Unsere Arbeits- und Lernwelten verändern sich und die Zusammenarbeit mit “smarten Maschinen” (Assistenzsystemen auf Basis von generativer KI) wird zum “neuen Normal”. Damit wir dabei erfolgreich sind, benötigen wir mehr Wissen und Kompetenzen zu diesen Assistenzsystemen. Und dies wiederum erfordert Veränderungen bei Bildungsinstitutionen und Bildungsverantwortlichen.
Die Veranstaltung “Fokus Berufsbildung” ist ein innovativer Fachkongress für die Schweizer Berufsbildung, organisiert vom Kaufmännischen Verband, yousty und EB Zürich. Für die diesjährige dritte Durchführung war ich eingeladen, einen Beitrag einzubringen. Das Rahmenthema lautete “Vom ‘Oh no!’ zum ‘Aha!’ – Positiv gelebte Fehlerkultur in der Berufsbildung.” Mein Beitrag stand unter dem Titel “Wird die Zukunft fehlerfrei? Wie KI Berufsarbeit und Berufsbildung verändert” angekündigt.
Um die Leitfrage zu beantworten, habe ich etwas ausgeholt und folgende Punkte beleuchtet:
- Unsere Arbeitswelt verändert sich (New Work und generative KI).
- Die Zusammenarbeit mit “smarten Maschinen” (Assistenzsystemen auf Basis von generativer KI) wird zum “neuen Normal”.
- Damit wir dabei erfolgreich sind, benötigen wir relevantes Wissen und Kompetenzen.
- Diese Entwicklungen haben Folgen für Bildungsinstitutionen ebenso wie für Bildungsverantwortliche und erfordern Anpassungen.
Hier thesenartig die Kernpunkte meines Beitrags:
- Generative KI und ‘smart assistants’ sind eine Facette von ‘New Work’. Mit Blick auf diese Veränderungen ist auch die Rede von ‘Human-robot Collaboration’ und von “Industrie 5.0”.
- Studien zeigen, dass bereits viele Menschen Werkzeuge wir ChatGPT / GPT-4 in der täglichen Berufsarbeit einsetzen – allerdings wird oft nicht darüber gesprochen, weil die Menschen unsicher sind, ob das in Ordnung / erlaubt ist.
- Es ist abzusehen, dass wir künftig noch intensiver mit Assistenzsystemen auf der Grundlage von generativer KI arbeiten werden (Stichwort Microsoft 365 Copilot).
- Damit diese Zusammenarbeit mit ‘smarten’ Assistenzsystemen erfolgreich und zielführend ist, müssen einige Voraussetzungen gegeben sein. Insbesondere braucht es:
- Transformations-Kompetenz (mehr dazu in diesem Dokument der OECD);
- Wissen zu Funktionsweisen, Besonderheiten & Limitationen von LLMs & GPTs;
- Expertise in der Gestaltung des Kooperationsprozesses mit ‘smarten’ Assistenzsystemen und
- Sensibilität für damit verbundene ethische Herausforderungen und Fragen der Sicherheit / des Datenschutzes.
- Diese Entwicklungen haben Konsequenzen für Bildungsinstitutionen und Bildungsverantwortliche:
- ‘Smarte’ Assistenzsysteme auf der Grundlage von generativer KI müssen als integraler Bestandteil von Arbeits- und Lernwelten verstanden werden.
- Es braucht Offenheit für den daraus resultierenden Veränderungsbedarf.
- Es braucht Anpassungen beim Leistungsportfolio, insbesondere beim Angebotsportfolio, bei den Lehr-Lernformaten und bei Prüfungen bzw. Kompetenznachweisen.
- Kompetenzen und Ressourcen müssen aufgebaut werden – sowohl auf der Seite der Bildungsinstitutionen als auch auf der Seite der Bildungsverantwortlichen:
- KI-Kompetenzen von Lehrenden und Lernenden;
- Lizenzierung von Produkten / Services im Bereich generative KI;
- Optimierung von Produkten / Services im Bereich generative KI (beispielsweise für Prüfungs(vor)korrekturen);
- Integration von Produkten / Services im Bereich generative KI in technische Lernarchitekturen (beispielsweise in Lernplattformen).
