Nachtrag 30.01.2017
Rückblick von Jochen Robes auf die Learntec 2017.
1992 fand die Learntec zum ersten Mal statt – mittlerweile war es die 25. Durchführung von Messe und Kongress in Karlsruhe. Die Themen haben sich gewandelt. Eine kurze Animation auf Check.point eLearning zeigt die Entwicklung der Themenschwerpunkte auf: von CBT, LMS und Autorenwerkzeugen in den neunziger Jahren zu Multimedia, online Tutoring und eTrainer sowie virtuelle Akademien in den frühen 2000er Jahren, danach kamen bis 2010 Themen wie Rapid eLearning, Social Media und informelles Lernen hinzu.
In diesem Jahr stand die Learntec unter dem Motto “Zukunft Lernen: Lernwelten neu denken”. Im Mittelpunkt standen unter anderem folgende Themen:
- Future Workplace Learning
- Adaptivität und Individualisierung des Lernens
- Serious Games
- Lernszenarien in VR- / 3D-Umgebungen und Wearables
- Learning Analytics und Big Data
Der Kongress war sehr gut besucht und zum Teil wurde es in den Räumen richtig eng. Die Keynote von Elliott Masie habe ich leider verpasst. Aber dafür gab es danach noch eine ganze Reihe weiterer interessanter Vorträge und Präsentationen…
In den Foren zu “Modern Workplace Learning” und “Future Workplace Learning” ging es unter anderem um die Veränderung der Rollen von Lernenden und Lehrenden / Lernbegleitern (Hedwig Seipel) hin zu neuen Rollenprofilen wie sie beispielsweise von Jane Hart formuliert wurden (Facilitator, Learning Experience Designer, Curator, etc.).
Nele Graf (Hochschule für Angewandtes Management) präsentierte Ergebnisse aus dem Projekt LEKAF (Lernkompetenzen analysieren und fördern). Im Rahmen einer gross angelegten Studie wurden über 10’000 Mitarbeitenden aus verschiedenen Unternehmen (primär im Sektor Dienstleistungen) wurden u.a. zu Lernmotivation, Medienkompetenz, Selbststeuerung und Rahmenbedingungen für Lernen berfragt. Für 63% der Befragten ist Lernen ein elementarer Bestandteil der Arbeit. Gleichzeitig geben ca. 40% an, dass sie “Druck” von anderen brauchen, um ins Lernen zu kommen und 87% sagen, sie schätzen extrinsische Anreize zum Lernen. Bedenklich ist, dass nur knapp 40% der Befragten angeben, sie wüssten welche Ziele sie mit ihren Lernaktivitäten erreichen wollten und knapp 50% geben an, der Einstieg in Lernaktivitäten falle ihnen schwer. Vor diesem Hintergrund stellt Graf die Frage, ob sehr kleine Lerneinheiten im Umfang von ca. 5′ Länge (eine häufig für Microlearning und Nuggets empfohlene Grösse) wirklich sinnvoll sind und ob nicht doch eher – dem Beispiel der Harvard Business School folgend – etwas grössere Einheiten im Umfang von ca. 20′ sinnvoll sind. Vor dem Hintergrund der breit propagierten Verlagerung von Verantwortung für Lernen auf die Mitarbeitenden selbst und die Betonung der Rolle der Führungskräfte als zentrale Unterstützer ist interessant, dass nur 9% der Befragten bei Lernaktivitäten “gute Unterstützung” durch ihre jeweiligen Führungskräfte wahrnehmen.
