Aufgrund der Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologie, der Netzwerke und der Endgeräte ist es in den letzten Jahren deutlich einfacher geworden, Lerninhalte in Form von Videos zu erstellen, zu distribuieren und zu nutzen bzw. zu verarbeiten. Video-basiertes Lehren und Lernen gilt als ein wichtiger Trend im Bereich des Technologie-unterstützten Lehrens und Lernens. Videos stehen im Ruf, attraktive und wertvolle Lernmaterialien zu sein.
“Illusion des Lernens”
Studien im Bereich der Rezeptionsforschung zur Nutzung von Videos als Lernmaterialien ab Mitte der 1970er Jahre zeigen, dass die Inhalte aus Videosequenzen, die gezielt zur Informationsaufnahme angesehen werden, später nur zu einem geringen Teil erinnert werden können (ca. 20%). Dies gilt auch dann, wenn die Betrachter angeben, dass sie den Inhalten problemlos folgen konnten. Zudem zeigen weitere Studien dass Lernende, die Inhalte per Video aufgenommen haben, ihr Wissen höher einschätzen als Lernende, die den gleichen Stoff anhand von Texten erarbeitet haben. Dieser Sachverhalt wird als “illusion of knowing”, als Lücke zwischen dem reinen Aufnehmen von Informationen und dem vermeintlichen Verstehen sowie dem nur bruchstückhaften Erinnern und Wiedergeben von Inhalten bezeichnet.
Lernvideos sind für Lernende also scheinbar leichter zugänglich als Texte. Zuhören und Zusehen ist subjektiv leichter als Lesen. Textverarbeitung erfordert mehr Anstrengung und Eigentätigkeit beim Erschliessen der Inhalte. Zumindest dann, wenn es um die Vermittlung von Informationen geht (“know that”) besteht also die Gefahr, dass das Lernen mit Videomaterialien zu schlechteren Ergebnissen bei Wissensabfragen führt als das Lernen mit Texten (Pfeiffer 2015, S. 1-2).
Detailreichtum als Überforderung?
Im Unterschied zu Animationen, die bei Bedarf in einer abstrahierenden oder schmematisierenden Weise umgesetzt werden können, liefern Videos viele Details und weisen einen hohen Realitätsgrad auf. Lernende stehen daher vor der Aufgabe, aus der Fülle der Informationen im Video die lernzielrelevanten Informationen herauszufiltern – was insbesondere für mit geringem Vorwissen eine grosse Herausforderung darstellen kann (Niegemann et al. 2008, S. 265).
Wann machen Videos als Lernressourcen Sinn?
Lernvideos sind keine Garantie für erfolgreiches Lernen und werden textbasierte Formen der Wissensvermittlung nicht ersetzen. Aber sie ergänzen und bereichern unser Repertoire an verschiedenen Lernformen und bieten die Möglichkeit für Abwechslung. Die technischen Entwicklungen, die es immer leichter machen, Lernvideos zu erstellen, sind aus folgenden Gründen zu begrüssen:
- Lernende können Inhalte dann rezipieren / bearbeiten, wenn es für sie selbst zeitlich gut passt (nicht notwendigerweise dann, wenn die Vorlesung stattfindet).
- Lernende können im Inhalt navigieren (Vor- / Zurückspulen)
und, so kann man ergänzen, je nach verwendetem Player auch das Wiedergabetempo anpassen sowie
aussagekräftige Einzelbilder für Dokumentationen in Lerntagebüchern oder Notizheften abspeichern. - Lehrende können Personen jenseits eines Hörsaals / Seminarraums erreichen.
Lernvideos sind insbesondere für die folgenden Zielsetzungen gut geeignet:
- Zum Einführen von Themen.
- Zum Darstellen bzw. Aufnehmen (Nachvollziehen) von Sachverhalten, die sich dynamisch entwickeln (z.B. bestimmte Arbeitsverrichtungen, Verhaltensmuster, die Entwicklung einer mathematischen Formel, Erfahrungsberichte, etc.).
- Zum Personalisieren und damit auch zum Kontextualisieren von Lerninhalten; Persönlichkeit, Stil und emotionaler Bezug zu einem Thema kommen in einem Video anders zum Tragen als bei einer textuellen Vermittlung der gleichen Inhalte in einem Skript oder Lehrbuch (Schwan 2014).
Aspekte der Mediengestaltung
Welche Aspekte der Mediengestaltung sind zu beachten? Hier können handwerkliche Qualität, Interaktivität, Personalisierung, Sichtbarkeit von (Hand-)Bewegungen und technische Aspekte unterschieden werden.
Handwerkliche Qualität
- Das Erreichen einer möglichst guten Qualität von Bild und Ton; handwerklich schlecht gemachte Videos (unpassende Perspektive, wackeliges Bild, schlechte Lichtverhältnisse, schlechte Tonqualität) können die Aufnahme der Inhalte deutlich erschweren;
- Eine gute Passung von Tonspur und Bildspur (z.B. Bearbeitung eines Werkstücks mit entsprechenden Arbeitsgeräuschen) ohne Redundanz (im Sinne einer doppelte Kodierung von Informationen in Bild und gesprochenem Kommmentar); fehlt die Passung von Bild und Ton, wird es für Rezipienten verwirrend und es ist sinnvoller z.B. durch Schliessen der Augen nur einem In-formationskanal zu folgen; redundante Informationsdarbietung andererseits erhöht die kognitive Belastung und kann das Lernen beeinträchtigen;
- Das richtige Tempo (nicht zu langsam / langweilig und nicht zu schnell bzw. verdichtet).
Interaktivität
Digitale Videos bieten mehr Möglichkeiten für Interaktion mit dem Medium und den Inhalten als analoge Videos. Neben Starten, Stoppen, Zurück- / Vorspulen (Mikrointeraktivität) ist es auch möglich, über Kapitelmarken eine Gliederung vorzunehmen und verschiedene Einstiegs- / Ausstiegspunkte übersichtlich anzubieten, Hyperlinks auf andere Materialien einzufügen, etc. (Makrointeraktivität).
Personalisierung
Lernvideos werden in verschiedenen Varianten erstellt. Bekannt sind etwa das “Khan-Style-Video” (Khan Academy), bei dem die Lehrperson nicht sichtbar ist, sondern lediglich der von der Lehrperson entwickelte Inhalt:
(Bildquelle: Khan Academy)
Eine andere Variante sind Videos, bei denen die Lehrperson (oder die Fachexperten etc.) im Bild zu sehen sind und zu den Betrachtern sprechen:

Schliesslich gibt es noch Varianten, bei denen sowohl die Lehrperson als auch Lerninhalte im Bild zu sehen sind: