Im Kontext einer “neuen Normalität” (Covid-19) mit wenig vorhersehbaren Einschränkungen müssen sich interne und externe Bildungsanbieter Gedanken über ihren Mix an Trainings- bzw. Veranstaltungsformaten machen. Dieser Beitrag erläutert, wie wir bei scil dieses Thema angehen.
Wenn es denn Anschauungsunterricht dazu gebraucht hat, was es heisst, in einer VUCA-Welt (volatile, uncertain, complex, ambiguous) zu leben, so haben wir diesen in den letzten Wochen mit der Covid-19-Pandemie erhalten. Viele Bildungsanbieter wurden ordentlich durchgeschüttelt. Mittlerweile scheint an vielen Orten die Notfall-mässige Umsetzung von neuen Lern- und Angebotsformaten zu greifen. Darüber hinaus braucht es aber auch eine längerfristige Planung.
Trainings und Kurse, die synchron durch TrainerInnen bzw. LernbegleiterInnen geführt werden, sind ein Element im Leistungs- und Unterstützungsportfolio von Bildungsanbietern bzw. betrieblichen Bildungsbereichen. Nicht das einzige, aber ein wichtiges. Und sie müssen, insbesondere wenn sie Bestandteil von umfangreichen Weiterbildungsprogrammen sind, häufig länger als ein Jahr im Voraus terminlich fixiert werden.
Als (kleiner) Bildungsanbieter denken auch wir bei scil immer wieder darüber nach, wie wir unsere Weiterbildungen weiterentwickeln und für unsere Kunden verfügbar machen wollen. Beispielsweise auch, um unsere Reichweite über die deutschsprachige Schweiz, den süddeutschen Raum und den grenznahen Raum zu Österreich hinaus ausdehnen zu können. Im Zuge der Covid-19-Pandemie hat dieses Thema eine neue Aktualität und Dringlichkeit erhalten. Wir müssen von einer neuen Normalität ausgehen, die wohl noch einige Zeit anhalten und verschiedene, vermutlich auch wechselnde Einschränkungen (Abstandsregelungen, Beschränkungen von Auslands- bzw. Flugreisen) umfassen wird.
Erweiterter bzw. hybrider Kursraum
Wir werden auch im Rahmen dieser neuen Normalität nicht auf Präsenzphasen in unseren Modulen und Ausbildungen verzichten wollen. Diese sind für alle Beteiligten intensiv und stimulierend. Sie ermöglichen direkte Begegnung, körperliche Bewegung sowie schnelle Aktivitätswechsel. Und sie tragen, nicht zuletzt über die informellen (Pausen-)Gespräche, wesentlich zum Aufbau von guten Arbeitsbeziehungen sowie von beruflichen Netzwerken bei. Aber nicht jeder wird für jedes Modul im Rahmen der Ausbildung bei uns eine längere Anreise (ggf. mit Flug) auf sich nehmen wollen oder können.
Aus diesem Grund haben wir Anfang Jahr eine mobile Video-Station beschafft, die es uns ermöglicht, in verschiedenen Seminarhotels einen erweiterten Kursraum zu realisieren. Inspiration hierzu war für uns das erweiterte Klassenzimmer, das das Unternehmen Bühler AG seit einigen Jahren im Rahmen der Berufsausbildung umsetzt und weiterentwickelt (vgl. hier). Einzelne Teilnehmende können so per Webmeeting bzw. Videokonferenz von ihrem Arbeits- bzw. Wohnort am Präsenztraining in St.Gallen und Umgebung teilnehmen. Genau wie wir die Station in den verschiedenen Seminarräumen positionieren und welche Einstellungen wir bei Bild und Ton vornehmen müssen, um eine möglichst gute Interaktion mit den anderen Teilnehmenden vor Ort zu gewährleisten – das werden wir ausprobieren sobald wieder Präsenztrainings durchgeführt werden dürfen.
Interaktiv-Webinare
Einen wichtigen Schritt zur Bewältigung der aktuellen Situation haben wir bereits vor einigen Jahren gemacht, indem wir begonnen haben, Teile unserer Module als Interaktiv-Webinare durchzuführen. Dies hat uns die Umstellung auf einen reinen Online-Betrieb ab Mitte März sehr erleichtert.
