In seiner letzten Kolumne für das Learning Solutions Magzine hat Marc Rosenberg über den Durchbruch von xAPI geschrieben. Warum genau Rosenberg den Durchbruch von xAPI jetzt konstatiert, wurde für mich aus seinem Beitrag nicht verständlich. Aber für mich war der Beitrag dennoch ein Auslöser, mich zum Thema xAPI zu orientieren – zumal sich in der letzten Zeit schon andere Dokumente zum Thema auf meinem Desktop angesammelt hatten.
Rosenberg zeigt in seinem Beitrag auf, dass der gegenwärtig etablierten Standards für den Austausch von Informationen zu Lernaktivitäten aktuellen Konzeptionen von Lern- und Leistungs-Ökosystemen (learning and performance ecosystems) nicht mehr gerecht werden. Sie unterstützten lediglich den Austausch bzw. die Auswertung von Informationen zu formalen Lernaktivitäten (z.B. im Rahmen der Bearbeitung von WBT), nicht aber darüber hinausgehende, informelle Lernaktivitäten, Leistungsunterstützung am Arbeitsplatz, Netzwerkaktivitäten, etc. Darüber hinaus setzen sie Interaktion zwischen einem PC-Webbrowser und einem LMS voraus – was nicht mehr in unsere von mobilen Endgeräten geprägte Welt passt.
Was ist xAPI?
xAPI wurde von der eLearning Community entwickelt, um Limitationen des bestehenden Standards SCORM (Shareable Object Reference Model) zu beheben. SCORM wurde von der US-Agentur ADL (Advanced Distributed Learning) in 2001 publiziert und in den Jahren 2004 sowie 2009 überarbeitet. Nach der letzten Aktualisierung 2009 wurde klar, dass man neue Wege beschreiten muss. Im Jahr 2011 wurde von der ADL ein Projekt lanciert, um einen Nachfolgestandard für SCORM zu entwickeln – das sogenannte Projekt “Tin Can API”. Im Frühjahr 2012 wurde die erste Version der xAPI Spezifikation veröffentlicht (aktuelle Version 1.02). xAPI ist kein Ersatz für SCORM als Standard für die Kommunikation zwischen E-Learning-Inhalten (WBT) und einem LMS. Hierfür ist seit 2013 ein weiterer Standard in Entwicklung, cmi5 (vgl. dazu diesen Artikel von Art Werkenthin aus 2015).
xAPI ist eine Spezifikation für eine Web API (Application Programming Interface). Sie liefert ein neues semantisches Modell für die Beschreibung von Lernaktivitäten und ermöglicht neue Wege bei der Nachverfolgung und Auswertung von Daten, die durch Lernaktivitäten mit digitalen Ressourcen bzw. Werkzeugen erzeugt werden.
xAPI beinhaltet drei zentrale Komponenten:
- eine Struktur für die Beschreibung von Lernaktivitäten (activity statements) bestehend aus Akteur, Verb, und Objekt (z.B. “Thomas – hat aufgerufen – das Video [Video-URL]”). Eine von ADL gepflegte Zusammenstellung von Verben (ADL’s Controlled Vocabulary) findet sich hier.
- Methoden für den Transfer und die Speicherung von solchen Aktivitäts-Beschreibungen.
- Sicherheitsstandards für den Austausch von Informationen zwischen den Erzeugern solcher activity statements (activity providers) und Datenbanken zu deren Speicherung (Learning Record Store, LRS).
Die Aktivitätsbeschreibungen (activity statements) weisen folgende Struktur auf:
Beispiele für xAPI Aktivitätsbeschreibungen auf der Grundlage des ADL-Vokabulars sind beispielsweise diese:
- [Thomas] – [accessed] – [file / object … (z.B. ein Textdokument)]
- [Susan] – [added] – [file … (z.B. eine Ausarbeitung zu einem Auftrag)]
- [Tina] – [annotated] – [object … (z.B. eine Wiki-Seite)]
- [Michael] – [answered] – [question … (z.B. eine Frage in einem Diskussionsforum)]
Welche Lernaktivitäten können mit xAPI erfasst werden?
