Meine private Weiterbildung dieses Jahr war wiederum eine Reise in die USA, dieses Mal zur International Conference on E-Learning in the Workplace (ICELW) 2016 in New York. Die Konferenz findet seit 2007 jährlich statt. Organisiert wird sie von David Guralnick und einem Programmkomittee, in dem auch Vertreter aus Europa dabei sind (u.a. auch Sabine Seufert von scil / Universität St.Gallen). David ist CEO von Kaleidoscope Learning und Adjunct Professor an der Columbia University in New York, wo die Konferenz auch dieses Jahr wieder durchgeführt wurde. Darüber hinaus ist er Herausgeber der Online-Zeitschrift “International Journal of Advanced Corporate Learning“.
Hier zum Nachlesen das Programm der zweitägigen Konferenz. Wir hatten auch von unserer Seite (scil) einen Beitrag eingebracht – dazu ein nachfolgender, separater Post…
Die Konferenz und die Beiträge sind mehrheitlich auf Fragen der Konzeption bzw. des Designs, der Entwicklung und der Einführung von eLearning ausgerichtet. Formale Lernkontexte stehen im Vordergrund. Informelles Lernen und andere Formen von “modern workplace learning” (um mit Jane Hart zu sprechen) und deren Unterstützung waren – zumindest bei den Sessions, die ich besucht habe – weniger ein Thema. Etwas aus dem Rahmen fielen für mich die beiden eher fachwissenschaftlich ausgerichteten Vorträge von Wissenschaftlern der Columbia-University, die auch zu der Tagung eingeladen waren (dazu unten mehr). Im Folgenden meine Notizen zu ausgewählten Vorträgen.
Den Keynote-Vortrag zur Eröffnung stellte Clark Quinn (Quinnovation) unter das Motto: “Serious shoestrings: deep eLearning within pragmatic constraings“. Aus dem von ihm zusammen mit Michael Allen, Julie Dierksen und Will Thalheimer formulieren Manifest zu eLearning hat er die folgenden Anforderungen an “serious eLearning” herausgetellt:
Anschliessend ging Clark Quinn der Frage nach, wie man die Entwicklung von eLearning-Inhalten, die dieser Ausrichtung entsprechen, angehen kann. Hier hätte ich gerne mehr (Wissens-)Struktur gehabt (er hat viel mit assoziativen Bildern gearbeitet), um seine Hinweise besser einordnen und einfacher mitnehmen zu können. Notiert habe ich Hinweise wie die folgenden:
* herausfinden, wo die intrinsische Motivation der Lernenden liegt und wie man sie “packen” kann
* mit einer Ausrichtung auf herausfordernden Aktivitäten für die Lernenden starten
* den Lernenden Gelegenheit geben, in einer sicheren (Lern-)Umgebung Fehler zu machen
* den Lernenden hilfreiche Modelle / Wissensstrukturen bieten
* die Lernenden immer wieder zu diesen Modellen / Wissensstrukturen zurückführen
Mit Blick auf den damit verbundenen Entwicklungsprozess stellte er fest, dass es keine Autorenwerkzeuge gibt, die bei der Bewältigung der damit verbundenen praktischen Herausforderungen gute Unterstützung – beispielsweise im Sinne einer Checkliste – bieten.
In seinem Vortrag mit dem Titel: “Implementing digital learning: The good, the bad and the ugly” berichtete Jan Rijken (vormals CLO bei KPMG, ABN AMRO und anderen Unternehmen; heute CrossKnowledge) von seinen Erfahrungen aus einer unternehmensweiten eLearning-Initiative bei KPMG (Zielgruppe waren alle 144’000 Mitarbeitenden weltweit). Er hat diese wie folgt zusammengefasst:
The good:
- merkliche Steigerung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden
- schnellere Kompetenzentwicklung
- grössere Konsistenz bei den Kompetenzen der Führungskräfte
- besser gelebtes internes Wissensmanagement und Wissensaustausch
- gestärkte Bindung der Mitarbeitenden
- deutliche Kostenreduktion auf Seiten des L&D teams (-18%)
- deutliche Reduktion kurzfristiger Abmeldungen von gebuchten Trainings
- gestärkte Stellung von L&D intern
The bad:
- die Unterstützung durch das Top-Management-Team war eher nur sporadisch und punktuell zu spüren
- die Sponsoren der für die verschiedenen Geschäftsbereiche entwickelten Programme haben die Kommunikation dazu nicht im erhofften Umfang unterstützt
- das Ausbalancieren von zentralen und dezentralen Aktivitäten (z.B. 17 verschiedene Einführungsprogramme für neue Mitarbeitende weltweit) war eine Dauerherausforderung
- die Veränderung von Lernkultur ist ein sehr langwieriger Prozess
The ugly:
- mehr als ein fünftel des ursprünglichen L&D teams musste im Zuge dieser grossen Initiative ausgewechselt werden weil Kompetenzen und/oder Einstellungen nicht mit der neuen Ausrichtung auf eLearning kompatibel waren
- benachbarte HR-Bereiche waren teilweise eher Gegner als Bündnispartner
- es gab grosse Herausforderungen bei der Abstimmung mit den Bereichen IT and Beschaffung
In seinem Vortrag mit dem Titel “Full-bodied Learning: Applying grounded embodied cognition to improve learning” stellte der Kognitiionswissenschaftler John Black (Columbia Universität, NY) die Bedeutung von körperlicher bzw. händischer Manipulation von Objekten auch im eLearning heraus.