Wird die Zukunft mit Assistenzsystemen fehlerfrei?
Vor diesem Hintergrund bin ich dann wieder auf die mir gestellte Ausgangsfrage: “Wird die Zukunft fehlerfrei” zurückgekommen.
Meine Antwort heute lautet: nein, wird sie nicht. Aktuell verfügbare Assistenzsysteme wie ChatGPT / GPT-4 sind nicht dafür optimiert, korrekte Ausgaben zu liefern. Sie sind dafür optimiert, Ausgaben zu liefern, die auf Wahrscheinlichkeiten von Wortfolgen basieren und mit hoher Wahrscheinlichkeit von Menschen gut bewertet würden. Wichtig ist deshalb, dass wir wissen, für welche Aufgaben diese Assistenzsysteme eine geeignete Unterstützung bieten können (vgl. dazu diese aktuelle Studie), dass wir die “Fingerfertigkeit” entwickeln, gut mit diesen Assistenzsystemen zu arbeiten und dass wir selbst die Qualitätsstandards für unsere Arbeit bestimmen und verfolgen.
Und hier ein Auszug aus den Folien, die ich für meinen Beitrag genutzt habe:
Dominic Hassler says
Mich würde interessieren, ob die zahlreichen Nutzungsszenarien für Lehrpersonen tatsächlich einen Wert haben, der nicht nur theoretischer Natur ist.
Natürlich entwirft mir ChatGPT einen Lektionenplan, schlägt Diskussionsfragen vor und erstellt Multiple Choice Fragen – in meiner Erfahrung alles äusserst oberflächlich. Unsere Lehrpersonen sind aber sehr gut ausgebildet und die meisten haben jahrelange Erfahrung. Zudem gibt es Bildungsressourcen wie Lektionenpläne, Erklärvideos usw. im Internet, im Lehr-Kollegium, an allen anderen Schulen wie Sand am Meer.
Seit Corona teilen Lehrpersonen auch gerne diese Ressourcen und laden sie ins Intranet hoch oder stellen sie dem Kollegium zur Verfügung. Nur: es nutzt fast niemand diese Ressourcen. Der Grund dafür ist, dass es äusserst zeitaufwändig ist, sich in die Unterlagen, Abläufe und Lernaktivitäten von anderen einzudenken.
Man darf davon ausgehen, dass die Unterlagen im Internet & Kollegium über eine massgeblich höhere Qualität verfügen als die von ChatGPT erstellten Materialien. Warum sollte ChatGPT hilfreicher sein im Erstellen eines Lektionenplans als die Materialien aus dem Kollegium? (Natürlich gibt es auf LinkedIn einige Lehrende, die kaum Müde werden zu erläutern, wie sie jetzt den Unterricht mit ChatGPT geplant haben, aber das dürfte eher am Technologie-Enthusiasmus liegen).
Einen Wert sehe ich als Brainstorming Werkzeug und für Personen, die wenig didaktisches Knowhow und kein Netzwerk haben (was aber auf die meisten Lehrpersonen nicht zutrifft).
Christoph Meier says
Salut Dominic, danke für deinen ausführlichen Kommentar. Ja, das sehe ich auch so, dass gut ausgebildete Fachpersonen aktuell noch bessere Qualität liefern können, als diese Assistenzsysteme. Ich schreibe meine Blogposts und Artikel auch noch selbst, weil ich mir einbilde, dass ich das besser hinkriege. Die frage ist, wie lange noch. Und die Frage ist auch, wie professionelle Arbeitsergebnisse aussehen würden, wenn wir wirklich gut mit diesen Assistenzsystemen zusammenarbeiten könnten und die geeigneten Routinen dafür hätten. Da sehe ich mich selbst auch noch nicht angekommen. Und dann gibt es ja auch noch die Personen, die nicht so gut ausgebildet sind oder nicht so viel Zeit aufwenden können / nicht so viel Zeitbudget haben und dennoch vor Aufgaben stehen, bei denen sie diese Assistenzsysteme unterstützen können… VG Christoph