Eine aktuelle Studie des Fraunhofer-IAO untersucht die Potenziale von generativer KI für die Wirtschaft und betrachtet dabei u.a. die Folgen für Arbeit, Beschäftigung und Kompetenzprofile. Im Hinblick auf zwei genauer betrachtete Berufsgruppen wird eher ein Upskilling als ein Deskilling als Folge gesehen.
—
Das Fraunhofer-IAO in Stuttgart hat vor wenigen Tagen eine Studie zum Thema “Potenziale generativer KI für den Mittelstand” publiziert. Ich habe selbst von 1999 bis 2004 am Fraunhofer-IAO gearbeitet und war von den ehemaligen Kolleg:innen auch für ein Experten-Interview im Rahmen der Erarbeitung dieser Studie angefragt worden. Der Bericht ist kostenfrei verfügbar.
Der Bericht mit gut 70 Seiten umfasst Kapitel zu den Grundlagen generativer KI, zu den Ergebnissen der Expertenbefragung, zu den Auswirkungen auf die Arbeitswelt und zum erwarteten Nutzen für die Wirtschaft. Ich persönlich fand die folgenden Aussagen und Ergebnisse besonders interessant:
Arbeit und Beschäftigung: Wirkhebel
In einem Abschnitt der Studie werden die “Wirkhebel” unterschieden, über die die Einführung von Generativer KI auf Arbeit und Beschäftigung wirkt. Die Autor:innen unterscheiden hier Automatisierung, Assistenz, Ermöglichung und Erschaffung:
Veränderte Kompetenzprofile
Um die Konsequenzen aus der Einführung und Nutzung von generativer KI für Arbeit und Beschäftigte genauer zu beleuchten, haben die Autor:innen aus den Expert:inneninterviews zentrale Kompetenzbereiche herausgeschält und zwei Kompetenzprofile exemplarisch betrachtet: das Kompetenzprofil Sachbearbeitung Rechnungswesen / Aufträge / Einkauf; und das Kompetenzprofil Marketing und Vertrieb.
Die Arbeitsaufgaben in den beiden Profilen sind vielfältig und beinhalten unter anderem:
Sachbearbeitung im Rechnungswesen & Einkauf:
Korrespondenz führen, Rechnungen prüfen, Zahlungsanweisungen erstellen, Stammdaten pflegen, Bestellungen abwickeln, Kunden- und Lieferantenanfragen bearbeiten bzw. weiterleiten, Beschwerden bearbeiten sowie Reports und Statistiken erstellen.
Marketing & Vertrieb:
Absatz- und Vertriebswege erschließen, Kampagnen konzipieren und durchführen, Angebote erstellen und vertreiben oder neue Kunden akquirieren und betreuen.
Tab. 1: Typische Arbeitsaufgaben von zwei verschiedenen Beschäftigtengruppen (Quelle: Kintz et al. 2024, S. 46)
Für viele dieser Aufgaben kann Generative KI genutzt werden. Die beiden folgenden Abbildungen zeigen die aus Sicht der Autor:innen Veränderungen im Hinblick auf diese beiden Kompetenzprofile auf – vom aktuellen Profil (IST, blaue Profillinie) zum künftig erforderlichen Profil (SOLL, braune Profillinie):
Deskilling oder Upskilling?
In der Diskussion um die Folgen von generative KI für Arbeit und Beschäftigung ist immer wieder auch von der Gefahr von ‘Deskilling’ bzw. von einer drohenden ‘Uberization’ von Berufsbildern die Rede (z.B. Woodruff et al. 2023). Die Autor:innen der FH-IAO-Studie kommen aufgrund ihrer Analyse allerdings zum Schluss, dass diese beruflichen Tätigkeiten eher noch anspruchsvoller werden:
Damit wird deutlich: Ohne Kompetenzen von Seiten der Beschäftigten sind der sinnhafte Einsatz und die Nutzung Generativer KI in diversen Fachgebieten nicht zu bewerkstelligen. Im Gegenteil: Die Tätigkeiten, Aufgaben und damit die Kompetenzanforderungen und -profile werden tendenziell anspruchsvoller. Bei entsprechender Arbeitsgestaltung besitzen diese Tätigkeiten ein Potenzial zur Ganzheitlichkeit und zur
Aufgabenerweiterung und können damit als lernförderliche Arbeitssysteme betrachtet werden.
Wie die (Weiter-)Entwicklung der Kompetenzprofile der Beschäftigten vorangetrieben werden kann und was dies für Bildungsverantwortliche bzw. Bildungsorganisationen bedeutet, dazu werden in dieser Studie keine weiterführenden Aussagen gemacht. Ich bin gerade dabei, einen Beitrag für “PersonalEntwickeln” fertigzustellen, der genau an diesem Punkt ansetzt. Dazu später mehr in einem separaten Blogpost.
—
Kintz, M. et al. (2024): Potenziale generativer KI für den Mittelstand. Wie grosse KI-Modell die Arbeitswelt verändern. Stuttgart.
Woodruff, A., Shelby, R., Gage Kelley, P., Rousso-Schindler, S., Smith-Loud, J., & Wilcox, L. (2023). How knowledge workers think generative AI will (not) transform their industries. ArXiv, 2310.06778v1.
Schreiben Sie einen Kommentar