Es ging in diesem Forum aber auch um Formen der Entwicklung jenseits formal organisierter Weiterbildung. Karie Willyerd (Head Global Education, SAP) stellte in ihrem Vortrag “Stretch – How to future-proof yourself for tomorrow’s workplace“) fünf Entwicklungsstrategien vor, die uns helfen aktuelle und künftige (berufliche) Herausforderungen zu meistern:
- die tägliche Arbeit nicht immer in einem “Verrichtungs”- oder “Leistungs”-Modus erbringen sondern immer wieder auch ein Projekt definieren, an dem man in einem “Entwicklungs”-Modus arbeitet;
- aktiv Feedback von anderen suchen und dieses dann auch aufnehmen;
- ein diverses berufliches Netzwerk , gezielt entwickeltn und erweitern (“Who are your five [zentrale Kontakte] to thrive [zum Wachsen]?”);
- bewusst und gezielt neue Erfahrungen suchen; Willyerd ist der Meinung, dass man mindestens alle drei Monate einmal eine Aufgabe / Situation suchen sollte, bei der man nicht sicher ist, ob man diese auch bewältigen kann;
- entsprechend dann das Nicht-Gelingen / Scheitern als Entwicklungschance verstehen und nutzen. (Link zum gleichnamigen Buch)
Im Forum “Lernszenarien in VR / 3D-Umgebungen” zeigte Torsten Fell (AXA Winterthur / torstenfell.com) zum Einstieg die Bandbreite von immersiven Lernumgebungen auf: von 360° Fotos und Videos (z.B. bei der Schulung zum Verhalten in Verkehrsunfall-Situationen), mobile VR-Anwendungen auf Grundlage von Smartphones, Mixed-Reality bzw. Augmented Reality Anwendungen auf der Grundlage von Google Hololens – z.B. für Support-Prozesse) bis hin zu PC-basierten VR-Umgebungen. Er verwies auf einen rasch wachsenden Markt an Endgeräten und Autorenumgebungen und zeigte abschliessend schematisch verschiedene Umsetzungsszenarien für das Lernen in VR-Umgebungen: allein, mit Lernpartnern, mit Coach und anderen Lernenden als Beobachtern, etc.
Im darauf folgenden Beitrag fokussierte Dominic Fehling (Bergische Universität Wuppertal) das Thema “Content-Design für das Lernen mit AR und VR” anhand des laufenden Projekts “Social Virtual Learning”. Wenn Maschinen und Produktionsumgebungen immer komplexer und teurer werden, stehen sie für die Aus- und Weiterbildung oft nicht oder nicht in aktuellen Versionen zur Verfügung. Hier können VR-Umgebungen ins Spiel kommen. Diese erlauben dann beispielsweise, mit Berufslernenden im Berufsfeld Medien / Druck eine Rotationsmaschine und deren Funktionsweise zu erkunden. Oder mit angehenden Servicetechnikern zu üben, bestimmte Bauteile zu demontieren und wieder zu montieren.
Bei der Entwicklung dieser Lernumgebungen stellen sich natürlich auch Fragen zu einer lernförderlichen Gestaltung. Welcher Kontext soll erzeugt, wie soll die Umgebung bzw. der Raum gestaltet werden? Welche Aktionen und / oder Interaktionen sollen möglich sein? Zwischen Lernenden und Gegenständen im vrituellen Raum? Zwischen verschiedenen, durch Avatare repräsentierten Lernenden und einem Betreuer? etc. Was machen Lernende einer Lerngruppe, die gerade nicht im virtuellen Raum aktiv sind? Welche Beobachtungs- und / oder Feedback-Aufgaben können ihnen zugewiesen werden. Die Entwicklung dieser Lernumgebungen ist nach Einschätzung von Fehling immer noch vergleichsweise aufwändig. Relevante Einsatzszenarien sieht er primär im Bereich Qualitätsentwicklung, Wartung und Instandhaltung sowie Assistenz und Hilfestellung.
Welche Veränderungen und Umbrüche Bildungsdienstleister unter Umständen bewältigen müssen, das zeigten André Bliss und Artur Schal vom Institut für Berufliche Bildung auf. In der Folge geänderter Vorgaben bei der geförderten Weiterbildung (Umstellung auf Bildungsgutscheine) sah sich das Institut, das über 260 Standorte in allen deutschen Bundesländern verfügt, mit völlig veränderten Rahmenbedingungen konfrontiert: an die Stelle von Agenturen als Kunden bzw. Auftraggebern, die gut planbare Massnahmen für ganze Teilnehmendengruppen beauftragten, traten einzelne Kunden, die mit Bildungsgutscheinen zwischen verschiedenen Anbietern wählen können und die ihre Weiterbildungen zu dem für sie passenden Zeitpunkt umsetzen wollen. Das Bildungsunternehmen musste seine Angebotsstrukturen und Prozesse völlig umstellen. In einem ersten Schritt erfolgte dies durch tutoriell begleitetes Blended Learning an den bisherigen Standorten, in einem zweiten Schritt durch die Entwicklung eines Blended Learning Designs, dass sehr stark auf virtuelle Klassenräume (auf Basis des Produkts Vitero) setzt, ergänzt durch eine leistungsfähige Lernplattform (LMS). Aktuell werden ca. 4’000 Lernende täglich in verschiedenen virtuellen Klassenzimmern unterrichtet bzw. betreut. Die dadurch erforderlichen Veränderungen im Unternehmen wahren vielfältig und umfassend: Anpassung des Unterrichtskonzepts; Einrichten der technischen Infrastruktur; Zentralisierung und Automatisierung von Prozessen; Digitalisierung von Dokumenten; Anpassung von Organisationsstrukturen (Gründung von neuen Fachabteilungen z.B. für EDV-Support, online-Fachdidaktik, Recruiting für online Tutoren, etc.). Damit einher ging ein tiefgreifender Kulturwandel, der sich unter anderem im veränderten Leitbild für Lehrpersonen (vom “Lehrer” zum Betreuer / Lernbegleiter) manifestiert, aber auch die interne Kommunikation und Transparenz betrifft.
