1 Digitale Transformation, Machine Learning & Automatisierung
‘Digitale Transformation’ bezeichnet die tiefgreifenden Veränderungen, die aus dem intensiven Einsatz von fortgeschrittenen Technologien folgen: Veränderungen bei der Gestaltung von Leistungsprozessen, bei der Gestaltung der Interaktionen mit Kunden und Partnern, bei den Kundenerlebnissen und auch bei den Geschäftsmodellen. Wir erleben diese Veränderungen täglich, beim Bestellen im Online-Shop ebenso wie beim Zugreifen auf unsere Musik und unsere Tageszeitung in der Cloud.
Im Zusammenhang mit dieser Transformation wird auch von einer dritten Welle der Automatisierung gesprochen (vgl. Davenport, 2016): Nachdem Maschinen in einer ersten Welle viele körperlich anstrengende und gefährliche Arbeiten (z.B. im Bergbau) und in einer zweiten Welle viele Routineaufgaben (z.B. beim Verarbeiten von Buchungsbelegen) übernommen haben, sind heute auch anspruchsvollere Aufgaben von Wissensarbeitern betroffen (z.B. bei der Analyse von Mammografie-Bilddaten zur Identifikation von Tumor-Gewebe). Bei manchen dieser Aufgaben arbeiten maschinelle Systeme inzwischen in etwa so genau wie Menschen (z.B. Spracherkennung) oder sogar genauer (z.B. Bilderkennung) (vgl. Brynjolfson / McAfee, 2017).
Ein wichtiger Treiber für diese dritte Welle der Automatisierung ist das sogenannte maschinelle Lernen (‘machine learning’). Früher waren Maschinen nur so «schlau», wie das in ihrer Software kodifizierte (explizite) Wissen. Heute spielen verschiedene Formen wie überwachtes, teilüberwachtes, unüberwachtes und Feedback-basiertes Lernen von Maschinen eine wichtige Rolle bei der Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit (vgl. Brynjolfsson / McAfee 2017, S. 31 und diesen Blogbeitrag).
2 Freisetzung oder Augmentation menschlicher Arbeitskraft?
Mit diesen Entwicklungen rückt – wieder einmal – das Schreckgespenst einer umfassenden Freisetzung menschlicher Arbeitsleistung durch (intelligente) Maschinen in den Blick. Die sogenannte «Oxford»-Studie von Frey & Osborne (2013) hat uns diesbezüglich aufgeschreckt und in den Medien kursieren verschiedenste Abbildungen, die zeigen, wie hoch das Risiko ist, dass unsere Arbeitsleistung (und damit unsere Arbeitsplätze) durch eine intelligente digitale Maschine (Algorithmus, Roboter) ersetzt werden:
Aber auch “intelligente” Maschinen kommen an ihre Grenzen, beispielsweise wenn es Abweichungen von Standardprozessen gibt. Dann braucht es Menschen, die die Einschränkungen von Maschinen einschätzen, ihren Einsatzbereich eingrenzen bzw. Parameter anpassen oder die maschinell produzierten Ergebnisse mit anderen Problemstellungen verknüpfen. In der Zusammenarbeit von Menschen und Maschinen sind Ergebnisse möglich, die weder Menschen noch Maschinen alleine erbringen können. In ihrem Buch «Only humans need apply» (2016) lenken Davenport / Kirby den Blick auf genau diese wechselseitige Ergänzung bzw. Zusammenarbeit von Menschen und Computern, die sie als «Augmentation» bezeichnen.
