Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen verschiedene Typen von Lernräumen (physische, hybride, virtuelle, symbolische bzw. smarte) in verschiedenen Bildungskontexten (Schule, Hochschule, Berufsbildung, betriebliche Weiterbildung). Die (Mitarbeit an) Konzeption und Orchestrierung von Lernräumen und Lernlandschaften ist eine Aufgabe für Bildungsverantwortliche, die häufig nicht systematisch wahrgenommen wird.
Lernräume als pädagogische Agenten
Lernräume gelten als architektonische Verkörperungen von Bildungsphilosophien, als “gebaute Pädagogik, als „pädagogische Agenten“. Lernräume eröffnen Möglichkeiten und setzen Beschränkungen. Lernräume sind eine zentrale Ressource, mit der Bildungsverantwortliche arbeiten.
Die Diskussion um Lernräume und Lernraumkonzepte wird an vielen Stellen geführt – immer wieder auch mit dem Bezug zur Digitalisierung unserer Lebens-, Arbeits- und Lernwelten (dokumentiert z.B. hier von der Bundeszentrale für politische Bildung in Deutschland oder hier im Kontext der Hochschulentwicklung).
Als im Frühjahr 2022 das SQUARE als jüngstes Gebäude der Universität St.Gallen eröffnet wurde, war für uns bei SCIL klar, dass wir hier eine Veranstaltung zum Thema Lernräume durchführen wollen. Denn SQUARE steht für die Idee einer modernen Universität und die Gesamtheit der curricularen, extracurricularen und informellen Lernformen nicht nur an einer Hochschule, sondern auch in der Gesellschaft. Mehr zu SQUARE findet sich hier.
Soweit zum Hintergrund für unseren 10. scil Trend- & Community Day, den wir am 07.09.2023 im SQUARE@HSG durchgeführt haben. Dabei waren Teilnehmende und Alumni unserer Weiterbildungsprogramme, Projektpartner und Vertreter:innen verschieden Bildungskontexte – insgesamt gut 60 Personen.
Orientierende Konzepte
Wir sind als Verantwortliche für Bildung bzw. Personalentwicklung zwar viel in Lehr-Lernräumen unterwegs. Aber in der Regel verfügen wir nicht über ein entwickeltes begriffliches Instrumentarium, um Fragen der Gestaltung solcher Räume bzw. des Zusammenspiels von Räumen und Bildung / Entwicklungsarbeit systematisch anzugehen. Für den Einstieg in den Tag habe ich deshalb einige orientierende Konzepte eingebracht:
- Typen von Lehr-Lernräumen (mit Blick auf eine Hochschule);
- Lehr-Räume,
- Funktionsräume (z.B. Labore),
- Räume für informelles Lernen,
- Verbindungs- / Zwischenräume,
- Ruheräume,
- Maker-Spaces / Studios,
- Galerien & Expo-Bereiche.
- Gestalteter Raum (englisch “room”, optimiert für spezifische Aufgaben) vs. gestaltbarer Raum (englisch “space”, durch die Beteiligten veränderbar);
- Raum-Zonen bzw. Raum-Landschaften;
- “Affordances” von Räumen (angelegte Möglichkeiten bzw. Potenziale), z.B. im Hinblick auf
- Zugänglichkeit und Optionen für Beteiligung,
- Schutz vor Ablenkung und Störung,
- Fokussierung von Wahrnehmung und Interaktionen,
- Bündelung von Ressourcen wie Möbeln, Flipcharts, Geräten, etc.),
- innere Differenzierung und Zonen für verschiedene Aktivitäten,
- Gestaltbarkeit bzw. Veränderbarkeit für verschiedene Beteiligungsformen und Aktivitäten.
Mit dieser ersten Orientierung sind wir dann in die Fachbeiträge gestartet.
ChatGPT als pädagogischer Agent – neue Lernräume?
In ihrem Einstiegsbeitrag hat Sabine Seufert das Konzept der Räume aufgegriffen und aufgezeigt, welche kognitiven Räume mit Assistenzsystemen wie z.B. ChatGPT eröffnet werden können:
- Arbeitsräume,
- Coaching-Räume,
- Entedecker-Räume,
- Daten-Räume und
- persönliche Lernräume.