Er führte Forschungsergebnisse an die zeigen, dass Lernende, die im Rahmen einer Simulation (Physikunterricht, unterschiedliche Kräfte, die in einer Achterbahn wirken) Konzepte dann besser verstehen, wenn sie händisch Parameter in der online Simulation manipulieren können und die daraus resultierenden Bewegungen der Achterbahn in der Simulation sehen. Dies gilt insbesondere für schwächere Studierende (stärkere Studierende sind in der Lage, die Zusammenhänge auf der Grundlage von Texten und statischen Bildern gut zu verstehen). Die Effekte können verstärkt werden, wenn zusätzlich noch Joysticks eingesetzt werden, bei denen man entsprechend den wirkenden Kräften Widerstand spüren kann. Weitere von ihm angeführte Studien zeigten, dass die Nutzung von historischen Simulationen (z.B. Civilizations) nicht zu verbesserten Ergebnissen bei Tests zu historischem Wissen führen. Aber Studierende, die diese Simulationen spielen, nehmen in der Folge signifikant mehr aus Fachtexten zu historischen Entwicklungen mit als andere Studierende. Seine – mit einem Augenzwinkern verbundene – Empfehlung lautet daher, dass Schüler / Studierende, die im Herbst einen Kurs zu Geschichte (Altertum, frühe Zivilisationen) belegen werden, in den Sommerferien zuvor die online Simulation “Civilizations” spielen sollten.
Auch wenn dies ganz amüsant war, habe ich hier doch den Eindruck, dass Kognitiionswissenschaftler häufig experimentell das bestätigen, was Pädagogen und Didaktiker schon lange formuliert haben – beispielsweise, dass es wichtig ist, Dinge sehen und begreifen bzw. spüren zu können (beispielsweise anhand von Modellen aus Holz, Modelliermasse, o.ä.), um sie zu verstehen.
Es gibt durchaus noch Institutionen, die eLearning neu einführen. Dazu gehört auch das Bloomberg Institute des gleichnamigen Dienstes für Wirtschaftsinformationen. Zielsetzung war hier, im Rahmen einer Initiative zu employer branding online Lernangebote für Studierende zu entwickeln, um sie auf Bloomberg als attraktiven Arbeitgeber aufmerksam zu machen. Im aufwändig vorbereiteten und visualisierten Vortrag mit dem Titel “Bloomberg: 10 Surprising E-Learning Lessons Learned the Hard Way” wurden 10 lessons learned ausgeführt (hier in den original-Formulierungen):
- Money can’t solve every problem: know your true resource constraints
- Vendors must be fit for the purpose: be a savvy buyer
- defend against bullshit: educate yourself on the software
- vendors use custom design as a lure: use trusty default settings wherever possible
- “don’t let the tail wag the dog”: prioritize content over software gimmicks
- “nobody wants a burrito from Chipotle”: create evergreen content
- “if it feels ‘good enough’, it is not good enough”: don’t cut corners, even if it’s painful
- “one piece of feedback is … one piece of feedback”: extensive target audience feedback = key
- “people judge books by their covers”: market your eL as a collection of bite sized items with attractive visuals
- “you can’t outsource caring”: have the stakeholder with the biggest stakes must do quality assurance
Für mich schien die wichtigste Lehre der unter Punkt 2 formulierte Aspekt zu sein: wenn man sich als Institution wir Bloomberg Institute auf neues Terrain (eLearning) begibt, ist es sinnvoll, mit einem in diesem Feld ausgewiesenen Partner zusammen zu arbeiten und eher nicht mit der seit Jahren für das eigene Unternehmen tätigen Grafik-Design-Agentur (die zwar behauptet, auch “eLearning zu können”, es dann aber doch nicht tut).
Interessant, wenn auch für mich teilweise zu schnell und zu voraussetzungsvoll, fand ich den Vortrag von Ryan Baker (noch Columbia University, künftig University of Pennsylvania) zum Thema “Modelling complex skill with educational data mining“. Er konnte zeigen, dass sich auf der Basis von Auswertungen zur Nutzung von verschiedenen Lernmaterialien mit einer recht hohen Treffsicherheit die richtige oder falsche Lösung einer Aufgabe vorhersagen lässt. Allerdings musste er am Ende einräumen, dass die Modellierung von Kompetenzen zum Beispiel in Bereichen wie “Zusammenarbeit” oder “Führung” deutlich schwieriger ist als die von ihm untersuchten Fertigkeiten der Ursachenanalyse im Biologie-Unterricht.
Hier ein Foto seiner Folie mit den zentralen Untersuchungsergebnissen:
Im Exekutiv-Komitee der ICELW sind eine Reihe von europäischer Institutionen bzw. Ländern vertreten sind (Norwegen, Spanien, Deutschland, Österreich, Schweiz) und dies spiegelt sich auch im Programm.
Gerhard Schwed und Erich Bratengeyer (Donau Universität Krems) berichteten zu den Themen “xAPI and privacy (personal data locker”) sowie “eLQe – cool tool for evaluating eLearning course development”. Und Tobias Härtel / Dominik May (Universität Dortmund) berichteten über ihre Forschungsergebnisse zu spezifischen Anforderungen an eLearning auf Seiten von Lernenden in der Altergruppe 50+.
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