3 Augmentation und Optionen / Strategien für die Personalentwicklung
Davenport / Kirby skizzieren fünf Augmentations- bzw. Entwicklungsstrategien, die sich für uns Menschen aus den oben geschilderten Entwicklungen ergeben: «step in», «step up», «build the steps», «step aside» und «step narrow» (vgl. Abbildung 2):
Diese fünf Entwicklungsoptionen sind allgemein formuliert. Sie gelten für unterschiedlichste Berufsgruppen. Davenport / Kirby haben vor allem Wissensarbeiter wie zum Beispiel Rechtsanwälte oder Fachleute aus Bereichen wie Finanzdienstleistungen oder Marketing im Blick. Diese Strategien gelten darüber hinaus aber auch für weitere Berufsgruppen: für kaufmännische Angestellte ebenso wie Fachkräfte in der Produktion oder Fachkräfte im Gesundheitswesen.
4 Entwicklungsstrategien für «Bildungsverantwortliche»
Die oben aufgezeigten Entwicklungsstrategien lassen sich beispielhaft auch auf unsere Berufsgruppe (Personalentwickler / Bildungsverantwortliche) beziehen. Auch hier gibt es mit jedem Technologieschub wiederkehrende Befürchtungen, dass Lehrpersonen oder Trainer ersetzt würden – durch Web-based trainings, durch MOOCs, durch teaching bots, etc. Wie könnten nun entsprechende Entwicklungsstrategien für uns aussehen?
- „Step in“ (Systeme nutzen):
Bildungsverantwortliche erarbeiten Kenntnisse und entwickeln Handlungskompetenzen im Hinblick auf die Potenziale, die Grenzen und die Nutzung von neuen Technologien, wie beispielsweise (KI-basierte) digitale Konzeptions- / Autoren- / Distributions- und Analytics-Lösungen, und nutzen diese für die effektive Gestaltung und Weiterentwicklung von Lernumgebungen.
Beispiele: Berücksichtigung von Analytics-Ergebnissen (z.B. welche Lernressourcen werden nicht aufgerufen / nicht kommentiert / negativ bewertet) bei der Überarbeitung eines Lernpfads bzw. eines Entwicklungsprogramms. Nutzung von Werkzeugen für E-Coaching um ein bestehendes Coaching-Programm um E-Coaching-Sequenzen zu erweitern. - „Step up“ (Systemeinsatz steuern):
Bildungsverantwortliche, v.a. in Entscheidungsfunktionen, erarbeiten sich einen Überblick über 1) die aktuellen Entwicklungen, 2) die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler und KI-basierter Technologien in Bildungsprozessen und 3) die Anforderungen bezüglich einer Passung mit den institutionellen bzw. organisatorischen Rahmenbedingungen. Sie sind damit in der Lage, Entscheidungen dazu herbeizuführen, wo und wie (intelligente) technische Lösungen in Bildungsprozessen eingeführt und eingesetzt werden sollen.
Beispiel: Beteiligung an der Sichtung / Evaluation innovativer Lernplattformen und Herbeiführen einer Entscheidung dazu, ob eine KI-basierte, adaptive Lernplattform eingeführt wird, um Studierende bei der individualisierten Erarbeitung von curricular vorgegebenen Inhalten zu unterstützen. - „Step aside“ (Design- & Sozialkompetenz stärken):
Auf der Basis von Kenntnissen zu Potenzialen und Grenzen von (KI-basierten) digitalen Konzeptions- / Autoren- / Distributions- und Analytics-Lösungen konzentrieren sich Bildungsverantwortliche bewusst auf Aufgaben und Fähigkeiten, bei denen Menschen (intelligenten) Maschinen überlegen sind. Sie setzen auf ihre kreativen Gestaltungs- und Sozialkompetenzen und schärfen ihr diesbezügliches Profil.
Beispiel: Ausgehend von einem Profil als Fachexperte / Fachtrainer Weiterentwicklung in Richtung Lern- und Entwicklungsberater für die zuvor schon betreute Zielgruppe. Oder die kreative und innovative Entwicklung neuer Ideen und Lösungen für Inhalte und Lernangebote für diese Zielgruppe. - „Step narrow“ (Nischen suchen):
Bildungsverantwortliche suchen Nischen, die wenig Potenzial für intelligente und automatisierte Systeme bieten und entwickeln sich in diesen Nischen zu Spezialisten. Etwa im Hinblick auf die Analyse und Gestaltung von institutionellen Rahmenbedingungen für Lernen und Entwicklung.