Zum Abschluss ihres Beitrags zeigte Sabine Seufert zwei Entwicklungspfade (Spuren) für die Überprüfung von Kompetenzen im Bereich Mensch-Maschine-Kollaboration auf:
- zum einen “Assessment as learning” (Prompts, erzeugte Artefakte und Reflexionen dazu);
- zum anderen kompetenzbasierte Bewertungen, Simulationen mit digital Twins und Reflexionen dazu.
Im Anschluss hatten wir einen ersten grösseren Aktivitätswechsel und zwei Optionen: eine erste kurze Erkundung von SQUARE anhand des eingangs vorgeschlagenen Orientierungsrahmens; und eine Poster-Präsentation von Lily Kruse, Studentin im Master-Programm “Begabungsforschung und Kompetenzentwicklung an der Universtität Leipzig zum Thema “Entwicklung von Teamkompetenzen in Virtual Reality”.
Schmetterlingspädagogik – Schule ohne Unterricht und zugehörige Raumkonzepte
Stefan Ruppaner ist leitender Rektor der Alemannenschule Wutöschingen. Die Gemeinschaftsschule umfasst die Schulstufen Grundschule, Sekundarstufe I und Sekundarstufe II und wurde 2019 für ihr Bildungskonzept mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. In seinem beeindruckenden Bericht zeigte Stefan Ruppaner, wie eine öffentliche Schule auch funktionieren kann: hochgradig eigenverantwortlich und selbstreguliert, altersdurchmischt und auch stark digitalisiert. Unterstützt wird der Schulbetrieb ohne “Unterricht”, ohne Lehrbücher und ohne Klassenzimmer im herkömmlichen Sinn durch ein ausgeklügeltes Raumkonzept. Der Raum als 3. Pädagoge ist hier Programm und die Schule verfügt über verschiedene, funktionsspezifisch gestaltete Räume: Marktplatz, Lernateliers, Co-Working Spaces, Räume für ruhiges Arbeiten, Coaching-Räume, Meditationsräume, Schulgarten, etc.
Virtuelle 3D-Lernräume als Orte gemeinsamen Lernens an Hochschulen
Ausgangspunkt für den Beitrag von Rolf Kruse, Inhaber der Professur für Digitale Medien und Gestaltung an der Fachhochschule Erfurt, waren die Anforderungen an neue Lehr-/Lernszenarien an Hochschulen. Es geht unter anderem darum, weniger zu dozieren, mehr zu moderieren und die Hochschule als Ort der Kooperation und Partizipation zu etablieren.
XR-Technologien wie AR / MR / VR ermöglichen das Eintauchen in Lerninhalte (z.B. eine Szenerie mit Mammuts), die freie Bewegung (Kopf, Hände, Körper) und die Interaktion mit vergegenständlichten Lerninhalten. Ermöglicht werden dadurch insbesondere die spielerische Erarbeitung von Wissenskomplexen sowie entdeckendes und problembasiertes Lernen.
Am Ende seines Beitrags ging Rolf Kruse auch auf die Herausforderungen ein, die beim Etablieren von virtuellen 3D-Lernräumen an Bildungseinrichtungen zu überwinden sind. Hier hat er insbesondere die folgenden Punkte hervorgehoben:
- starre Organisationen und begrenzte Ressourcen,
- begrenzte Kompetenzen im Hinblick auf die Gestaltung von Räumen und digitalen Medien,
- unausgereifte Werkzeuge und schliesslich
- fehlende positive Beispiele.
Und er verwies für Interessierte auf diese Folgeveranstaltung des uniVERSEty-Netzwerks im November.
Development of innovative Learning Spaces at NTNU
Mit dem Beitrag von Aina Nedal von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegen (NTNU) in Trondheim blieben wir im Bildungskontext Hochschule. Aina Nedal berichtete über ein strategisch ausgerichtetes Vorhaben der NTNU mit dem Ziel, eine innovativere, variablere und stärker aktivierende und auf Exploration ausgerichtete Lehrpraxis an der Hochschule zu etablieren.