Dennoch ist die Durchführung von ganztägigen Weiterbildungsveranstaltungen via Webmeeting anspruchsvoll. Dies gilt für die Modulleitenden bzw. Lernbegleiter ebenso wie für die Teilnehmenden. Je nachdem, wie viel Routine die Teilnehmenden in dieser Umgebung bereits haben, müssen die Rhythmisierung der Veranstaltungen und einzelne Aktivitäten angepasst werden. Ich denke, wir haben gute Schritte in diese Richtung gemacht, müssen daran aber noch weiter arbeiten. Mein Eindruck ist, dass wir unsere Teilnehmenden hier in den letzten Wochen sehr gefordert haben. Ich finde es aber auch toll, dass sie dabei sehr engagiert mitgegangen sind.
Viele, aber nicht alle aktivierenden Trainingsmethoden, mit denen wir gerne arbeiten, können in einem Webinar-Setting umgesetzt werden: Kontakt zum Thema via Metaphernarbeit herstellen geht; Aufträge in parallel laufenden Kleingruppen (Breakout Rooms) geht auch; Oxford-Debatte ebenfalls. Aber Kugellager als Format für das In-Kontakt-Kommen zwischen den Teilnehmenden, Themenspaziergang in Tandems oder (systemische) Aufstellungen – das geht nicht. Wenn jemand hierzu Vorschläge oder Erfahrungen hat – da sind wir sehr interessiert!
Trainingsumgebungen in virtueller Realität
Im Zuge der fortschreitenden technischen Entwicklung eröffnen sich weitere Optionen für die Durchführung von umfangreichen Weiterbildungen und Trainings in “Ko-Präsenz”: die Nutzung von virtuellen Trainingsumgebungen bzw. virtuellen 3D-Welten. Dies ist nicht völlig neu. Schon vor mehr als zehn Jahren haben erste Schulen und Hochschulen virtuelle Trainingsumgebungen in Second Life erprobt (vgl. z.B. diesen Artikel in Wikipedia und diesen wissenschaftlichen Artikel). Den Vorteilen, die Second Life als virtuelle Umgebung ermöglichte (z.B. erkundendes und erfahrungsbasiertes Lernen), standen erhebliche Nachteile gegenüber (z.B. technische Einschränkungen, kein Schutz vor mutwilligen Störern). Letztlich konnte sich Second Life nicht durchsetzen – auch nicht als Ort für synchrones Telelernen.
Inzwischen sind wir wieder ein gutes Jahrzehnt weitere und neue technische Lösungen für synchrones Lehren und Lernen in 3D-Umgebungen auf dem Desktop sind verfügbar. Bildungsdienstleister wie etwa die WBS-Gruppe mit ihrem Learnspace 3D, die SwissMEM-Academy oder auch die SBB (vgl. diesen Blogpost) setzen solche virtuellen Umgebungen bereits ein. Wir bei scil sind hier dabei, für uns offene Fragen zu klären. Beispielsweise dazu, wie in einer solchen 3D-Umgebung welche aktivierenden Interaktions- und Arbeitsformen (z.B. Metaphernarbeit, Kugellager, Themenspaziergang, Aufstellung, Jigsaw-Groups oder Oxford-Debate) so umgesetzt werden können, dass Zeitaufwand und Lernintensität ähnlich sind wie bei einem Training bzw. Workshop im Kursraum. Und, ganz wichtig, wie der informelle Austausch und das Netzwerken zwischen den Teilnehmenden in einer solchen Umgebung in einer guten Weise ermöglicht werden kann.
Gemeinsam mit dem Spezialisten für virtuelle 3D Lern- und Arbeitswelten TriCAT haben wir letzte Woche einen halbtägigen Workshop für Bildungsverantwortliche in einer Desktop-3D-Umgebung durchgeführt. Dabei haben wir bei der Planung und Umsetzung die verschiedenen verfügbaren Räume und deren Eigenheiten systematisch genutzt. Zentrale Elemente des Workshops waren u.a. eine Vorstellungsrunde im Park, ein kurzer Themen-Impuls im Auditorium, eine Aufstellung im Trainingsraum, parallel-laufendende Gruppenarbeiten in verschiedenen Meeting-Räumen, Ergebnispräsentation im grossen Trainingsraum und ein abschliessendes Blitzlicht zu den Eindrücken wiederum im Park:
Insgesamt hat dies für uns und die Teilnehmenden sehr gut funktioniert. Auch Teilnehmende, die zum ersten Mal in dieser Umgebung unterwegs waren, konnten gut mitarbeiten. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden haben gezeigt, dass sie dieses Setting als sehr motivierend und den halbtägigen Workshop im Vergleich zu einem Webmeeting als kurzweiliger, abwechslungsreicher und weniger ermüdend erlebt haben. Gleichzeitig betonen die Teilnehmenden aber auch, dass ihnen der direkte visuelle Kontakt zu den anderen Teilnehmenden gefehlt hat. Und wir selbst sehen noch Verbesserungspotenzial beispielsweise im Hinblick auf das Onboarding der Teilnehmenden.
