Die Digitale Transformation und neue Geschäftsmodelle sind eng miteinander verknüpft. Neue Technologien erlauben die Vernetzung von bisher unabhängig arbeitenden Systemen. Dadurch verändert sich das Nachfrageverhalten von Kunden. Anstatt einzelner Produkte fordern diese immer mehr ganzheitliche Services („Rundum-sorglos-Pakete“). Unternehmen reagieren auf diese Veränderungen mit der Veränderung ihres Geschäftsmodells.
Um mit dem digitalen Wandel im Markt Schritt halten zu können, erfolgten bereits Geschäftsmodellinnovationen in unterschiedlichen Branchen. Bekanntes Beispiel sind hierfür digitale Marktplätze, welche unterschiedliche Anbieter und Nachfrager zusammen bringen. Aber auch intelligent vernetzte Wartungskonzepte (z. B. für Aufzüge oder Triebwerke) führen zu neuen oder veränderten Geschäftsaktivitäten. Schliesslich lassen sich im Bildungsbereich neue digitale Angebote und Services aufzählen. Online-Kursanbieter oder neue didaktisch gestaltete Lernservices sind nur zwei Möglichkeiten dafür. Aber es gibt noch viele andere Beispiele hierfür.
Wir fragen uns folglich, wie die Digitale Transformation das Geschäftsmodell von Bildungsorganisationen verändert. Dieser Fragestellung möchten wir gemeinsam mit Ihnen nachgehen. Deswegen laden wir Sie zu unserer Umfrage über Geschäftsmodellinnovationen bei Bildungsorganisationen ein. Klicken Sie bitte hier, um an dieser teilzunehmen. Dort finden Sie auch weitere Details vor.
Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme und sind auf die Ergebnisse gespannt!
Archives for September 2016
Data Analytics Summit 2016 der eLearning Guild
‚Learning Data Analytics‘ ist ein noch vergleichsweise junges Arbeitsgebiet. Es geht dabei um das Entdecken, Interpretieren und Darstellen von bedeutsamen Mustern in grossen Datenmengen, die bei der Nutzung von digitalen Lern- und Arbeitsmaterialien entstehen. Im Kontext des (betrieblichen) Bildungsmanagements sind zentrale Ziele vor allem ein verbessertes Verständnis von Lehr-/Lernaktivitäten und die Optimierung von Lernumgebungen.
Abbildung 1: Daten – Analyse – Geschäftsoptimierung (Quelle: Wagner 2016)
Ein neues Veranstaltungsformat der eLearning Guild
Am 21. und 22. September fand der Data & Analytics Summit der eLearning Guild statt. Eine über zwei aufeinanderfolgende Halbtage laufende Online-Konferenz mit jeweils vier einstündigen Vorträgen pro Tag, an denen man nur per Webkonferenz teilnehmen konnte. Es handelt sich dabei um ein neues Angebotsformat der eLearning Guild und ich auch deshalb neugierig auf diese Konferenz.
Um es vorwegzunehmen: Ich fand diese Online-Veranstaltung insgesamt sehr gut, auch wenn – wie bei den meisten Tagungen und Konferenzen – für mich nicht alle Vorträge gleichermassen interessant oder überzeugend waren. Für eine insgesamt eintägige Konferenz wäre ich nie an die Westküste der USA geflogen. Soweit ich sehen konnte war die Beteiligung recht gut. Bei den Vorträgen des ersten Tags waren ca. 250 Teilnehmende dabei, am zweiten Tag, ca. 160. Natürlich gab es keine Kaffeepausen, in denen man mit anderen ins Gespräch kommen konnte. Der Austausch zwischen den Teilnehmenden spielte sich in den Chatfenstern der VC-Software ab – zum Teil in einer Intensität, dass ich mich fragte, ob diese Teilnehmenden überhaupt noch dem Vortrag folgen können. Im Folgenden einige Notizen zu den für mich wichtigsten Punkten der Veranstaltung. Detaillierter werden wir uns die Inhalte der Vorträge in unserem kommenden Innovationskreis zum Thema „Digitale Transformation: Konsequenzen für die Personalentwicklung“ anschauen.
Worum geht es bei Learning Data Analytics?
Die Auftakt-Session mit dem Titel „Why you should care about data analytics“ bestritt Ellen Wagner (Chief Research Officer, PAR Framework; VP Research, Hobsons). Sie zeigte zunächst zentrale Treiber für die Entwicklung von (Learning) Data Analytics auf: die zunehmende Verbreitung von distribuierten, web-basierten Plattformen; die Verfügbarkeit von ‚data warehouses‘; und die Verfügbarkeit von neuen Auswertungstechniken. Da viele andere Fachbereiche in Unternehmen auf die Analyse von grossen Datenmengen setzen, können sich die Bildungsverantwortlichen diesem Trend auf Dauer nicht entziehen. Denn solche Datenanalysen unterstützen die Bestimmung des Ist-Zustands (z.B. Intensität der Nutzung von Lernangeboten), die Leistungserbringung (z.B. zielgruppengerechte Anpassung des Umfangs von Lernressourcen), das Automatisieren von Abläufen (z.B. Feedbacks zu Tests auf der Basis von Vergleichsdaten) und die Entwicklung von neuen Lösungen (z.B. kurze „Refresher“-Angebote).
Wagner zeigte dann anschliessend vier Zielebenen für Learning Data Analytics auf:
- Beschreibung, z.B.
Welche Teilnehmenden brechen die Bearbeitung von bzw. Teilnahme an Lernangeboten ab?
Welche Lernressourcen werden (nicht) genutzt? - Diagnose, z.B.
Warum brechen Teilnehmende die Bearbeitung / Teilnahme ab?
Warum werden Lernressourcen (nicht) genutzt? - Prädiktion / Vorhersage, z.B.
Welche Teilnehmenden sind im Hinblick auf einen vorzeitigen Abbruch der Lernaktivitäten besonders gefährdet?
Welche Ressourcen werden voraussichtlich (nicht) genutzt werden? - Präskription / Handlungsanleitung, z.B.
Massnahmen zur Vermeidung von vorzeitigen Abbrüchen bei Lernaktivitäten;
Massnahmen zur Gewährleistung der Nutzung von Lernangeboten / Lernressourcen.
Nun ist (Learning) Data Analytics als Arbeitsfeld nicht unumstritten. Die Einwände dagegen reichen von zu hohen Kosten über Gefahren der missbräuchlichen Verwendung von Daten bis hin zu Zweifeln an der Genauigkeit bzw. Qualität von Ausgangsdaten. Wagner plädierte hier für eine systematische Einbindung wichtiger Anspruchsgruppen und eine systematische Arbeitsmethodik, um diesen Einwänden zu begegnen.