Die Umsetzung dieser Initiative erfolgte als interdisziplinäres Projekt unter Beteiligung von verschiedenen Bereichen und Expert:innengruppen:
- Liegenschaften bzw. Immobilien,
- Raumplanung bzw. Administration,
- Bibliothek,
- Hochschuldidaktik,
- Lehr-Lern-Unterstützung,
- AV- & IT-Services,
- Fakultät.
Die nachfolgenden Bilder zeigen einige der neu gestalteten Lehr- und Lernräume:
Die Programmevaluation ergab, dass die “active learning spaces” sehr stark nachgefragt werden und dass die Lehrpersonen stärker auf aktivierende Lehrformen setzen. Eine wichtige Lernerfahrung war unter anderem, dass die Fähigung der Lehrpersonen, mit diesen neuen Räumen sicher und produktiv zu arbeiten, früher und stärker hätte gefördert werden sollen.
Hybride Lernräume in der Führungsentwicklung
Mit dem Beitrag von Ambros Scope, Head Leadership & Future of Work bei Zürich Versicherungen, wechselten wir in den Bildungskontext betriebliche Weiterbildung. “Zukunft gestalten mit hybriden Lernräumen in der Führungskräfte-Entwicklung” – das war sein Thema.
Die Konzeption und Umsetzung eines Trainingsraums für hybride Präsenztrainings (“Hybrid Training Room”) steht im Kontext der HR-Strategie bzw. der ‘Employee Promise” von Zürich Versicherungen. Zu den Erfolgsfaktoren gehören u.a. die folgenden Punkte:
- Unterstützen von Diversität und Inklusion,
- Ermöglichen von FlexWork und hybridem Arbeiten,
- Wahrnehmung von Technologie als Ermöglicher,
- Modernisierte Trainingsangebote,
- Online Trainingsangebote.
Das (teilweise) Arbeiten aus dem Home-Office heraus und das Arbeiten mit verteilten Teams wird auch künftig Teil der Rahmenbedingungen für Führungskräfte sein. Das hybride Arbeiten wird im Hybrid Learning Ansatz der Zurich Schweiz daher umfassend berücksichtigt und durch folgende Punkte vorgelebt:
- Inhalte – z.B. Führen von hybriden Teams;
- Didaktisches Vorgehen – Mehrwöchige hybride Lernreisen mit asynchronen Web Based Trainings, synchroner Interaktion in der Grossgruppe, Vertiefung in Kleingruppen und individuellem Coaching in der Anwendung;
- Infrastruktur – Für jeden Bedarf optimal eingerichtete Trainingsräume.
Leitendes Prinzip der Umsetzung des hybriden Trainingsraums war die Orientierung an einem Human Centered Design. Eine konkrete Ausprägung war die bestmögliche Integration der von andernorts Teilnehmenden in die Gesamtgruppe im Sinne von Teilhabe und Beteiligungsmöglichkeiten. Das konsequente Verfolgen des Hybrid Learning Ansatz führt dazu, dass Zurich Schweiz pro Jahr alle Führungskräfte und einen grossen Teil der Belegschaft mehrmals in ihren internen Trainings erreichen kann.
Die nachfolgende Abbildung zeigt den resultierenden Trainingsraum schematisch und aus der Perspektive eines Trainers bzw. einer Trainerin:
Lernen in kollaborativen virtuellen Räumen
Der nächste Beitrag brachte uns in den Bildungskontext Berufsbildung. Die Umsetzung von Virtual Reality in der beruflichen Bildung im Fachbereich Einzelhandel ist ein Gemeinschaftsvorhaben der Erich-Bracher-Schule in Kornwestheim, der Würth Industrie Service und des Lehrstuhls Wirtschaftspädagogik II der Universität Konstanz (Begleitforschung).
Im Lernfeld “Waren präsentieren” für Einzelhandelskaufleute geht es u.a. um Folgendes:
“Die Schülerinnen und Schüler platzieren und präsentieren Waren kundengerecht, verkaufswirksam und betriebswirtschaftlich sinnvoll.”