Im Forum “Didaktik” zeigte Harald Geissler, Universität der Bundeswehr Hamburg, dass auch Lern- / Entwicklungsszenarien wie Coaching, die ganz stark mit persönlicher Nähe assoziiert werden, sinnvoll virtuell umgesetzt werden können. Im Hinblick auf die Entwicklung und Umsetzung von E-Coaching sieht er die zentralen Herausforderungen nicht in einem Mangel an geeigneten Werkzeugen (davon gibt es viele – nur ist dieser Markt unübersichtlich).
Vielmehr fehlt es Geissler zufolge derzeit noch konzeptionelle Grundlagen für die Umsetzung von E-Coaching. Geissler zeigte kurz eine ganze Reihe von verschiedenen Werkzeugen und verortete diese in einem über die Dimensionen E-Learning, Action Learnning, online-Spiel und psychotherapeutische Interaktion aufgespannten Raum. E-Coaching ist Geissler zufolge nicht als eine defizitäre Variante von “richtigem” Coaching in einer face-to-face Situation zu sehen. Vielmehr weist E-Coaching spezifische Merkmale auf, die je nach Situation einen besonderen Nutzen stiften können: Wegezeiten fallen weg und es werden kürzere Sitzungen in kürzerer Abfolge möglich; die physische Coaching-Situation, die u.U. viel Aufmerksamkeit der Beteiligten bindet, entfällt und es bleibt ein grösseres Aufmerksamkeitspotenzial für die eigentlichen Coaching-Themen; die technische Vermittlung der Kommunikation ermöglicht mehr Distanz zum Coach und kann damit manchen Menschen das Behandeln sensibler Themen erleichtern; und mit dem Einsatz von Text-basierten Coaching-Werkzeugen entstehen gleichzeitig Protokolle, die in späteren Phasen als Erinnerungshilfen oder Reflexionsmaterialien genutzt werden können.
Arne Gels (TÜV Rheinland) zeigte die für Beiersdorf entwickelte und 2016 mit dem digita Preis ausgezeichnete “Virtuelle Apotheke”, eine Mischung aus Desktop-VR-Umgebung und serious Game. Diese Plattform, die seit 2011 im Einsatz ist und kontinuierlich weiterentwickelt wird, unterstützt die Entwicklung von Produktwissen, beispielsweise zu beratungsintensiven, hochpreisigen Produktlinien wie den Eucerin-Hautpflegemitteln in Apotheken.
Die zentralen Elemente des Lerndesigns sind das Bereitstellen von Informationen (PDF-Dokumente, Videos, etc.), die Interaktion mit durch Avatare repräsentierten Kunden und deren Anliegen (auf unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen) sowie unmittelbares Feedback dazu. Diese Lernplattform kann sowohl an PCs als auch über mobile Endgeräte genutzt werden.
SAP Education als grosser Trainingsanbieter mit Angeboten rund um die Qualifizierung von SAP Anwendern und SAP Experten betreibt das SAP Learning Hub mit ca. 500’000 registrierten Nutzern und als Teilbereich davon die kostenpflichtigen Learning Rooms (moderierte online Lerncommunities) mit insgesamt ca. 100’000 Nutzern. Thomas Jenewein (SAP) stellte seinem Beitrag die Frage: “Machen Lern-Communities Sinn?“. Er zeigte zunächst beispielhaft einen moderierten Learning Room und die dort verfügbaren Ressourcen.