Ein Beispiel zur Umsetzung
Der zweite Vortrag des ersten Tages mit dem Titel „Data Points: Using behavioral analytics to improve learning“ kam von J.D. Dillon, Principal Learning Strategist bei Axonify, einem Anbieter von ((…)). Ausgangspunkt für seinen Beitrag war eine Initiative zur Arbeitssicherheit und Unfallvermeidung (vor allem im Hinblick Verletzungen durch unsachgemässes Heben) bei einem Logistik-Dienstleister mit ca. 70‘000 Mitarbeitenden.
Dillon zeigte auf, wie über einen Prozess mit insgesamt 11 Schritten eine signifikante Ergebnisverbesserung erreicht werden konnte:
- Definition des (Geschäfts-)Ziels
- Identifikation von entscheidenden Situationen
- Herausschälen von unbedingt erforderlichen Verhaltensweisen
- Definition von Schwellenwerten
- Klärung von möglichen Datenquellen
- Sammlung von Daten
- Evaluation der Daten
- Herausarbeiten des für unfallfreies Arbeiten erforderlichen Wissens bzw. der dafür erforderlichen Kompetenzen.
- Erstellen von Lerninhalten bzw. Arbeitshilfen
- Steuerung der Zuweisung von Lern- / Unterstützungseinheiten
- Ausweisen der Ergebnisse
Dillon stellte dann den Trainingsaufwand bei einem traditionellen und bei einem an Schwellenwerten orientierten Vorgehen vergleichend gegenüber. Im ersten Fall wären alle 70‘000 im Logistik-Bereich beschäftigten Mitarbeitenden geschult worden. Selbst bei einer mit fünf Minuten Dauer sehr kurzen Lerneinheit würde sich die dafür investierte Arbeitszeit auf über 23‘000 Mitarbeitenden-Stunden addieren. In diesem Projekt dagegen erfolgte die Zuweisung des Refresher-Training auf der Grundlage von definierten Schwellenwert, so dass schliesslich nur 658 Mitarbeitenden-Stunden für dieses Thema aufgewendet wurden. Dies entspricht einer Reduktion um mehr als 97%.
Entwicklungsperspektiven
Ein weiterer interessanter Beitrag kam von Tim Martin, CEO der Firma Rustici Software, die ab 2011 federführend am Projekt TinCan API gearbeitet hat, aus der die xAPI-Spezifikation hervorgegangen ist [Querverweis Blogbeitrag zu xAPI]. In seinem Beitrag mit dem Titel „Dreamers and pragmatists: what needs to happen to make xAPI fly“ skizzierte er seine Erwartungen im Hinblick auf Verbreitung der Nutzung von xAPI. Ein Hindernis für die breite Nutzung von xAPI sieht Martin darin, dass Mehrdeutigkeiten im strukturierten Vokabular für xAPI-Aktivitätsbeschreibungen entstanden sind – beispielsweise drei verschiedene Beschreibungen für das Betrachten von Videos. Martin erwartet, dass diese Probleme bis Mitte 2017 behoben werden und dass dann Investitionen in die Arbeit mit xAPI auf einer sicheren Grundlage stehen und dass dann eine breite Nutzung erfolgen wird.
Auch George Siemens, eine der zentralen Gründungsfiguren für das Arbeitsfeld Learning Data Analytics war bei der online Konferenz vertreten. In seinem Beitrag „Fostering adaptive learners, not adaptive curriculum“ riss er sehr viele verschiedene Themenaspekte an und es war nicht ganz leicht, seinem Vortag zu folgen. Im Hinblick auf adaptives Lernen verwies er auf die Begrenztheit der gegenwärtig verfügbaren Plattformen (z.B. Knewton.com). Diese beschränkten sich darauf, bei der Analyse von Lernaktivitäten und bei den Vorschlägen für Lernpfade nur die Interaktion von Lernenden mit Lerninhalten und deren kognitive Verarbeitung zu berücksichtigen.
Im Unterschied dazu sei es erforderlich, weitere Typen von Daten bei den Analysen von Lernaktivitäten hinzuzuziehen: Daten aus Präsenzsituationen und von Evaluationen ebenso wie Daten von sozialen Medien und körpernahen Detektoren, die Hinweise auf Lernstrategien, Vernetzung und affektives Involvement liefern. Siemens forscht aktuell zu Möglichkeiten der adaptiven Gestaltung von Lernumgebungen auf der Grundlage von Daten und Analysen zu individuellen physiologischen und psychologischen Vorgängen. So können beispielsweise Wearables oder Webcams eingesetzt werden, um Veränderungen in der Leitfähigkeit der Haut, der Hauttemperatur, der Herzfrequenz, der Körperhaltung etc. zu dokumentieren. Diese Daten können dann Hinweise auf Langeweile, Überraschung, Stress oder ähnliches liefern und mit zeitgleich dokumentierten Lernaktivitäten verknüpft werden. So wie ich Siemens verstanden habe besteht seine Vision darin, auf dieser Grundlage den einzelnen Lernenden in ganz anderer Weise als heute mit individuell zugeschnittenen Lernangeboten bedienen zu können.
http://www.elearningguild.com/summits/content/4496/data–analytics-summit-2016-home/
Wandel der didaktischen Gestaltung "neuer" Lernformen
Im Wildwasser einer veränderten Welt
Die letzte Ausgabe der Zeitschrift Erwachsenenbildung (Heft 2/2016) steht unter dem Thema “Neue Formate”. Dabei herrschten in der Redaktion wohl auch tiefe Diskussionen darüber, was nun neu oder alt ist – so steht es im Vorwort.
Sabine Seufert und ich haben einen Beitrag mit dem Titel “Im Wildwasser einer veränderten Welt” in diesem Heft eingebracht und uns mit dem Wandel der Gestaltung ‘neuer’ Lernformen beschäftigt. Unsere zentralen Überlegungen möchte ich im Folgenden vorstellen.
Zunächst gibt es heute neue Ausgangspunkte für die Organisation von Lernen. Unsere Gesellschaft ist heute von zunehmend dynamischen Entwicklungen (Beispiel: technologische Entwicklungen), von Unplanbarkeit und Unsicherheit geprägt. Zukünftige Anforderungen an Unternehmen und Mitarbeitende sind kaum abzuschätzen. Gerade Veränderungskompetenzen werden damit umso wichtiger. Das Bildungsmanagement in Unternehmen und weiteren Bildungskontexten steht vor der Herausforderungen, in einem “permanenten Wildwasser” zu agieren. Ihnen kommt die Aufgabe zu…
- Die Lernenden auf das Bewältigen von Wildwasserbedingungen vorzubereiten
- Mit der eigenen Bildungsorganisation in Wildwasserbedingungen erfolgreich umzugehen
“Neue Lernformen” und deren Gestaltung gehen daher mit neuen normativen Leitlinien einher. Als “innovativ” werden Lernformen häufig – etwas vorschnell – dann verstanden, wenn moderne Technologien eingesetzt werden. Im Bildungskontext erhält allerdings gerade die pädagogische Perspektive eine besondere Bedeutung. Die Frage nach dem didaktischen Mehrwert einer “neuen Lernform” stellt also neben der technologischen Neuheit eine normative Entscheidungsgrösse dar. Dabei ist auch zu fragen, inwieweit eine Neuerung für die Zielgruppe wünschenswert ist.