- Traditionelles E-Learning
xAPI wurde zwar nicht in erster Linie dafür entwickelt, kann aber auch Aktivitätsbeschreibungen von bestehenden SCORM-basierenden WBT verarbeiten. Allerdings müssen dazu die bereits bestehenden Lerninhalte / WBT mit einem “xAPI wrapper” versehen werden. - Lernen mit mobilen Endgeräten
Während der SCORM-Standard nicht mit Apps für Mobilgeräte genutzt werden kann, können mit xAPI auch Lernaktivitäten, die mit mobilen Endgeräten durchgeführt werden (im Browser oder in einer App) nachverfolgt und ausgewertet werden. - Lernaktivitäten, die ohne Verbindung zum Internet durchgeführt werden
xAPI ermöglicht das Erstellen und Auswerten von Aktivitätsbeschreibungen zu Lernaktivitäten, die ohne Verbindung zum Internet stattfinden. Allerdings muss sicher gestellt sein, dass die Beschreibungen zunächst auf dem Gerät zwischengespeichert und dann an den LRS übermittelt werden. - Lernaktivitäten ausserhalb eines LMS
Darüber hinaus können mit xAPI auch Lernaktivitäten erfasst werden, die nicht über ein LMS laufen. So kann beispielsweise auch die Nutzung von Hilfe-Funktionen im Rahmen der Neu-Einführung eines ERP-Systems über xAPI ausgewertet werden. - Nutzung von Performance Support Ressourcen
xAPI erlaubt das Dokumentieren und Auswerten der Nutzung von Performance Support Werkzeugen am Arbeitsplatz, beispielsweise von spezifischen Apps oder Hilfe-Seiten und Checklisten im Intranet.
3 zentrale Werkzeug-Kategorien
Um xAPI-basierte Aktivitätsbeschreibungen erzeugen, erfassen und auswerten zu können braucht es drei Typen von Werkzeugen:
1) Activity Providers (Lieferanten für Aktivitätsbeschreibungen)
Dies sind Systeme, Applikationen oder Werkzeuge, die Aktivitätsbeschreibungen erzeugen können weil eine spezielle xAPI Komponente in diese integriert wurde. Dazu können beispielsweise LMS gehören (nicht alle, sondern entsprechend angepasste), Autorenwerkzeuge für E-Learning, mobile Apps aber auch Systeme wie WordPress, Yammer, Microsoft SharePoint, Salesforce.com und andere IT-Plattformen für Unternehmen. Eine Übersicht zu Anbietern und Produkten, die Tin Can API bzw. xAPI unterstützen, findet sich hier. Über die Seite capterra.com kann man gezielt nach LMS suchen, die Tin Can API unterstützen.
2) Learning Record Stores
Dies sind Systeme bzw. Datenbanken, in denen die Aktivitätsbeschreibungen gespeichert werden. LRS können eigenständige Systeme sein oder aber in ein LMS integriert sein. Eine aus dem Tin Can API-Projekt resultierende Übersichtsseite zu verschiedenen Typen von LRS und einzelnen Produkten findet sich hier.
3) Analysewerkzeuge
Diese Werkzeuge unterstützen die Analyse der in einem LRS gespeicherten Aktivitätsbeschreibungen und die Visualisierung von Ergebnissen. Neben proprietären Werkzeugen und Lösungen (beispielsweise Cognos von IBM oder Business Objects von SAP) gibt es hierzu auch open source Lösungen.
Ein Szenario aus dem Vertrieb
In einem umfangreichen Beitrag für learningsolutionsmag.com entwickeln Johnson et al. (2015, vgl. die Liste unten) ein (fiktives) Szenario für die Nutzung von xAPI zur Beobachtung und Analyse von Vertriebsaktivitäten und für die Evaluation von unterstützenden Massnahmen.
Nach dem Rollout von neuen Produkten dauert es zunächst 3-6 Monate, bis die Vertriebsmitarbeitenden auch zu den neuen Produkten die Anzahl von Kontakten und Abschlüssen erreichen, die sie mit den älteren Produktlinien erreichen. Der Umsatz mit neuen Produkten liegt in dieser Zeit signifikant unter den angestrebten Zielwerten. Fokusgruppengespräche mit Vertretern der Vertriebsmannschaft machen folgende Herausforderungen sichtbar:
- ergänzende Informationen zu den neuen bzw. aktualisierten Produkten (z.B. Vergleiche mit Produkten der Mitbewerber, Marktforschungsergebnisse, etc.) sind nicht leicht zu finden;
- die Vertriebsmitarbeitenden tun sich schwer damit, potenzielle Kunden für die neuen Produkte zu identifizieren und anzusprechen und erreichen damit gar nicht die nächsten Stufen im Vertriebsprozess (z.B. das Erstellen von / Verhandeln zu Angeboten);
- die verfügbaren Schulungsangebote sind zu lang und werden zum Teil erst nach dem Release der neuen Produkte besucht.
Darüber hinaus zeigt sich, dass manche der regionalen Vertriebsmanager in dieser Situation wirksame Lösungen für ihre jeweiligen Teams entwickelt haben. Etwa ein spezielles Zeitfenster im Rahmen von wöchentlichen Teambesprechungen für das Besprechen von Informationen zu und Erfahrungen mit dem Verkauf von neuen Produkten.