Dann berichtete er über Ergebnisse einer internen Untersuchung dazu, welche Faktoren die Akzeptanz für Learning Rooms auf Seiten der Lernenden ebenso wie der Moderatoren beeinflussen. Ausgehend u.a. vom Technology-Acceptance-Model (Davis JAHR) wurde in einer qualitativen Studie untersucht, welche Aspekte zur Benutzerfreundlichkeit und zum wahrgenommenen Nutzen beitragen – sowohl aus Sicht der Moderatoren (hauptberufliche Trainer) als auch aus Sicht der Lernenden. Im Hinblick auf Benutzerfreundlichkeit sind aus Sicht der Lernenden Aspekte wie die Übersicht über die verfügbaren Inhalte, die Verfügbarkeit von Unterstützung durch Moderatoren, eine Einführung in die Nutzung der Learning Rooms und die Verfügbarkeit von Inhalten auch offline wichtige Aspekte. Aus Sicht der Moderatoren / Trainer sind Aspekte wie die einfache Einrichtung des Raums, die Unterstützung bei der Einrichtung und auch die Aufwandsentschädigung wichtig. Für die Wahrnehmung des Nutzens stehen aus Sicht der Lernenden der Umfang der verfügbaren Lernressourcen, deren Qualität, die Flexibilität des Angebots und der Zugang zu Experten im Vordergrund. Aus Sicht der Moderatoren sind hier insbesondere positives Feedback durch die Teilnehmenden und die Intensität der Nutzung durch die Teilnehmenden (viele Teilnehmende, viele Posts, etc.) wichtig. Zu den wichtigen Lessons Learned zählt Jenewein dass das Ziel und der Nutzen der Learning Rooms (der moderierten Lerncommunities) deutlich herausgestellt werden muss, dass viel erklärt werden muss (insbesondere für erstmalige Nutzer) und dass unrealistische Erwartungen der Moderatoren im Hinblick auf die Intensität der Beteiligung durch die Lernenden (und damit verbundene Enttäuschungen) aufgefangen werden müssen.
Im Forum zu Video-basiertem Lernen erläutere Marc Figur (how2) Designmerkmale von guten Erklärvideos: klares Inhalte-Konzept, zielgruppenorientierte Umsetzung von der Storyline über Designelemente (Bild, Animation, Tonalität, etc.) bis hin zur Integration in eine Gesamtkampagne. Es wurde aber auch in die Zukunft geschaut. Claudia Garad (Wikimedia Österreich) stellte ein Projekt vor, das darauf abzielt, die auf Wikipedia frei verfügbaren Wissensinhalte für neue Zielgruppen (z.B. Analphabeten) zu erschliessen, indem aus einleitenden Passagen zu den Wikipedia-Artikeln (halb-)automatisiert einfache Erklärvideos erstellt werden. Alexander Siebert (Retresco) zeigte dann aber die damit verbundenen Herausforderungen auf (Integration von Weltwissen, Layout-Roboter, Schlagworte für unterschiedliche Sprachen, etc.).
Je mehr Mitarbeitende auf verschiedenen Cloud-basierten Lernplattformen unterwegs sind, desto wichtiger werden grundlegende Sicherheitsmassnahmen. Der IT-Spezialist und “ethical Hacker” Marco Di Filippo demonstrierte, wie schnell und einfach aus Nachlässigkeit resultierende Angriffspunkte (“123456” und “Passwort” sind nach wie vor die am häufigsten gewählten Passwörter; starke Passwörter verwenden nur ca. 1% der Nutzer) ausgenutzt werden können. So finden sich immer wieder (Notiz-)Zettel mit IP-Adressen, Benutzerkennungen und Passwörtern am Arbeitsplatz, die über hochauflösende Fotos oder Videos von scheinbar unverfänglichen Situationen erfasst werden können. Durch Einbrüche bei grossen Unternehmen wie z.B. LinkedIn oder Dropbox wurden allein im Jahr 2016 ca. 800 Millionen Datensätze mit Benutzernamen, Email-Adressen und Passwörtern erbeutet. Diese werden im Darknet zum Kauf oder Tausch angeboten. Di Filippo zeigte live und sehr eindrücklich, wie man mit einem solchen Datensatz, den auf Webseiten bzw. sozialen Netzwerken öffentlich verfügbaren Informationen und frei verfügbaren Werkzeugen zum Erstellen von Trojanern schnell, einfach und gezielt Unternehmensmitarbeitende angreifen und zum Laden eines Trojaners bewegen kann.
[…] Robes wies auf Twitter auf zwei Rückblicke zur LEARNTEC hin, die eine recht vielfältig, die andere kritisch bezogen auf E-Learning – und dass man im Grunde noch nicht allzu weit […]