Neue Lernformen können dabei grundsätzlich auf 3 Ebenen des Bildungsmanagements gestaltet werden, die miteinander verzahnt sind:
- Mikro-Ebene:
Kompetenzentwicklung der Learning Professionals (direkte Unterstützer der Kompetenzentwicklung wie Trainer, Dozierende, Aus- & Weiterbildner und indirekte Unterstützer wie Führungskräfte, Coaches, Mentoren, …) als Gestalter neuer Lernformen. - Meso-Ebene:
Gestaltung von Bildungsprogrammen, die neue Lernformen ermöglichen (z.B. Erweiterung des Lernkontextes durch den Einbezug informeller Lernformen) sowie verstärkte Zusammenarbeit mit “Partnern” (aus Sicht der Learning Professionals z.B. Führungskräfte, Mitarbeitende,…). Das setzt voraus, Die Kontexte des Lernens und Arbeitens miteinander verbunden zu verstehen und ebenso zu gestalten. - Makro-Ebene:
Organisationale Rahmenbedingungen für Programme und neuen Lernformen gestalten, wie Strukturen, Kulturen und Strategien, um letztendlich die Entwicklungsfähigkeit der (Bildungs-)Organisation zu erhöhen. Dazu gehört auch, Selbstorganisation und -steuerung sowie Veränderungsbereitschaft für Lernende, Mitarbeitende und Führungskräfte zu fördern und zu ermöglichen.
Fazit: Was heisst das für die didaktische Gestaltung neuer Lernformen?
Derzeit und zukünftig verstärkt werden erhöhte Anforderungen an alle an Lernprozessen Beteiligten gesehen. Für die didaktische Gestaltung neuer Lernformen können dementsprechend einige Veränderungen festgehalten werden:
- Einbezug informeller Lernkontexte – weit über Unterrichtssituationen hinaus
- Bisherige Prioritäten verschieben sich – von der Mikro-Ebene hin zur Gestaltung von Rahmenbedingungen des Lernens auf der Meso- und Makro-Ebene
- Zunehmend dezentral organisierte Kompetenzentwicklung – so kommt den Grundprinzipien “Reflexionsprozesse anregen” und “Selbstorganisation strukturieren” erhöhte Aufmerksamkeit bei der Programmgestaltung zu
- Neue Rollenverständnisse für die am Lernprozess Beteiligten (Lernende, Bildungspersonal, weitere Lernpromotoren wie Führungskräfte) – verstärkte Zusammenarbeit dieser “Partner”, deren Rollen aber klar voneinander abgegrenzt sind:
Diese Aufzählung ist sicher nicht abschliessend. Zudem werden Formen der Zusammenarbeit zwischen den Partnern sowie auch die Bewertung, was nun “neue Lernformen” sind, aufgrund der dynamischen Entwicklungen der Gesellschaft und auch dem Bildungsmarkt, immer wieder neu zu überdenken sein…
Die Zeitschrift mit dem gesamten Beitrag gibt es hier:
Referenz:
Seufert, S. & Schuchmann, D. (2016). Im Wildwasser einer veränderten Welt. Zum Wandel der didaktischen Gestaltung “neuer” Lernformen. Erwachsenenbildung, 62 (2), 52–56.
Digitales Leben ¦ Lernen ¦ Leisten – 3. scil Trend- & Community Day 2016
Am letzten Mittwoch, 14. September 2016, fand unser diesjähriger scil Trend- & Community Day statt. Wir waren zu Gast im Sitterwerk, einer Kunstgiessererei am Rande der Stadt im Sittertal. Das Sitterwerk verströmt den Charme eines in die Jahre gekommenen Industriebetriebs – ein interessanter Kontrast zu unserem Thema „Digitales Leben ¦ Lernen ¦ Leisten“. Was auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist: in der Kunstgiesserei werden nicht nur traditionelle analoge Fertigungsverfahren eingesetzt, sondern auch digitale Fertigungsverfahren, bei denen einer der grössten aktuell am Markt verfügbaren 3D-Drucker zum Einsatz kommt. Mit über 60 Teilnehmenden waren wir bei der Veranstaltung voll ausgebucht. Im Folgenden einige Schlaglichter auf die Themen und Inhalte.
Bildergalerie – Zur Betrachtung Klicken
Den Start machten Daniela Schuchmann und Christoph Meier mit einer kurzen Orientierung zu der digitalen Welle, die Unternehmen aber auch Personalentwickler / Bildungsbereiche derzeit zu überrollen scheint. Am Beispiel der Schindler AG haben wir gesehen, wie zentral die Sensoren in Aufzügen und Fahrtreppen, die von diesen gesendeten Daten und deren Verarbeitung durch Call-Center, Einsatzmanager, Service-Center und Kunden für das Geschäft des Industrieunternehmens geworden sind. Die Bildungsverantwortlichen bei Schindler sind natürlich in diese Veränderungen eingebunden und unterstützen mit verschiedensten Angeboten. Aber gleichwohl fühlen sie sich manchmal wie Getriebene in einem schnellen Veränderungsprozess.
Eine Umfrage unter den Teilnehmenden zeigt, dass die digitale Transformation Bildungsorganisationen an vielen Stellen betrifft (neue Kundenanforderungen, veränderte interne Prozesse, neue Angebote). Nur gut 10% der befragten Bildungsorganisationen verfügen bereits über eine „digitale Agenda bzw. Strategie“, gut 40% arbeiten gegenwärtig daran. Die Bildungsorganisationen sind nur teilweise auf die mit der digitalen Transformation verbundenen Herausforderungen vorbereitet. Als wichtigste Erfolgsfaktoren werden die Weiterentwicklung der Lernkultur, des Leistungsangebots und das Umsetzen von Innovationsprojekten gesehen.
Im Rahmen unserer anschliessenden „Forschungsreise nach Digitalien“ wurde zunächst einmal die Frage in den Raum gestellt: Was heisst es, im digitalen Zeitalter (Horizont 2030) kompetent zu sein? Sabine Seufert skizzierte ein Rahmenmodell für das Bildungsmanagement in der Arbeitswelt 4.0, verwies auf laufende Arbeiten zu Kompetenzmodellen und zitierte ihren elfjährigen Sohn mit der Aussage, er baue sich später mal einen Roboter, der für ihn zur Arbeit gehe. Auch wenn wir darüber jetzt schmunzeln – die Fähigkeit, mit Algorithmen und Robotern produktiv (zusammen) zu arbeiten, wird im künftigen Berufsleben sehr wichtig sein.
