Ein Plädoyer von Erin Crisp in EDUCAUSEreview für Lernvideos, die eine gute Balance von Authentizität auf der einen und Ausrichtung auf Lernziele auf der anderen Seite bieten.
In einem Artikel für EDUCAUSEreview plädiert Erin Crisp, VP des Anbieters für Online-Kurse Campusedu.com in Indiana, USA, für eine differenziertere Gestaltung von Lernvideos. Ausgangspunkt für seinen Beitrag ist seine Wahrnehmung, dass Lernvideos aktuell keine gute Presse haben und an vielen Orten die Gefahr beschworen wird, dass Lehrpersonen und Präsenzunterricht unberechtigterweise durch Lernvideos ersetzt werden.
Crisp führt zunächst Ergebnisse einer aktuellen Metastudie zur Lernwirksamkeit von Lernvideos an (Noetel et al, vgl. Referenz unten), für die 105 Einzelstudien ausgewertet wurden. Zentrale Ergebnisse sind unter anderem die folgenden:
- KEINEN signifikanten Einfluss auf den Lernerfolg mit Lernvideos haben Lerner-bezogene Merkmale wie beispielsweise
- Region
- Thema / Fach
- Typ von Video (z.B. Vorlesungsaufzeichnung vs. Fallstudie).
- Lernvideos führen vor allem dann zu grösserem Lernerfolg, wenn es um den Erwerb von Fertigkeiten (Skills) geht; wenn es um den Erwerb von Wissen geht, sind die positiven Effekte weniger ausgeprägt.
- Wenn statische Medien (z.B. Texte) durch Lernvideos ersetzt werden, hat die grössere Auswirkungen auf den Lernerfolg als wenn z.B. Live-Vorlesungen durch Lernvideos ersetzt werden.
Die Autoren ziehen folgende Fazit aus ihrer Metastudie:
As universities move toward online learning through videos, some academics may fear that students will perform less well compared with their peers who receive traditional methods. Other things being equal, our review shows student results are unlikely to decline when using video for teaching. We identified more than 100 randomized trials that had used video in higher education, and on average, videos led to better learning outcomes compared with other methods. In the 83 studies that swapped existing learning for videos, there were small learning benefits, with meaningful positive effects anticipated in about half the implementations of video. (…)
Our results were robust across different settings (e.g., lectures or tutorials), different domains (e.g., science or languages), different types of video (e.g., case demonstrations or recorded lectures), different length interventions, and different follow-up periods. Most of these results, and the moderation analyses, can be explained by the cognitive theory of multimedia learning, cognitive load theory, and the ICAP (interactive, constructive, active, passive) framework.
Noetel et al. 2021: Video improves learning in Higher Education
Ausgehend von diesem Befund argumentiert Crisp, dass wir im Hinblick auf Lernvideos und deren Lernwirksamkeit noch stärker differenzieren sollten. Und er schlägt vor, bei der Diskussion zwei Dimensionen zu berücksichtigen:
- Wie viel Authentizität / authentische Erfahrung transportiert ein Lernvideo?
- Wie stark ist ein Lernvideo auf das Erreichen spezifischer Lernziele ausgerichtet?
Crisp kritisiert, dass viele Lehr- bzw. Lernvideos zu stark auf Lernwirksamkeit ausgerichtet sind und die Bedeutung von Authentizität / authentischen Erfahrungen vernachlässigen – mit dem Ergebnis, dass sie langweilig und steril wirken.
Instructional videos have been captured in a sterile classroom or studio setting with decent lighting and sound but very little appeal. The videos are as stale as cardboard, perpetuating the stereotype that online learning is a lesser form of education.
Crisp 2021: Authentic and effective. EDUCAUSEreview
Crisp kontrastiert diese Art von Videos mit Edutainment-orientierten Videos, die manche Videoblogger produzieren. Als Beispiel verweist er auf die Videos von Marc Rober. Diese sind hoch attraktiv, aber auch sehr aufwändig in der Produktion. Und er er argumentiert, dass das Ziel darin bestehen müsse, eine gute Balance von Authentizität und Lernwirksamkeit zu erreichen – und auch den Aufwand für die Produktion in Grenzen zu halten. Leider führt er selbst kein konkretes Beispiel dafür an. Aber die Videoaufzeichnungen zu den Physik-Vorlesungen von Walter Lewin scheinen mir in die Richtung zu gehen, die Crisp hier vorschlägt.
Crisp, Erin (2021): Authentic and Effective: Rescuing Video from Its Role as the Villain of Online Learning. EDUCAUSEreview, 07.12.2021
Noetel, Michael; Griffith, Shantell; Denlaney, Oscar (2021): Video Improves Learning in Higher Education: A Systematic Review. In: Review of Educational Research 91 (2), S. 204–236.
Die nächste Durchführung unseres Weiterbildungsmoduls “Video-basierte Lernumgebungen” mit Andy Lüdemann findet im August diesen Jahres statt. Mehr Informationen dazu hier.
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