Mit der Umstellung auf Online-Lehre und Online-Prüfungen stellt sich die Frage, wie bei diesen Prüfungen akademische Standards gewährleistet werden können. Online-Proctoring ist ein möglicher aber gleichzeitig auch umstrittener Ansatz. Eine aktuelle Studie zeigt die Verbreitung des Einsatzes von Online-Proctoring-Software in den USA und Kanada auf.
Mit der Umstellung von Präsenz- auf Online-Lehre haben sich auch die Anforderungen an die technische und organisatorische Umsetzung von Prüfungsleistungen verändert. Dies betrifft beispielsweise das Zusammenstellen von Prüfungsfragen mit Zufallsgeneratoren bei Multiple-Choice-Formaten, den Einsatz digitaler Signaturen bei der Einreichung von (open-book) Take-Home-Prüfengen, aber auch die Frage der Beaufsichtigung bei der Prüfungserstellung (Online-Proctoring). Die Rechtssicherheit der Umsetzungen ist vielerorts unklar (vgl. dazu diesen Beitrag auf den Webseiten des Hochschulforums Digitalisierung HFD).
Insbesondere die automatisierte Prüfungsüberwachung ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Auf der einen Seite werden Anstrengungen in dieser Richtung unternommen, um dem Anspruch der Integrität von Prüfungsleistungen gerecht zu werden. Auf der anderen Seite wird dies als “hochschuldidaktische Einbahnstrasse” kritisiert, es werden die datenschutzrechtlichen Probleme herausgestellt und es wird dafür plädiert, an Stelle von Überwachung auf anspruchsvollere Open-Book-Prüfungen zu setzen (vgl. dazu u.a. diesen Beitrag auf den Seiten des HFD).
Der Ruf nach einer Hochschuldidaktik, bei denen eine Passung von anspruchsvollen Lern- & Entwicklungszielen und anspruchsvollen Prüfungsleistungen (z.B. Open-Book Take-Home Prüfungen) besteht, kling zunächst einmal gut. Gleichzeitig dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass es eine eigene “Ghostwriting-Industrie” gibt, bei deren Vertretern man individuell angefertigte Ausarbeitungen in Auftrag geben kann – sofern man über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt (vgl. dazu diesen ausführlichen Beitrag eines langjährigen Ghostwriters). Eine Metastudie (Newton 2018) konstatiert eine Zunahme dieses als “contract cheating” bezeichneten Phänomens und beziffert die Häufigkeit für den englischsprachigen Zeitraum und die Zeit um 2016 auf etwa 15%.
Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse einer empirischen Studie zu diesem Thema aus den USA interessant (Kimmons / Veletsianos 2021).
Die beiden Wissenschaftler führten eine Web-basierte Recherche zu Hochschulen in den USA und Canada durch, um auf diesem Weg zu bestimmen, wie breit Online-Proctoring bei Prüfungen in den USA und Kanada tatsächlich eingesetzt wird. Die Ergebnisse sind in der folgenden Grafik visualisiert:
(Bildquelle Kimmons & Veletsianos 2021)
Die Autoren verweisen auf die potenziell längerfristigen Folgend dieser Entwicklung (Stichwort “Software-Sedimentation” und Verfestigung von Prozessen) und konstatieren abschliessend:
Our findings (…) should offer added urgency for institutional leaders and policymakers to take these matters seriously. As proctoring tools and services are being adopted at institutions serving millions of students, the higher education community needs to responsibly grapple with the implications of this use, reflect on how these shifts respond to actual needs, evaluate the costs of these shifts (in terms of money, privacy, and distrust toward students), and consider whether adopting such tools so quickly and broadly is the best solution to the problems we are trying to solve.
Kimmons / Veletsianos 2021: Proctoring software in Higher Ed
Dossier “Prüfungen im Digitalen”, Hochschulforum Digitalisierung
Kimmons / Valetsianos (2021): Proctoring software in Higher Ed: Prevalence and patterns. educause.edu.
TheBestSchools (2019): Academic Ghostwriting: 20 years of undetected plagiarism (and going strong!)
Newton, Philip M. (2018): How Common Is Commercial Contract Cheating in Higher Education and Is It Increasing? A Systematic Review. In: Front. Educ. 3. DOI: 10.3389/feduc.2018.00067.
Bildquelle Beitragsbild: Hochschulforum Digitalisierung
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