Nina Scheffler stellte anschliessend Ergebnisse ihrer empirischen Untersuchungen zu Medien- und Informationskompetenzen in der Berufsbildung sowie an Maturitätsschulen (Gymnasien) vor. Die jungen Menschen tendieren dazu, ihre Informationskompetenzen zu überschätzen, wobei diese Diskrepanz bei Mädchen geringer ausgeprägt ist. Das Wissen darüber, wo Information verfügbar ist, wird höher gewichtet als das Wissen zum «warum», «was» und «wie». Das Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge im Netz ist dagegen weniger gut entwickelt. Beim kritischen Prüfen von Informationen und Quellen sowie bei der Anwendung konkreter Suchstrategien zeigen sich Defizite.
Wie können Kompetenzen im digitalen Zeitalter entwickelt werden? Daniela Schuchmann warf in ihrem Beitrag ein Schlaglicht auf das Fallbeispiel „LeaderMOOC“, ein Pilotprojekt des global operierenden Centers for Creative Leadership. Sie zeigte dabei den Entwicklungsprozess des MOOCs und verwies auf die von CCL gemachte Erfahrung, wie wichtig agile Entwicklungsmethoden bei der Entwicklung von neuen Lernangeboten sein können. Ein wichtiges Ergebnis für CCL war auch, dass im Rahmen eines MOOC Lernerfolge auf dem gleichen Niveau wie im Seminarraum erreicht werden können.
Welche Geschäftsmodell-Innovationen sind im Bildungsmanagement zu beobachten bzw. zu erwarten? Hier führte Christian Schneider zunächst das Konzept der Plattformökonomie ein. Anschliessend zeigte er am Beispiel von Linked.in, Lynda.com und o*net (einer online-Plattform mit Referenzrahmen zu Fähigkeitsanforderungen an Berufsbilder in den USA sowie Hinweisen zu offenen Stellen) die Bedeutung von Vernetzung, Systemintegration und Datenanalysen für die Entwicklung neuer Serviceleistungen.
Anschliessend wandten wir uns konkreten Beispielen für die Kompetenzentwicklung im Hinblick auf digitalisierte Arbeitswelten zu.
Janosch Türling (Lernarchitekt bei AXA-Winterthur) zeigte Ausschnitte aus dem Programm „Do you speak digital?“, einem Angebot für alle Mitarbeitenden der Axa-Wintherthur. Das im Rahmen eines ‚rapid prototyping‘-Ansatzes mit einem funktionsübergreifenden Team entwickelte Entwicklungsprogramm (ein nur innerhalb des Unternehmens offener online-Kurs, COOC) adressiert alle zwei Monate ein neues Thema (z.B. „Suchen und Finden“, „Social Media“, „Sicherheit / Datenschutz“) und integriert eine virtuelle Lernumgebung sowie virtuelle Lernbegleitung, Coaching und (reverse) Mentoring-Aktivitäten. Ergänzt wurde diese Veränderungsinitiative durch die Öffnung von Social Media-Kanälen (Facebook, YouTube, etc.) für die Mitarbeitenden des Unternehmens.
Roy Franke (CYP) und Christoph Meier (scil) stellten anschliessend die gemeinsam entwickelte Team-Intervention „Going Digital: Fit für die digitale Transformation“ vor, die sich an L&D-Teams richtet. Das Angebot beinhaltet einen eintägigen Einführungs- und Konfigurationsworkshop, über den eine genaue Passung für das jeweilige Team hergestellt wird. Darauf folgt ein erstes Modul zum Thema „Ich in der digitalen Welt“ (u.a. mit Themen wie „IT-Infrastruktur und Sicherheit“, „Informationen verwalten“, „Zusammen arbeiten“) und dann ein zweiten Modul zu „L&D in der digitalen Welt“ mit Fokus auf medial erweiterte Lehr-/Lernarrangements. Zur nachhaltigen Wirkung dieses Veränderungsimpulses tragen insbesondere der Transferauftrag und die virtuelle Abschlusskonferenz bei.
Nach dem Mittagessen in der rustikalen Werkskantine wurden, wie schon im Jahr zuvor, im Rahmen eines Marktplatzes verschiedene Arbeitswerkzeuge für Bildungsverantwortliche vorgestellt. Eine Zuordnung der Werkzeuge fällt bei der Kategorie „Inhalte finden & erstelllen“ leichter, bei den Kategorien „Produktivität & Zusammenarbeit“ sowie „Communities & Netzwerke“ schwerer. Vorgestellt wurden „kahoot“, „easygenerator“, sowie „LernFramework“ (von LerNetz.ch, dieses Jahr zu Gast bei uns) sowie „MindMeister“, „evernote“ und „slack“.
Anschliessend ging es um das Thema „Wissen neu organisieren“. Wir besuchten die Bibliothek und das Werkstoffmagazin des Sitterwerks [http://www.sitterwerk.ch/kunstbibliothek.html]. Ariane Roth, Geschäfsführerin der Stiftung Sitterwerk, stellte uns die auf der Nutzung von RFID-Chips und einer Scan-Vorrichtung basierende dynamische Ordnung der etwa 11‘000 dort im Freihandzugriff befindlichen Bücher vor. Und sie zeigte uns, wie an den Arbeitstischen ebenfalls auf Basis der RFID-Technologie digitale Notiz- und Arbeitshefte erstellt (und bei Bedarf ausgedruckt) werden können.
Nach der Kaffeepause ging es im letzten Teil unserer Veranstaltung um das Thema „Kompetenzentwicklung für Führungskräfte in einer digitalen Welt“. Diana Seibold und Gabriele Brömler (Allianz SE Akademie) stellten mit „Time Warp – A Digital Experience“ einen weiteren Corporate Open Online Course (COOC) vor. Dieses Programm richtet sich an Mitarbeitende und Führungskräfte der Allianz und verfolgt Zielsetzungen wie die Sensibilisierung für die Veränderungen in der digitalen Welt, Vermittlung von Wissen und Best Practices (z.B. Führen im digitalen Zeitalter) sowie schliesslich die Entwicklung von Lernkompetenzen.
Die digitale Transformation betrifft auch die Medienwirtschaft. Bei der Axel Springer SE basierten im Jahr 2008 lediglich 14% des Umsatzes auf digitalen Produkten und Dienstleistungen, im Jahr 2015 dagegen schon 62% (beim Finanzergebnis ist die Veränderung noch drastischer). Im letzten Beitrag des Tages mit dem Titel „Hot in the valley – was man vom Silicon Valley lernen kann“, stellte Sirka Laudon (Axel Springer SE) das Projekt eines Research Sabbaticals im Silicon Valley für Führungskräfte und zentrale Lernerfahrungen daraus vor. Anschliessend stellte sie zwei weitere innovative Programme vor: die virale Recruiting-Kampagne YEAH 3000 und das Programm „move – Dialog, Wissen, Machen“ mit den verschiedenen Elementen wie „Best Practice Club“, „Ideenschmiede und FedEx-Day“, „Early Bird Café“, „Media Powehouse“, „Buzzword Decoder“ oder „Pizza CONNECTion“. Mit Blick auf die Zielgruppe Führungskräfte gab sie abschliessend noch kurze Einblicke in das Programm „Management Summit – Reise zum Mittelpunkt der digitalen Welt“ (hier ein ca. sieben Minuten langes YouTube-Video mit Impressionen dazu).
