Angesichts des schnellen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft braucht es Ergänzungen zu den etablierten (Weiter-)Bildungsformaten. Der Open Access Sammelband “Agiles Lernen im Unternehmen” führt Ergebnisse aus verschiedenen Förderprojekten zu arbeitsintegriertem Lernen auf der Basis agiler Methoden zusammen.
Der im Sammelband dargestellte Ansatz für agiles Lernen in Unternehmen wurde im Rahmen von drei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekten entwickelt und erprobt:
- Brofessio (Berufliche Professionalität im produzierenden Gewerbe, 2014–2017)
- inMEDIASres – Agiles Sprintlernen (Qualifizierungs-Offensive zur performanten Mediennutzung im Lernen, im kollegialen Austausch und in der Arbeit, 2017–2020)
- MeDiAL-4Q (Medienkompetenz in der Digitalisierung – Eine neue Agile Lernkultur für die berufsbegleitende Qualifizierung, 2017–2020)
Ausgangspunkte
Neben dem beschleunigten Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft und damit verbunden der Veränderung als Dauerzustand führen die Herausgeber insbesondere die folgenden Entwicklungen als Ausgangspunkte für die Entwicklung des agilen Ansatzes an:
- Veränderung der Anforderungsprofile von Beschäftigten (u.a. komplexe Aufgaben, mehr Eigenverantwortung, grössere Bedeutung von Zusammenarbeit & Austausch);
- Klassische (Weiter-)Bildungsformate wie
– Einlernen (z.B. Vorführen – Nachmachen)
– Teilnehmen (z.B. Trainings, MOOCs)
– Mitmachen (z.B. bei KVP-Workshops)
reichen nicht mehr aus, damit Mitarbeitende im Arbeitsalltag umfassend handlungsfähig sind.
Ziele und Werthaltungen
Agiles Lernen im Unternehmen als Zielbild fokussiert dagegen Lernangebote, die im Lerngegenstand, im Lernprozess und in der Haltung der Verantwortlichen ein Abbild der Arbeitswelt der Zukunft darstellen. Dies erfordert unter anderem veränderte Werthaltungen:
- Flexibles Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als Festhalten an einem Curriculum bzw. Lernplan;
- Selbststeuerung der Lernenden ist wichtiger als Schutz vor Misserfolg;
- Selbstreflexionen zum eigenen Lernprozess und Selbsteinschätzungen eigener Fortschritte sind wichtiger als Fremdbewertungen auf Basis vorgegebener Standards.
Das im Sammelband entwickelte Konzept des agilen Lernens im Unternehmen orientiert sich an der Scrum-Methodik für agiles Arbeiten und am Einsatz von Arbeitsaufgaben als Lernaufgaben.
Aus diesen Startpunkten ergeben sich u.a. auch auch veränderte Rollen im Bildungsprozess: die Rolle des Wissensvermittlers entfällt und die Lernteams lernen und arbeiten weitgehend selbstverantwortlich, unterstützt durch Fachbegleiter und Methodenbegleiter.
Prinzipien, Ablauf, Rollen, Instrumente
Das zweite Kapitel des Sammelbands erläutert zentrale Aspekte des Ansatzes und illustriert diese durch verschiedene Übersichtsgrafiken. Agiles Lernen im Unternehmen ist den Autoren zufolge
- bedarfsorientiert,
- handlungsorientiert,
- agil (kurze Zyklen von Planen, Umsetzen, Reflektieren),
- qualitätsorientiert und
- projektiert (Aufträge und zugewiesene Ressourcen).
Der Ablauf gestaltet sich als wiederholtes Durchlaufen von Planungsphasen, Lern-Etappen (Sprints), Reviews und Retrospektiven:
Dabei sind die folgenden Rollen involviert:
Ein Lernteam besteht aus mindestens zwei Personen, die ähnliche Kompetenzen aufbauen wollen. Die Rolle der fachlichen Begleitung kann von internen oder externen Experten wahrgenommen werden oder aber von Personen mit ausreichend Erfahrungsvorsprung. Die Rolle des methodischen Begleiters können Personalentwickler, Ausbilder, Lernbegleiter oder auch Scrum Master einnehmen.
Hilfreich für das Verständnis von agilem Lernen im Unternehmen war für mich – neben den Darstellungen aus dem Sammelband – auch eine Darstellung des Ablaufs aus einer früheren Publikation der beteiligten Experten:
Zentrale Instrumente für das agile Lernen im Unternehmen sind den Autoren zufolge Kanban-Boards als Hilfe für die Planung und Steuerung sowie Lernaufgaben:
Eine zentrale Rolle für die erfolgreiche Umsetzung von agilem Lernen im Unternehmen spielen die Arbeits- und Lernaufgaben:
“Die Evaluationsergebnisse zeigen (…), dass die Qualität der Lernaufgaben eine besonders große Rolle für das Gelingen im agilen Lernen spielt. Die Lernaufgaben müssen das Lernthema und die Lernziele vollständig abdecken, dieses sinnvoll portionieren und gleichzeitig ermöglichen, dass die Lernenden durch das Machen eigener Erfahrungen Handlungskompetenzen aufbauen und dass sie selbstgesteuert lernen.”
Jungclaus in Longmuss et al., S. 113
Ich war zunächst irritiert, dass in den Beiträgen des Sammelbands keine Verweise auf die den Entwicklungsarbeiten zugrundeliegenden (wissenschaftlichen) Diskussionsstränge angeführt wurden. Diese Verweise finden sich aber in einer früheren Publikation von Mitgliedern des Herausgeberteams (Jungclaus et al. 2019, vgl. unten). Vermisst habe ich allerdings einen Verweis auf die von Cogneon seit einigen Jahren vorangetriebenen Arbeiten zu lernOS als Modell bzw. Betriebssystem für agiles Lernen in Unternehmen und Organisationen. Eine Gegenüberstellung zeigt ja einerseits Ähnlichkeiten (z.B. die Orientierung an agilen Methoden und die Organisation in Sprints), andererseits aber auch deutliche Unterschiede (z.B. die Rolle von Lernaufträgen bzw. Lernaufgaben, von Auftraggebern und von Fachbegleitern).
Details zur Gestaltung von Lernaufgaben, zu deren Einbettung in einen grösseren Trainingszusammenhang, zu den Zielstufen für agiles Lernen sowie zu dessen systematischer Vor- und Nachbereitung werden wir im Rahmen unseres Moduls “Workplace Learning” besprechen und dort auch das Modell für agiles Lernen in Unternehmen mit Ansätzen wie z.B. lernOS kontrastieren.
Longmuß, Jörg; Korge, Gabriele; Bauer, Agnes; Höhne, Benjamin (Hg.) (2021): Agiles Lernen im Unternehmen. Berlin, Heidelberg: Springer. ((Open Access))
Jungclaus, Joana; Korge, Gabriele; Arndt, Petra; Bauer, Agnes (2019):
Agiles Sprintlernen – ein Konzept für dezentrales betriebliches Lernen: Empirische Begründung und praktische Erfahrungen. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 50(2), 217-227. In: Gr Interakt Org 50 (2), S. 217–227.
DOI: 10.1007/S11612-019-00468-Y.
Dückert, Simon (2019): lernOS als Betriebssystem für die Arbeit der Zukunft. In: Dorothee Brommer, Sabine Hockling und Annika Leopold (Hg.): Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 189–198.
Danke an Jochen Robes / Weiterbildungsblog.de für den Hinweis auf die Veröffentlichung des Sammelbands.
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