Beispiel: Aufbau von Kompetenzen zur Analyse organisationaler Lernkulturen und der Gestaltung von wirksamen Veränderungsimpulsen für Lernkulturen. - „Build the steps“ (Innovation und Systementwicklung):
Bildungsverantwortliche bauen Kompetenzen auf, die es ihnen ermöglichen, innovative digitale Lösungen für Lernen & Kompetenzentwicklung entweder selbst zu entwickeln oder bei der Entwicklung von solchen Lösungen mitzuarbeiten.
Beispiel: Mitarbeit an einer KI-basierten Lösung für das Erstellen von zielgruppenspezifischen didaktischen Entwurfsmustern.
5 Augmentationsstrategien als Folie für lebenslanges Lernen
Die aktuellen Entwicklungen im Bereich KI und ‘machine learning’ sind nur ein Beisiel für die permanenten, Technologie-induzierten Veränderungen, mit denen wir in unserer Arbeitswelt konfrontiert sind. Für Personalentwickler stellt sich damit immer wieder die Frage, welche Entwicklungsoptionen für die von ihnen betreuten Zielgruppen passen und wie diese umgesetzt werden können.
Dabei müssen sie sich nicht nur dazu orientieren, was (intelligente) Maschinen leisten können und welche Technologien ganz konkret in naher Zukunft in den Arbeitsprozess eingeführt werden. Sie müssen bisherige Entwicklungsstrategien und diesbezügliche Präferenzen ebenso diagnostizieren wie die von den aktuellen Entwicklungen betroffenen Aufgaben- und Kompetenzbereiche. Und sie müssen sich dazu schlau machen, wie denn andere bei ähnlichen Technologieschüben nachhaltige Entwicklungsstrategien umgesetzt haben und welche Lehren sich daraus ableiten lassen (vgl. dazu die folgende Abbildung).
Weiterführende Links:
- Wirtschaft + Weiterbildung (Haufe)
Ein komplementärer Beitrag, der ein Beispiel für die Ausgestaltung eines Entwicklungsprogramms für Bildungsverantwortliche gemäss der hier vorgestellten fünf Optionen skizziert, erscheint in der März-Ausgabe von wirtschaft + weiterbildung. Sobald dieser Beitrag online verfügbar ist, werden wir hier darauf verlinken. - Zertifikatsprogramm “Digitale Bildung” (scil academy)
Ein modulares Weiterbildungsprogramm für Bildungsverantwortliche, das auf dem Konzept der Augmentation und den hier vorgestellten Optionen aufsetzt. - scil Innovationskreis 2018 (scil consulting)
scil führt regelmässig Innovationskreise mit einer Gruppe von Partnern durch. Die hier aufgezeigten Entwicklungsoptionen und die daraus abgeleiteten Aufgaben für die Personalentwicklung (vgl. Abbildung 4, oben) sollen Gegenstand des scil-Innovationskreises 2018 werden. Weitere Informationen zu scil Innovationskreisen finden Sie hier. Sie sind an einer Beteiligung interessiert? Bitte nehmen Sie mit uns Kontakt auf.
Literaturverweise:
Brynjolfsson, Erik; McAfee, Andrew (2017): Von Managern und Maschinen. In: Harvard Business Manager (November), S. 22–34.
Davenport, Thomas H.; Kirby, Julia (2016): Only humans need apply. Winners and losers in the age of smart machines. First edition. New York, NY: Harper Business.
Frey, Carl Benedikt; Osborne, Michael (2013): The future of employment. Hg. v. Oxford Martin Programme on the Impacts of Future Technology. University of Oxford. Oxford, UK. Online verfügbar unter: https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/future-of-employment.pdf
.