Am 8. März 2016 besuchte ich die Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Jan Marco Leimeister an der Universität St. Gallen. Neben seiner Tätigkeit in St. Gallen ist Jan Marco Leimeister Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik an der Universität Kassel. Zuvor wirkte er an der Technischen Universität München und an der Universität Hohenheim. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt er sich ausführlich mit der Digitalisierung. Einen Ausschnitt daraus gab er in seiner Antrittsvorlesung wieder. Diese trug den Titel „Digitalisierung und Arbeit der Zukunft – Herausforderungen für Management, Gesellschaft und Universität“ (Leimeister, 2016). Im folgenden Blog möchte ich die vier Kernaussagen seines Vortrages zusammenfassen.
1. Die Digitalisierung verändert zahlreiche Lebensbereiche.
Die Digitalisierung verändert mit Hilfe von digitalen Technologien fast alle Bereiche unserer Gesellschaft (sog. digitale Transformation). Neben privaten Bereichen, man denke an den zunehmenden Einsatz von Smartphones und die damit verbundenen neuen Möglichkeiten, ist auch die Wirtschaft betroffen. Zunehmend werden alte Geschäftslogiken in Frage gestellt und durch neue ersetzt. Schaut man sich beispielsweise die Marktkapitalisierung (diese stellt den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg dar) von Unternehmen an, so ist diese schon heute bei vielen „digitalen“ Unternehmen (z. B. facebook, google) höher als bei „analogen“ Unternehmen (z. B. Daimler). Neuen Unternehmen wird an der Börse folglich eine bessere Zukunft vorausgesagt als alten Unternehmen.
Damit die Digitalisierung stattfinden kann und sich ein Digital Business mit digitalen Prozessen, digitalen Konsumenten und „smarten Produkten“ etablieren kann, sind Daten notwendig. Diese sind wortwörtlich „the new oil“ der Gesellschaft. Sie stellen die Grundlage für individualisierte Dienstleistungen dar. Mit ihnen wird das Produkt immer mehr zu einem Serviceträger (z. B. smart watch). Letztendlich ermöglichen diese neue Geschäftsmodelle im digitalen Kontext. So konnte sich beispielsweise Amazon vom einfachen Onlineversand zu einem „everything as a service“ Anbieter weiterentwickeln.
2. Durch die Digitalisierung entstehen neuen Arbeitsformen und digitale Wertschöpfungssysteme.
Neue digitale Erwerbsarbeiten werden durch die digitale Transformation ermöglicht. Stellvertretend hierfür steht Crowd Working. Erstmals wurde der Begriff von Jeff Howe (2006) gebraucht. Im Gegensatz zu klassischen Arbeitsverhältnissen, bei dem sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch einen langfristigen Vertrag binden, ist Crowd Working auf kurzfristige Austauschbeziehungen angelegt. Leistungsanbieter (resp. Arbeitnehmer) bieten auf IT-basierten Marktplätzen ihre Dienste an. Leistungsnachfrager (resp. Arbeitnehmer) schreiben ihre Nachfragen nach Services auf diesen auf. Auf Basis freiwilliger Teilnahme arbeiten beide Seiten so zusammen und es findet ein gegenseitiger Leistungsaustausch statt (Erstellung einer digitalen Dienstleistung und monetäre Kompensation). Nach Abschluss des Geschäfts ist die Beziehung beendet. Folglich ist Crowd Working eine neue Arbeitsform, welche neben dem traditionellen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis mit zukünftig steigender Tendenz existieren wird. Spannend ist, wie sich diese neue Form mit den bisherigen Management-Instrumenten bearbeiten und gestalten lässt. Weiterhin ermöglich Crowd Working neue digitale Wertschöpfungssysteme. Schaut man sich beispielsweise siwsscom an, so bietet diese bereits Support-Dienstleistungen via „Swisscom Friend“ auf Basis einer Crowd Working-Plattform an.
3. Durch die Digitalisierung sind neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen notwendig.
Die Digitalisierung bringt Chancen, Risiken und Folgen mit sich. Bezogen auf das Beispiel „Crowd Working“ hat das für das Individuum, das Unternehmen und die Gesellschaft mehrschichtige Entwicklungen. Der Einzelne hat durch Crowd Working mehr Flexibilität und Selbstbestimmung in der Gestaltung seiner Arbeit. Problematisch kann die Überwachung des Arbeitsprozesses durch die Existenz von Daten sein. Die Digitalisierung setzt ihn einem permanenten Wandel aus, in dem er sich kontinuierlich weiterentwickeln muss.