Für uns hat dieser Tag im speziellen Ambiente der Kunstgiesserei Sitterwerk sehr gut funktioniert und für unsere Gäste auch (soweit wir das aus informellen Gesprächen aufnehmen konnten). Unser nächster scil Trend- & Community Day findet am 13.09.2017 statt. Eine erste Idee ist, dass wir diesen bei der Würth-Akademie am Rorschacher Hafen durchführen könnten. Das würde schon vom Ambiente her ein starker Kontrast zur diesjährigen Durchführung. Und vielleicht könnten wir die dort ausgestellte Kunstsammlung nutzen, um nebenbei einen kurzen Ausflug in das Thema „arts-based-learning“ zu machen. Aber das sind erst mal nur Ideen – wir werden dazu informieren…
Medienkompetenzen 4.0: neue Mensch-Maschine-Interaktionen
Stellen Sie sich folgende Situation vor:
Sie kommen in die Notaufnahme mit einer völlig unklaren Krankheit und Ihnen geht es schlecht. Der Chefarzt kommt herein und sagt, er habe 30 Jahre Erfahrung, er werde schon herausfinden, was mit Ihnen nicht stimmt. Und dann sitzt da noch der junge Assistenzarzt, erstes Ausbildungsjahr, der sagt, er habe hier einen Computer mit dem Wissen von 600 Chefarztjahren. Wem würden Sie sich anvertrauen?
Das ist das “grosse” Neue an der Digitalisierungswelle mit dem Durchbruch der Künstlichen Intelligenz – Maschinen können eine nahezu unbegrenzte Zahl an Patientenfällen im Gedächtnis abrufen, diese Technik, Deep Learning genannt, sind neuartige Expertensysteme
Digitalisierung von Wissensarbeit – wie in diesem Beispiel – ist stärker durch Augmentation anstatt Substitution (steht in der aktuellen Diskussion eher im Vordergrund: Roboter nehmen Jobs weg – Rationalisierungseffekte, die es schon immer gab). Wirklich neu ist die Frage: wie ergänzen sich die Kompetenzen von Mensch und Maschine – Interaktionen zwischen Mensch und Maschine? Medienkompetenzen 4.0
Im Eingangsbeispiel:
Heute hören sich die Ärzte Beschreibungen der Symptome ihrer Patienten an und vergleichen sie mit bekannten Krankheiten. Das könnten Algorithmen übernehmen. Die Ärzte würden dann nicht selbst diagnostizieren, sondern vielmehr ihre automatisierten Helfer bei der Diagnose überwachen und ihre eigene Erfahrung und Intuition einbringen. Die Handarbeit der Ärzte bleibt aber wichtig.
Ist es nur die Handarbeit? Oder brauchen Ärzte künftig andere komplementäre Kompetenzen? Führungskräfte müssen lernen, in welchen Fällen Algorithmen ihnen helfen können, Denkverzerrungen aufzudecken und wann Intuition in Form von kondensierter Erfahrung ins Spiel kommen muss. Ein mit KI ausgestatteter kognitiver Assistent kann auf der Basis riesiger Datenmengen statistisch fundierte Vorschläge machen. Nichtsdestotrotz sind diese Resultate eingeschränkt, etwa durch Datenauswahl, Systemmodellierung und Training. Nur der Mensch kann eine holistische Situationseinschätzung vornehmen. Eine Führungskraft muss um die unterschiedlichen Kompetenzen und Begrenzungen wissen und Entscheidungsprozesse adäquat gestalten können. Umgekehrt kann der Mensch durch das Expertensysteme neue Erkenntnisse gewinnen und permanent dazu lernen.
– Wie genau wird die kooperative Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine künftig aussehen, ist dabei eine zentrale Frage.
Um ein Beispiel aus einem andere Kontext zu bringen: Schachmeister werden immer jünger (Jüngste ist 12 Jahre alt). Man hat festgestellt, dass die jungen Schachspieler andere Strategien entwickelt haben als die älteren -> sie spielen und trainieren nicht gegen den Computer, sondern gemeinsam mit ihm. Durch diese kollaborative Zusammenarbeit werden sie auch selbst besser. Sehen wir hier bereits die Zukunft?
“Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt” (Amerikanischer Science-Fiction-Autor William Gibson)
Humboldt im digitalen Zeitalter? NZZ Diskussion geht weiter
Karin Vey, IBM Research, und ich haben einen NZZ Beitrag zur Hochschulbildung künftiger Führungskräfte verfasst – wir haben dadurch einen intensiven Diskurs geführt, mehrere Iterationen, die Freude am “gemeinsamen Werk” trieb uns an – dann war es soweit. Die Rückmeldung der Redaktion war positiv, doch um die Hälfte mussten wir kürzen. Schöne Beispiele, liebgewonnene Sätze streichen… in der Print-Ausgabe immerhin noch eine halbe Seite… Und online steht er weiterhin zur Diskussion.
Wir hatten in der Überschrift ein “?” – bewusst als Frage im Titel formuliert. Entweder aus Versehen weg oder passte einfach nicht zu unserem prägnanten Statement am Ende…
http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/hochschulbildung-2030-humboldt-im-digitalen-zeitalter-ld.115748
Unternehmen brauchen inspirierende Persönlichkeiten – Glückwunsch an Bruno Wicki!
Es gibt Menschen, die Energie ausstrahlen. Nach einem Gespräch fühlt man sich bereichert, energetisch aufgeladen, mit neuen Impulsen positiv in die Zukunft blickend. So eine Persönlichkeit ist Bruno Wicki. Schindler würdigt jährlich nur wenige inspirierende Persönlichkeiten. Dieses Jahr ging er an Bruno Wicki, Leiter Ausbildung bei Schindler. Ganz herzlichen Glückwunsch, Bruno! Diesen renommierten Award hast du wohlverdient erhalten – das freut mich riesig!
Um meine Kollegin Heike Bruch, Professorin für Leadership und Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagement zu zitieren:
„Das Schlüsselelement für gute Leistung ist gute Führung. Unternehmen brauchen inspirierende Persönlichkeiten, nicht nur Verwalter. Sie brauchen Leader, nicht nur Manager. Denn diese sind es, die Unternehmen zum Erfolg führen, indem sie organisationale Energie freisetzen und lenken.“
Bruno: du lebst es vor, wie inspirierende und transformationale Führung im Zeitalter des digitalen Wandels erfolgreich verläuft – du schaffst es, deine Lernenden zu begeistern und alle Mitarbeitenden mitzunehmen. Du pflegst eine zielorientierte, partizipative Unternehmenskultur, die wohlwollend, authentisch und ernstgemeint ist – da können auch neue „digitale Ansätze“ auf fruchtbaren Boden fallen, um Innovationen zu erzeugen!