Ein neuer Formate-Mix für die neue Normalität
Eine aktuelle Herausforderung für uns – ebenso wie für andere Bildungsanbieter – besteht also darin, einen neuen Mix an verschiedenen Durchführungsformaten zu entwickeln, der einerseits Flexibilität beim Bewältigen von Teilnahme- oder Reisebeschränkungen ermöglicht, andererseits aber auch eine mittelfristige Planung von Präsenzterminen. Dieser Mix sollte darüber hinaus die jeweiligen Stärken verschiedener Formate so integrieren, dass ein möglichst erfolgreiches Bildungsprogramm resultiert.
Wir sehen uns selbst diesbezüglich noch nicht am Ziel, aber auf dem Weg. Auf der Basis unserer bisherigen Erfahrungen (die insbesondere im Hinblick auf 3D-Umgebungen noch sehr begrenzt sind) erscheint für uns folgender Mix zielführend:
- Workshops & Trainings in (erweiterter) Präsenz
- Dieses Format ist insbesondere für unsere Einstiegsmodule und die Modultage zentral – sofern wir Präsenztermine durchführen dürfen.
- Das Ankommen von neuen Programmteilnehmenden, der Beziehungsaufbau und das Netzwerken werden hier besonders gut unterstützt.
- Die Möglichkeit einer technischen Erweiterung (erweiterter Trainingsraum) ermöglicht uns Flexibilität im Hinblick auf Teilnehmende mit weiter Anreise oder Reiserestriktionen.
- Interaktiv-Webinare
- Dieses Format (vgl. dazu auch diesen Post) ist insbesondere für unsere Modulhalbtage geeignet und erspart den Teilnehmenden eine Anreise.
- Eine Einführung der Teilnehmenden in diese Arbeitsumgebung ist häufig gar nicht mehr erforderlich, da viele bereits über Erfahrungen damit verfügen.
- Eine gute Ton- und Bildqualität unterstützt die direkte und lebendige Interaktion und Zusammenarbeit – insbesondere in kleinen Gruppen. Breakout-Rooms sind zentral für die Phasen, in denen die Teilnehmenden parallel an (verschiedenen) Aufträgen arbeiten.
- Darüber hinaus können wir auch die gemeinsamen Termine in der Transferphase (Offener Arbeitsraum, Follow-up) in diesem Modus gut umsetzen.
- VR-Trainingsraum
- Dieses Format erscheint uns insbesondere für Weiterbildungsmodule sinnvoll, in denen Themen wie digitale Kompetenzen, Coaching in virtuellen Umgebungen oder immersive Lernumgebungen im Vordergrund stehen. Darüber hinaus gegebenenfalls auch für unsere als “scil show&share” bezeichnenten Netzwerk-Termine.
- Die Teilnehmenden erleben sich vermittelt über einen personalisierten Avatar in einer häufig neuen und ungewohnten Umgebung und erweitern – sofern sie nicht erfahrene Gamer sind – ihre Medienkompetenz.
- Zu berücksichtigen ist allerdings, dass in diesem Format in der Regel noch eine Einführung der Teilnehmenden in die virtuelle Umgebung erforderlich ist (insbesondere das Sich-Bewegen und das Agieren mit dem Avatar). Hierfür ist zusätzlich Zeit zu veranschlagen.
- Die verschiedenen Räume (Lobby, Terrasse, Park, Auditorium, Besprechungsraum, Trainingsraum, etc.) unterstützen zusammen mit den in grosser Zahl einsetzbaren Medienwänden (mit jeweils unterschiedlichen Inhalten) eine sehr reichhaltige Lern- und Arbeitsumgebung.
- Aktivitäten, bei denen körperliches Handeln bzw. der Umgang mit körperlich präsenten Personen und Objekten wichtig sind, können hier gut trainiert werden – etwa Aufstellungen, das Arrangieren von Coaching-Situationen oder die Moderation von Grossgruppen-Veranstaltungen. Darüber hinaus kann mit virtuell repräsentierten Objekten gearbeitet werden (z.B. mit Modellen von Geräten und Maschinen oder auch mit in der Umgebung selbst angelegten virtuellen Formen und Bausteinen).
Die Umgebung TriCAT Spaces nutzen wir u.a. im Rahmen unseres Weiterbildungsmoduls “Immersive Lernumgebungen“.