Unternehmen können durch Digitalisierung neue Geschäftsmodelle entwickeln. Mit Hilfe deren gelingt es ihnen Leistungen in immer kürzerer Zeit und besserer Qualität zu erstellen. Jedoch sind sie neuen Widerstandsformen und Angriffspotentialen ausgesetzt (Stichwort „Hacking“). Schliesslich werden sie den Umgang mit neuen Technologien lernen und in immer kürzeren Veränderungszyklen denken müssen.
Die Digitalisierung kann in der Gesellschaft zu mehr Wohlstand führen, wenn jeder Einzelne und die Unternehmen von ihr positiv profitieren können. Gefahr besteht jedoch, wenn die neuen Entwicklungen in negative Formen münden und beispielsweise eine neue Form von „Taylorismus“ entsteht. Hierfür sind neue Regularien (z. B. Code of Conduct für Crowdworker) und Weiterentwicklungen institutioneller Ordnungen notwendig. Beipielsweise ist der Sozialstaat in seiner jetzigen Form nur bedingt auf Crowd Working ausgelegt.
4. Die Digitalisierung erfordert neue Formen der Aus- und Weiterbildung für ein lebenslanges Lernen.
Die digitale Transformation erfordert neue Kompetenzen. Zukünftige Technologien stellen bisherige Lerninhalte in Frage und verlangen nach neuen Lösungen. Der reine Wissenserwerb wird weniger wichtig sein, da digitale Technologien immer mehr unterstützend wirken. Vielmehr sind Kompetenzen im Umgang mit sog. Querschnittsaufgaben an der Mensch-Maschine-Schnittstelle notwendig. In der Debatte um „digitale“ Kompetenzen stellen sich folgende Fragen:
- Welche Tätigkeiten sind nicht automatisierbar? Welche Kompetenzen werden zukünftig benötigt?
- Wie lassen sich menschliche und technische Stärken verknüpfen?
- Welche Anforderungen entstehen aus der digitalen Transformation (z. B. Umgang mit Big Data)?
Die neuen „digitalen“ Kompetenzen stellen auch die am Bildungsprozess beteiligten Akteure vor Herausforderungen:
- Ausbildungsdienstleister: neue Formen von Aus- und Weiterbildung
- Individuum: lebenslanges Lernen, Umgang mit Veränderungen
- Unternehmen: Institutionalisierung von Prozessen für Veränderungen
- Bildungssystem: Umgang mit der Digitalisierung von der Primar- bis zur Tertiärstufe
- Forschung an Universitäten und Hochschulen: Zukünftige Relevanz von Beiträgen aus der Forschung
Neben den Neuerungen zu Lerninhalten und Lernbeteiligten ändern sich Lehr-/Lernszenarien. IT-gestützte Lernformen und arbeitsplatzintegriertes Lernen werden sich in der Zukunft um Formate wie arbeitsplatzfernes Lernen (z. B. MOOCs) und kontextsensitives Lernen (Lernformate, welche sich auf Basis von Nutzerdaten individuell anpassen) erweitern. Trotzdem wird hier weiterhin der Mensch am Lernprozess beteiligt sein, es wird ein „blended learning“ von technologiebasiertem und personellem Lernen geben. Eine vollständige Substitution durch Computer kann und wird nicht stattfinden.
Unser Fazit
Für uns bleibt es spannend, wie sich die digitale Transformation auf das Lernen in verschiedene betriebliche Kontexte auswirken wird. Tatsächlich werden sich zahlreiche neue Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs auftun. Dies wird aber nur mit einem Veränderungsprozess für Learning Professionals und für Bildungsorganisationen passieren können. Diesen Wandel gilt es aktiv zu gestalten, um nicht von der digitalen Transformation überrannt zu werden.
Quellen:
Howe, J. (2006). The Rise of Crowdsourcing. Wired Magazine, 14(6), 1–4.
Leimeister, J. M. (2016). Digitalisierung und Arbeit der Zukunft. Herausforderungen für Management, Gesellschaft und Universität. Antrittsvorlesung an der Universität St.Gallen am 08.03.2016. St.Gallen.
Schreiben Sie einen Kommentar