Es erfüllt mich mit Stolz, dass wir mit dir bei Schindler “Going Digital” gemeinsam machen können, dich persönlich in unserem Netzwerk zu haben und seit diesem Jahr auch bei uns in der Funktion als GLA Mitglied. Freue mich aufs Advisory Board Meeting sowie Community Day und den persönlichen Austausch mit dir, der immer sehr bereichernd ist 🙂
Digitalisierung von Lernen: adaptive tutorielle Systeme
In den letzten Jahren sind bei der Entwicklung von adaptiven bzw. intelligenten tutoriellen Systemen deutliche Fortschritte erzielt worden und Bildungsverantwortliche sollten dieses Feld im Auge behalten. Dies gilt nicht nur für Schulen und Hochschulen sondern auch für den Bereich der betrieblichen Weiterbildung. Eine kurze Orientierung.
Ein Lehrer für mich allein?
Eine möglichst gute Ausbildung und daran anschliessend lebenslanges Lernen sind weitherum als Ziele und normative Orientierungspunkte etabliert – auf gesellschaftlicher, institutioneller und individueller Ebene. Gegenwärtig kämpfen allerdings Hochschulen damit, gute Betreuungsverhältnisse zwischen Lehrpersonen einerseits und Lernenden / Studierenden andererseits zu wahren. Und Bildungsbereiche in Unternehmen und Organisationen kämpfen mit knappen Budgets, die eine Fokussierung auf die jeweils unter strategischen Gesichtspunkten wichtigsten Lern- und Entwicklungsbedarfe erfordern. Dabei bleibt vieles, was nicht Priorität 1 ist, aussen vor.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern aktuelle technologische Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und adaptiver tutorieller Systeme weiterhelfen können. In diesem Zusammenhang wird auch auf das von Benjamin Bloom vor gut 30 Jahren formulierte “2-Sigma-Problem” verwiesen: verschiedene Studien hatten aufgezeigt, dass Lernende, die in einer 1:1 Situation von Tutoren individuell betreut wurden, bei Lernerfolgsüberprüfungen 2 Standardabweichungen besser abschnitten als Lernende in konventionellen Lernarrangements mit ca. 30 Lernenden pro Lehrperson. Oder anders gesagt: die individuell betreuten Lernenden waren im Durchschnitt so gut wie die besten 2% der Lernenden in konventionellen Lernarrangements (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Quelle: Bloom 1984
Tutorielle Einzelbetreuung von Lernenden ist nun aber in der Regel kein tragfähiges bzw. bezahlbares Modell. Bloom und sein Forschungsteam haben sich daher der Suche nach Lehr-/Lernmethoden zugewendet, die zu ähnlich guten Ergebnissen in grösseren Lerngruppen führen. Sie erzielten dann vergleichbar gute Ergebnisse mit Kombinationen von Mastery Learning, partizipativen Lernformen und einer Ausrichtung des Lernens auf höhere kognitive Prozesse (vgl. Bloom et al. 1984).
Forschungen in den Feldern künstliche Intelligenz und adaptive tutorielle Systeme befassen sich mit dem von Bloom nicht weiter verfolgten Lösungsansatz: der Entwicklung von technischen Lösungen, die eine hochgradig lernwirksame und zugleich kostengünstige 1:1 Lernbegleitung für eine grosse Anzahl von Menschen ermöglichen – im Kontext der Schul- und Hochschulbildung wie auch im Kontext der betrieblichen Weiterbildung. Diese Forschungsrichtung hat bereits Tradition. So hatte beispielsweise Sabine Seufert in ihrer Diplomarbeit 1993 das Thema “Lehrstoffstrukturierung für intelligente tutorielle Systems” gewählt. Und an der Universität St.Gallen wurde mein früherer Kollege Oliver Bendel in 2003 für seine Arbeit zu “Pädagogische Agenten im Corporate Learning” promoviert.
Damit werden weitere Wege sichtbar, wie “Ein Lehrer für mich allein” umgesetzt werden könnte. Zum einen sind dies Dialogsysteme (Weiterentwicklungen von Sprachassistenzsystemen wie Siri und sogenannte Weiterbildungsbots – vgl. hierzu einen Gastbeitrag von Fritz Breithaupt in der ZEIT vom Februar 2016). Zum anderen sind dies adaptive Lernplattformen, die auf grossen Mengen an systematisch aufbereiteten Lerninhalten basieren. Diesem zuletzt genannten Typ von Systemen will ich hier etwas nachgehen.
Angetrieben wird die Entwicklung adaptiver tutorieller Lernplattformen nicht nur von fachlich ausgerichteter (Grundlagen-)Forschung, beispielsweise im Bereich künstliche Intelligenz, sondern auch von ökonomischen Entwicklungen. So bemühen sich beispielsweise grosse Lehrbuchverlage in den USA darum, ihr Geschäftsmodell neu auszurichten. Denn sie merken, dass das bisherige Geschäftsmodell, das zentral auf dem Verkauf von Lehrbüchern basiert, unter Druck geraten ist (online Tauschbörsen für Lehrbücher; Einscannen und Teilen von Lehrbüchern bzw. Ausschnitten daraus; MOOC-Anbieter). Angesichts der schrumpfenden Margen investieren Lehrbuchverlage unter anderem in adaptive tutorielle Systeme, um höherwertige Dienstleistungen mit höheren Gewinnmargen anzubieten:
“To retain its value, Levin [CEO von McGraw-Hill Education, CMei] says, the textbook of the 21st century can’t just be a multimedia reference source. It has to take a more active role in the educational process. It has to be interactive, comprehensive, and maybe even intelligent. It has to make students’ and teachers’ lives easier by automating things they’d otherwise do themselves. The smarter it gets, the more aspects of the educational experience it can automate—and the more incentive schools and teachers will have to adopt it.” (Oremus 2015)
Wie funktionieren diese Systeme und was können sie gegenwärtig leisten?
Intelligente tutorielle Systeme (ITS) bzw. adaptive Lernsysteme (ALS) berücksichtigen die Lernenden in unterschiedlicher Weise. Frühere Systeme beschränkten sich darauf, den Lernenden Auswahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Inhalten zu bieten und die Lernaktivitäten zu beobachten. Auf dieser Grundlage konnten dann z.B. nächste Lerninhalte mit passendem Schwierigkeitsgrad angeboten werden. Neuere Systeme gehen darüber hinaus. Zum einen bieten sie Hinweise auf einen viel weitergehenden Fundus von relevanten Materialien im WWW (adaptive Hypermedia-Systeme). Zum anderen beanspruchen sie, individuelle Präferenzen der Lernenden zu berücksichtigen – nicht nur im Hinblick auf Lerninhalte, sondern auch im Hinblick auf Lernstile und Lernpräferenzen (adaptive Lernsysteme) (Bagheri 2015, S. 3-4).
