. Letztendlich macht es eben auch einfach Spass spielerisch zu Lernen – egal wie alt wir sind.
Trainer:
Technische Finessen wie Beispielsweise auf Knopfdruck zur Verfügung stehende 3D-Objekte – etwa für Aufstellungen oder zur Verdeutlichung von technischen Details – oder auf dem Boden aufgetragene Ratingskalen bieten sogar auf schnellere Art mehr Möglichkeiten für aktivierende (und damit nachhaltige) Lernerfahrungen als dies in einem herkömmlichen Präsenzkurs machbar ist.
Was komplex klingt ist in der Handhabung halb so schlimm. Nach ungefähr einer Stunde Einführung durch einen erfahrenen Coach können Trainer ihre ersten Veranstaltungen selbst durchführen. Sie benötigen dafür auch kein besonderes technisches Wissen oder Verständnis.
Christoph Meier / scil:
Welches Fazit ziehst du nach zwei Jahren praktischer Arbeit mit SwissmemSpaces?
Christoph Bosshard / Swissmem Academy:
Der Einsatz von SwissmemSpaces hat sich bei uns sehr bewährt. Das Angebot bzw. die Nachfrage nach entsprechenden Trainings wird in Zukunft stetig steigen. Dabei ist der Einsatz der virtuellen Welt kein Selbstzweck. Die Umgebung soll wirklich nur dann genutzt werden, wenn diese den Zielsetzungen der Trainer und Teilnehmenden förderlich ist sowie für die Trainingsinhalten generell passend ist. Dies jedoch gilt auch für die andere von uns genutzte Anwendung, nämlich Zoom. Anders gesagt, man sollte – egal für welche Methodik man sich entscheidet – bewusst und mit Bedacht handeln.
Christoph Bosshard ist Teilnehmer am Zertifikatsprogramm “CAS Digitale Bildung” von scil academy.