In der Vergangenheit wurden entsprechende Aufträge von den Auszubildenden über Skizzen auf Papier umgesetzt. Seit dem Schuljahr 2021/22 können Schüler:innen der EBS hierfür einen virtuellen Supermarkt nutzen, in dem sie sich mit VR-Brillen bewegen und agieren.
Die Einbettung der Arbeitsphasen in der VR-Umgebung erfolgt auf der Grundlage des Modells der vollständigen Handlung. Die Phasen 4-6 (Ausführen, Kontrollieren und Bewerten) erfolgen im virtuellen Raum (vgl. Abb. 7).
Im Rahmen der Begleitforschung durch die Universität Konstanz wurden von März bis Juli 2022 die Lern- und Arbeitsergebnisse von jeweils zwei Klassen in den Berufen Einzelhandelskaufmann/frau bzw. Verkäufer:innen mit Kontrollklassen verglichen (Pretest, unterrichtsbegleitende Befragung, Posttest). Dabei zeigte sich, dass die Lernenden in der Bedingung “VR-Training” nicht nur eine signifikant stärkere kognitive Aktivierung aufwiesen, sondern auch signifikant bessere Ergebnisse im Fachtest erzielten (vgl. Abb. 7).
Bühler Energy Center – Auftanken & Lernen
Andreas Bischof,
Bühler
Mit dem letzten Fachbeitrag des Tages blieben wir nahe am Bildungskontext Berufsbildung, schauten aber auch darüber hinaus. Andreas Bischof, Leiter Berufsbildung bei Bühler AG in Uzwil, stellte das vor wenigen Wochen eröffnete Bühler Energy Center vor.
Das Bühler Energy Center ist ein Raum zum Auftanken und Lernen – persönlich wie auch beruflich. Das im Juni 2023 eröffnete moderne Gebäude befindet sich an der Schnittstelle der Application & Training Center, des CUBIC Innovation Campus sowie der Produktion von Bühler. Es führt Aktivitäten im Zusammenhang mit Health & Lifestyle (u.a. Ernährungsberatung und Arztpraxis / Health Port), lebenslangem Lernen (inkl. Berufsbildung) sowie Prototyping & Produktion unter einem Dach zusammen.
Ganz im Sinne des Leitbilds für Lernen und Entwicklung (u.a. selbstbestimmt im Hinblick auf Zeit, Inhalt und Ort) sind sehr unterschiedliche Lernräume Teil des Bühler Energy Centers.
Die Haltung der Verantwortlichen bei Bühler brachte Andreas Bischof abschliessend mit einem Verweis auf Pipi Langstrumpf auf den Punkt: “We have never tried that before, so I am sure it will be fine!”
Mitarbeit an Konzeption und Orchestrierung als Aufgabe für Bildungsverantwortliche
Die Konzeption und Gestaltung von Lernräumen bzw. räumlichen Lernlandschaften wird häufig nicht als Aufgabe für Bildungsverantwortliche gesehen. Gleichzeitig sind sie aber gefordert, mit dem verfügbaren “Raum-Material” die jeweiligen Bildungs- bzw. Entwicklungsziele zu verfolgen und zu erreichen. Mit dem SCIL Trend- & Community Day 2023 haben wir aufgezeigt, dass Konzeption und Orchestrierung von Lernräumen / physischen Lernlandschaften (bzw. die Mitarbeit an entsprechenden Projekten) sehr wohl eine relevante Aufgabe für Bildungsverantwortliche darstellt. Die Einbindung der Bildungsverantwortlichen und ihren spezifischen Kompetenzen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für die an diesem Tag vorgestellten Projekte.
Ausblick: 11. Trend- & Community Day 2024
Der 11. SCIL Trend- & Community Day findet am 20. September 2024 statt. Dann werden wir wieder im Weiterbildungszentrum Holzweid der Universtität St.Gallen zu Gast sein. Das Rahmenthema haben wir noch nicht definiert – wir werden dazu informieren.
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