Das interne Weiterbildungsteam schlägt daraufhin folgende Lösungselemente, Fragestellungen und zu beobachtende Aktivitäten vor, die dann über xAPI Aktivitätsbeschreibungen verfolgt werden können:
Lösungskomponente | Fragestellung (Beispiele) | Beobachtungen (Beispiele) | Elemente der Aktivitäts-beschreibung |
Durchsuchbare Ablage mit Produktinformationen | Welche Informationen werden von den Vertriebs-mitarbeitenden gesucht? Führen die Suchaktivitäten zu einem Ergebnis? … |
Suche nach – Produktkategorie – Typ von DokumentSuche mit Öffnen von TreffernSuche ohne Öffnen von Treffern |
“searched” “accessed” (a resource) |
Online-Zugang zu Produktexperten (z.B. via Webmeetings) | Welche Produktmanager werden kontaktiert? Welche Produktmanager werden von den Vertriebsmitarbeitenden positiv bewertet? |
Anzahl der Kontaktaufnahmen | “launched” (a phone app)”commented on” / “rated” (an expert) |
Wöchentliche Besprechung zu Produkten im Vertriebsteam (z.B. per Webmeeting) | Welche Vertriebsmanager führen Besprechungen durch? Nehmen Vertriebsmitarbeitende an diesen Besprechungen teil? |
Durchführen von Webmeetings Anzahl Teilnehmende |
“held” (a meeting)”attended” (a meeting) |
Die Auswertung der auf diese Weise erzeugten Aktivitätsbeschreibungen kann dann Hinweise darauf liefern, wie gut die verschiedenen Lösungselemente tatsächlich genutzt werden und wie sie von den Mitarbeitenden bewertet werden.
Herausforderungen
Mit der Möglichkeit, eine viel grössere Bandbreite verschiedener Lernaktivitäten zu beobachten und auszuwerten, wächst auch die Bedeutung eines zielorientierten und fokussierten Vorgehens. Ansonsten werden Datenberge produziert, die dann schnell zu Datenmüllhalden werden. Folgende Fragestellungen müssen beantwortet werden:
- Was soll mit welcher Zielsetzung beobachtet werden?
- Von welchen Personen sollen Nutzungsdaten erfasst werden?
- Welche Aktionen dieser Nutzer bezogen auf welche Ressourcen / Materialien sollen ausgewertet werden?
- Wer soll diese Auswertungen durchführen? Wer hat Zugriff auf die Ergebnisse?
Hier ist es hilfreich, einen Erhebungsplan zu erstellen. Hierzu ein Beispiel aus dem Arbeitsbericht von Berking et al.:
Darüber hinaus ist es wichtig, die von einer solchen Initiative beteiligten bzw. betroffenen Anspruchsgruppen mit ins Boot zu holen. Nicht jeder wird sich bei dem Gedanken wohl fühlen, dass viele (informelle) Lernaktivitäten ausgewertet werden. Und in Deutschland werden da insbesondere Betriebsräte mitsprechen wollen. Genau wie bei der Umsetzung von Bildungscontrolling-Initiativen braucht es hier klare (Betriebs-)Vereinbarungen dazu, welche Ziele diesbezüglich verfolgt werden sollen, wie personenbezogene Daten geschützt werden, wer Zugang zu den Daten hat und wie diese ausgewertet und die Ergebnisse kommuniziert werden.
Nachtrag 22.09.2016
Ich habe heute im Rahmen des Data Analytics Summit (eine Online-Konferenz der eLearning Guild) einen Vortrag von Tim Martin, CEO von Rustici Software, gehört. Rustici Software hatte in 2011 den Auftrag erhalten, diese Spezifikation zu entwickeln – wir hatten also DEN Experten zu xAPI vor uns – zumindest virtuell…
Tim Martin sieht xAPI noch nicht jetzt beim Durchbruch, sondern erst in ca. 1-2 Jahren. Ein wichtiger Grund dafür ist der, dass es noch Inkonsistenzen bei der Erstellung / Formulierung von “activity statements” gibt. So gibt es z.B. aktuell noch drei verschiedene Weisen auszudrücken, dass eine Person ein Video betrachtet. Diese Inkonsistenzen müssten in den nächsten ca. 12 Monaten bereinigt werden, damit Investitionen in xAPI und darauf basierende Analytics-Aktivitäten wirklich lohnen.
(Link zur Session)
Ressourcen
Berking, P., Foreman, S., Haag, J., & Wiggins, C. (2014). The experience API – Liberating learning design. Hot Topics – eLearning Guild Research. eLearning Guild.com.
Johnson, A., Foreman, s., Wiggins, C. & Berking, P. (2015). xAPI and Analytics: Measuring your way to success Learning Solutions Magazine (article 1722).
Rosenberg, Marc (2016): The xAPI breakthrough. Learning Solutions Magazine (article 1942).
Werkenthin, Art (2015): Experience API, cmi5, and Future SCORM. Learning Solutions Magazine (article 1697).
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