Die zentralen Komponenten eines adaptiven Lernsystems sind das Domänen-Modell, das tutorielle Modell, das Lernenden-Modell sowie die Benutzeroberfläche (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Komponenten eines adaptiven tutoriellen Systems (nach Mathews 1993 in Bagheri 2015, S. 5ff.)
In einem Beitrag für das Open Access Journal International Journal of Education liefert Bagheri (2015) eine Übersicht zu und Charakterisierung von verschiedenen aktuell am Markt verfügbaren adaptiven Lernsystemen. Im Folgenden will ich zwei davon kurz beleuchten.
Knewton
Knewton, als Unternehmen in 2008 gegründet, bietet eine Lernplattform (www.knewton.com), die Lerninhalte und Lernprozesse gemäss dem Vorwissen, den Zielsetzungen und den Merkmalen individueller Nutzer anpassen kann. Partner sind namhafte Verlage (z.B. Pearson, Macmillan Education, Elsevier), Bildungsinstitutionen und zahlreiche Technologie-Unternehmen. Knewton hat in mehreren Finanzierungsrunden über 150 Millionen US$ an Investment-Kapital erhalten.
“Knewton supports the learning process with three core services: personalized recommendations for students, analytics for teachers and students, and content insights for application and content creators.” (Wilson / Nichols 2015, S. 3)
Die zentralen Elemente der Plattform und der darauf basierenden Services sind in der folgenden Abbildung dargestellt:
Abbildung 3: Zentrale Komponenten der Plattform Knewton (Quelle: Wilson / Nichols 2015, S. 6)
Knewton verknüpft Informationen zu Inhalten (insbesondere “knowledge graphs” oder Konzept-Karten, (vgl. Abbildung 3, oben) mit Daten zu den Antworten bzw. Leistungen von Lernenden (links), und erzeugt darauf basierend Aussagen über die Leistungsfähigkeit der Lernenden. Diese Aussagen fliessen dann in Voraussagen zu Bearbeitungszeiten ein (unten) und in das Erstellen von personalisierten Empfehlungen für nächste Lernaktivitäten (rechts).
Knewton beobachtet und analysiert permanent verschiedene Aktivitäten von Lernenden wie beispielsweise
- richtige oder falsche Antworten auf Testfragen
- die für bestimmte Aufgaben aufgewendete Zeit
- welcher Lernstil am besten die Aneignung bestimmter Konzepte unterstützt
- das Hinundherbewegen einer Maus, wenn sich ein Lernender nicht zwischen zwei Antwortoptionen entscheiden kann
(Bagheri 2105, S. 8)
Der zuletzt genannte Punkt ist keine technische Spielerei, sondern verweist auf eine Herausforderung bei der Bestimmung des Wissens- bzw. Leistungsstands von Lernenden: wie kann man zufällig richtig ausgewählte Antworten auf Testfragen (Raten) von Antworten unterscheiden, bei denen die Lernenden die richtige Antwort kennen? area9learning, ein weiterer Anbieter (vgl. unten), geht bei diesem Punkt einen anderen Weg: über eine Zusatzfrage werden die Lernenden kontinuierlich dazu befragt, wie sicher sie sind, dass die gerade abgegebene Antwort richtig ist.
Technische Details zur Knewton-Plattform sind in einem technischen Whitepaper weiter ausgeführt.
Bagheri zufolge ist Knewton eine der führenden adaptiven Lernplattformen. Auch wenn er anmerkt, dass die publizierten Erfolgsberichte (z.B. zusammen mit der Universität von Arizona) auf Studien beruhen, die dem Anspruch an kontrollierte Experimente nicht genügen. Interessant ist Knewton aber auch, weil es (derzeit noch) Lehrmittelautoren ermöglicht, kostenlos Inhalte in der Plattform zu erstellen.
ALEKS
ALEKS (Assessment and LEarning in Knowledge Spaces) ist ein Web-basiertes Test- und Lernsystem, das auf künstlicher Intelligenz basiert. Seine Entwicklung geht zurück auf Arbeiten von J.-C. Falmagne zu Wissensräumen bzw. knowledge spaces, die um 1980 begannen und im Rahmen grosser NSF-Forschungsprojekte in den USA in den 1980er and 90er Jahren weiterentwickelt wurden. Seit 1992 wird an der Softwareplattform gearbeitet. ALEKS Corporation, gegründet 1996, ist heute Teil des Unternehmens McGraw-Hill Education (https://www.aleks.com/about_aleks/research_behind).
Eine Besonderheit von ALEKS besteht in der Diagnose des Wissensstands von Lernenden zu einem bestimmten Themen- bzw. Konzeptraum. Den Startpunkt bildet ein Test mit ca. 20-30 Fragen, wobei dieses Fragenset nicht fix ist, sondern Lernenden-spezifisch angepasst wird. Daraus resultiert eine Hypothese sowohl zum individuellen Wissensstand als auch dazu, welche nächsten Themen / Konzepte für den Lernenden in Frage kommen (“ready to learn”).
Abbildung 4: Schematische Darstellung der Entwicklung einer Hypothese zum individuellen Wissensstand (Quelle: ALEKS)
Auf dieser Grundlage treten dann die Lernenden in den Lernprozess ein, in dessen Verlauf ihre Interaktionen mit dem System (Bearbeitung von Materialien, Bearbeitung von Tests mit jeweils ca. 25 Fragen / Aufgaben) protokolliert und Hypothesen zum aktuellen Wissensstand und zur Bereitschaft für nächste Lernthemen generiert werden. Für die Lernenden wird der eigene Wissensstand zu einem Themengebiet über ein Tortendiagramm visualisiert, aus dem ersichtlich ist, wie viele (Teil-)Themen in einem Gebiet man schon beherrscht, welche nicht, und für welche nächsten Lernthemen man bereit ist (vgl. Abbildung 5):
Abbildung 5 (Quelle: ALEKS)
In seinem Review führt Bagheri an, dass ALEKS von Lernenden dann sehr gut bewertet wird, wenn es darum geht, den eigenen Stand in einem Wissensgebiet zu überprüfen und diesen punktuell zu erweitern. Weniger gut funktioniere die Arbeit mit ALEKS, wenn man sich ganz neu in ein Themengebiet einarbeiten müsse (Bagheri 2015, S. 9).
