Welche Elemente aus der Coaching-Welt sind für die Arbeit von Learning Professionals übertragbar? Eine prägnante Definition von Coaching ist beispielsweise die Folgende: „Coaching als eine professionelle Form individueller Beratung im beruflichen Kontext auf der Basis einer tragfähigen, kooperativen, für beide Seiten sinnhaft und zieldienlich erlebten Beratungsbeziehung“ (Lippmann, 2009). Böning & Fritschle fragten im Kontext ihrer Überlegungen bei verschiedenen Personalentwicklern und Coachs selbst nach, was sie unter Coaching verstehen: „Über eines ist man sich in beiden Gruppen einig: Coaching bedeutet vor allem entwickeln, unterstützen, begleiten, ein Feedback geben“ (Böhning/Fritschle, 2005). Wenn man diesem Verständnis von Coaching im Sinne einer „Prozessbegleitung“ folgt, kann Coaching unserer Meinung nach gut für die Rolle von Learning Professionals adaptiert werden.
Dennoch erscheint es uns wichtig zu betonen, dass Coaching eine Profession ist und i.d.R. Learning Professionals – es sei denn, Sie haben spezielle Aus- und Weiterbildungen absolviert und praktische Erfahrungen im Feld – nicht Coachs im eigentlichen/vollumfänglichen Sinne sind. Wir möchten daher gerne von einer „coachenden Haltung“ bei Learning Professionals als ein erstrebenswertes Ziel in der Kompetenzentwicklung sprechen.
Im Rahmen unseres scil-Moduls „Coaching und Lernbegleitung“ überlegen wir gemeinsam mit Learning Professionals aus der Praxis, was diese Rollenanforderung bedeutet, welche Gestaltungsansätze wir haben und welche Tools und Konzepte aus dem Coaching unsere Arbeit bereichern können. Für die Arbeit als Learning Professionals, deren Aufgaben aus einem grossen Anteil aus konzeptioneller und beratender Tätigkeit bestehen, können viele Methoden und Konzepte aus dem Coaching interessant und wertvoll sein. Beispielsweise systemische Fragetechniken, Aspekte einer lern- und entwicklungsorientierten Gesprächsführung, Arbeit mit Metaphern, oder Ressourcen- und Lösungsorientierte Ansätze.
Im Folgenden möchten wir 2 Konzepte gerne kurz vorstellen:
Insbesondere die systemischen Fragetechniken stossen unserer Erfahrung nach oft auf grosse Resonanz bei Praktikern, da diese Art des Fragens sehr wirkungsvoll sein kann und das Gegenüber sehr gut zur Selbstreflexion anregt.
Fragetechnik | Beispiel |
Fragen nach Ausnahmen | · Wann tritt das Problem nicht auf?· Was muss geschehen, dass die Ausnahmen häufiger vorkommen? |
Ressourcenorientierte Fragen (Fragen nach Stärken → Transfer auf aktuelle Situation) | · Welche Probleme haben Sie in der nahen Vergangenheit gelöst?· Was ist besonders gut gelaufen? |
Hypothetische Fragen („Was wäre wenn … ?“) | · Wenn morgen das Problem weg wäre, was wäre dann anders? |
Paradoxe Fragen (um Beteiligung am Problem herzustellen) | · Wie ist es gelungen, das Problem so lange am Leben zu erhalten?· Woran würde Ihr Kollege erkennen, dass das Problem gelöst ist? · Was muss getan werden, damit alles so bleibt wie bisher? |
Zirkuläre Fragen (Durch Einbindung anderer Personen eine Ausseneinsicht/Perspektivwechsel erzeugen) | · Wie sieht Person X das Problem?· Was denken Sie muss X tun, um Y weiter zu verärgern? |
Skalierungsfragen | · Auf einer Skala von 1 – 10, wo liegt das Problem? |
Quelle: von Schlippe/Schweitzer (2003)
Wann können diese Fragetechniken im Kontext von Corporate Learning eingesetzt werden? In der Transferphase unseres Blended Learning Seminars haben die Teilnehmer die Fragetechniken in ihrer Praxis beispielsweise in diesen Kontexten eingeübt: Mitarbeitergespräche führen, Feedback geben, kritische Situationen bearbeiten, Entwicklungsgespräche führen, als methodisches Element in Seminaren/Trainings.
Eine relativ neue App empfinde ich als ein gutes „on-the-job -Unterstützungstool” und bietet sich v.a. als Übungs-Tool für Einsteiger in der Methodik an: “Systemische Fragen App”
Ein weiterer wertvoller Ansatz aus der Coaching-Welt ist unserer Ansicht nach die Methode „Appreciative Inquiry“. Sie unterstützt einen potentialorientierten Ansatz, der die vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten von Personen und Organisationen in den Fokus stellt. “Appreciation” bedeutet Wahrnehmung, Wertschätzung und Würdigung vorhandener Ressourcen. “Inquiry” kann hier mit Interview, Befragung und einer neugierigen und offenen Haltung bei Teilnehmenden übersetzt werden. Wichtig ist hierbei, dass keine “rosarote Brille” aufgesetzt werden soll, sondern es geht um eine authentische Fokussierung auf Stärken und Ressourcen in Organisationen. Diese Methode kann zum einen als “Haltung” in Gesprächen angewendet werden. Leitfragen können hier sein: Worauf kann man aufbauen? Worin ist jemand sehr gut? Was sind innere Antreiber/innere Motivation einer Person für die Rolle? Wann hatte man Erfolge? Diese Fragen können in der Praxis in ähnlichen Kontexten wie oben skizziert (Entwicklungsgespräche etc.) angewendet werden. Wenn es als methodisches Element in Trainings angewendet wird, interviewen sich Teilnehmende z.B. gegenseitig anhand von ressourcenorientierten Fragen. Diese Methode eignet sich gut in Trainingskontexten von Persönlichkeitsentwicklung, Teamentwicklung und Change Management.
Böning, U./Fritschle, B. (2005): Coaching fürs Business. Was Coaches, Personaler und Manager über Coaching wissen müssen. Bonn 2005.
Lippmann, E. (2009): Coaching. Angewandte Psychologie für die Beratungspraxis. Heidelberg 2009.
Seliger, R. (2011): Einführung in Grossgruppenmethoden. Heidelberg 2011. (u.a. Ansatz des “Appreciative Inquiry”)
von Schlippe, A./Schweitzer, J. (2003): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen 2003.
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