In seinem Übersichtsartikel bespricht Bagheri noch eine Reihe weiterer adpativer tutorieller Systeme, die aber entweder einen spezifischen fachlichen Fokus aufweisen oder aber weniger adaptiv sind als die oben genannten Systeme:
- Smart Sparrow (Fokus auf Medizin und Naturwissenschaften)
- Dreambox Learning (Fokus auf Mathematik für den Grunschulunterricht)
- Brightspace / Desire2Learn (Fokus auf Kompetenz-basiertem Lernen)
Fazit
Viele frühere Entwicklungen zu adaptiven tutoriellen Systemen sind nicht zur Marktreife gelangt (vgl. Mulwa 2010). Aber in den letzten Jahren sind bei der Entwicklung von adaptiven bzw. intelligenten tutoriellen Systemen deutliche Fortschritte erzielt worden. Allerdings merkt Bagheri kritisch an, dass die hier betrachteten Systeme letztlich doch nur ein Element des Gesamtmodells (vgl. Abbildung 2) in den Mittelpunkt stellen: das Wissen der Lernenden, das über wiederholte Tests immer wieder neu bestimmt wird. Andere Merkmale der Lernenden wie z.B. individuelle Lernstile würden bei der Bestimmung der Lernpfade noch zu wenig berücksichtigt (Bagheri 2015, S. 13).
“It is essential to recognize that learners are multi-dimensional beings and categorizing them solely based on their knowledge level is definitely false. There are many personal traits which should be integrated in adaptive learning systems to enhance their effectiveness.” (Bagheri 2015, S. 14)
Dennoch ist dies ein Feld, das im Auge zu behalten ist. Dies gilt nicht nur für Schulen und Hochschulen und Fachgebiete, deren Grundwissen mehr oder weniger kodifiziert bzw. unstrittig ist (z.B. Mathematik, Biologie, Chemie, etc.). Auch für den Bereich der betrieblichen Weiterbildung sind diese Entwicklungen interessant. So wird beispielsweise bei Hitachi Data Systems mit der adaptiven Lernplattform area9learning gearbeitet und – wenn man den eigenen, allerdings nicht wissenschaftlich dokumentierten – Fallstudien Glauben schenken darf, mit Erfolg. Im Fall Hitachi wurde diese adaptive Plattform für das Produkttraining von ca. 7’000 internen und ca. 25’000 externen Mitarbeitenden eingesetzt und insgesamt eine Reduktion der Lernzeit um ca. 50% konstatiert:
Abbildung 6: Zentrale Ergebnisse des Einsatzes von area9learning bei Hitachi Data Systems (Quelle:
http://area9learning.com/wp-content/uploads/2016/06/Hitachi-Data-Systems.pdf)
Referenzen:
ALEKS (2012). What makes ALEKS unique. https://www.aleks.com/about_aleks/What_Makes_ALEKS_Unique.pdf
Bagheri, M. M. (2015). Intelligent and adaptive tutoring systems: How to integrate learners. International Journal of Education, 7(2).
Bloom, B. S. (1984). The 2 Sigma Problem: The search for methods of group instruction as effective as one-to-one tutoring. Educational Researcher, 13(6), 4–16.
Mulwa, C., Lawless, S., Sharp, M., Arnedillo-Sanchez, I., & Wade, V. (2010). Adaptive Educational Hypermedia Systems in Technology Enhanced Learning: A Literature Review. In Proceedings of the 2010 ACM Conference on Information Technology Education (S. 73–84). New York, NY, USA: ACM. http://doi.org/10.1145/1867651.1867672
Oremus, Will (2015): No more pencils, no more books. Artificially intelligent software is replacing the textbook – and reshaping American education. Slate, October 25, 2015.
Truong, H. M. (2016). Integrating learning styles and adaptive e-learning system: Current developments, problems and opportunities. Computers in Human Behavior, 55, Part B, 1185–1193. http://doi.org/10.1016/j.chb.2015.02.014
Wilson, K., & Nichols, Z. (2015). The Knewton Platform. A General-Purpose Adaptive Learning Infrastructure. knewton.com. Abgerufen von http://learn.knewton.com/technical-white-paper
Arbeitsbericht zum SCIL Innovationskreis “Führungskräfteentwicklung”
Wir führen seit 2010 Innovationskreise durch, die jeweils auf knapp ein Jahr ausgelegt sind und an denen 10 Partnerunternehmen teilnehmen. Themen bisher waren Learning Value Management, Zukunftsorientierte Kompetenzentwicklung und jetzt zuletzt Führungskräfteentwicklung.
Bei der letzten Durchführung, die wir im Frühjahr abgeschlossen haben, waren folgende Partner dabei: Allianz SE, AXA Winterthur, Bayer Business Services GmbH, BMW Group, Endress+Hauser Management AG, Helsana Versicherungen AG, Pricewaterhouse Coopers AG, SBB AG, Suva, Swiss Life AG. Konzipiert und angetrieben wurde der Innovationskreis von unserer früheren Kollegin Tanja Fandel-Meyer, die mittlerweile die Schweiz verlassen hat und jetzt die Führungskräfteentwicklung beim Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg leitet. Jetzt konnten wir den Abschlussbericht fertigstellen, der hier kostenfrei bestellt werden kann.
Der Arbeitsbericht gliedert sich in 5 Teile (vgl. unten):
- Herausforderungen und Trends (mit einem Fokus auf das VUCA-Konzept)
- Qualitätsbereiche der Führungskräfteentwicklung und Standortbestimmung
- Gestaltungsansätze & Denkimpulse (strategieorientiertes Gesamtkonzept, Stakeholder-Orientierung, Lern- & Führungskultur, Portfoliomanagement und Innovationsanspruch, Inhalte & Themen, Methodik / Didaktik, TrainerInnen und ReferentInnen, Evaluation und Wertbeitrag)
- Arbeitshilfe zur Gestaltung
Im zentralen Abschnitt zu den Gestaltungsansätzen finden sich Darstellungen zu Beispielen aus der Runde der Partner ebenso wie Vertiefungen, die auf Gastbeiträgen aus Wissenschaft und Praxis im Rahmen der Arbeitstreffen sowie auf den Ergebnissen von Arbeitsgruppen im Rahmen des Innovationskreises basieren.
Fandel-Meyer, T. & Meier, C. (2016). scil Arbeitsbericht 25: Führungskräfteentwicklung mit Zukunft. Trends, Herausforderungen & Gestaltungsmöglichkeiten – ein Praxisbericht für FührungskräfteentwicklerInnen. Mit Beiträgen von AMI SE Academy, AXA Winterthur, Bayer Business Services, Daimler Corporate Academy, MCM-HSG, IWP-HSG, Lehrstuhl Internationales Management Universität der Bundeswehr München, Mobiliar Versicherungen. Swiss Centre for Innovations in Learning. St.Gallen.
Unser nächster Innovationskreis stellt die digitale Transformation und die Konsequenzen für Personalentwicklung bzw. Aus- und Weiterbildung in den Mittelpunkt. Start ist Anfang Februar 2017. Mehr dazu hier.