React – Redesign – Reimagine: ein Webinar mit einem engagiert vorgetragenen Plädoyer für die Weiterentwicklung des bisherigen Angebotsportfolios von Weiterbildungsanbietern (für Executive Education) von M. Sawhney (Kellogg School of Management / McCormick Foundation) mit konkreten Handlungsempfehlungen.
Mohan Sawhney ist Professor an der renommierten Kellogg School of Management der Northwestern University in Chicago und zugleich auch Associate Dean für Digitale Innovation der McCormick-Foundation, die Bürgerbildung fördert. In einem Webcast für Harvard Business Publishing hat Sawhney Anfang März seine Sicht auf die Zukunft der Executve Education dargelegt. Die Trends und Entwicklungsstrategien, die er darstellt, haben aus meiner Sicht auch Relevanz für die Weiterbildung insgesamt.
Sawhney strukturiert seinen Vortrag in drei Teile, die er zugleich als Entwicklungsphasen sieht:
- React – Auf die COVID-bedingten Rahmenbedingungen reagieren
(das haben die Bildungsanbieter in der Regel bereits hinter sich; hier gilt es die Lernerfahrungen zu konsolidieren) - Redesign – Weiterbildungsprogramme von Grund auf als Blended / Hybrid-Designs entwickeln
- Reimagine – Veränderungen im Weiterbildungsmarkt antizipieren und neue Geschäftsmodell entwickeln
React – Auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren
Die Punkte, die Sawhney hier anführt, sind nicht neu. Bei der Umstellung von Präsenzveranstaltung auf den Modus Telepräsenz (Webinar) sollten thematische Einheiten gekürzt bzw. aufgeteilt werden, besonderes Augenmerk auf die Gestaltung von Interaktionsphasen (Breakout groups) gelegt werden und auch das Onboaring der Programm-Teilnehmenden bzw. die Unterstützung des informellen Netzwerkens bewusst gestaltet werden (z.B. virtuelles “Feierabendbier”). Der selbsterklärte Tech-Aficionado Sawhney pladiert darüber hinaus für eine gute technische Ausstattung (auch im Home Office), um dies umzusetzen:
Redesign – Angebote nach dem Prinzip “Digital First” gestalten
Sawhney zeigt auf, was es heisst, qualitativ hochwertige Online-Angebote für die (Führungskräfte)-Entwicklung systematisch zu gestalten. Bei der Umsetzung solcher Angebote sind ja in der Regel ganze Teams beteiligt, die die akademischen Fachexperten (Faculty), die Programmverantwortlichen (Program Directors, Program Managers) und das Vertriebsteam (Business Development) umfassen. Die folgende Abbildung zeigt, dass diese Personengruppen über die verschiedenen Phasen (Phase 1: Design, unten; Phase 2: Umsetzung, oben) systematisch eingebunden werden müssen, welche Anpassungen erforderlich sind und welche Zwischenergebnisse in den einzelnen Phasen zu erbringen sind.
Vor dem Hintergrund der Kostenstrukturen und der zu erreichenden Skaleneffekte bei asynchronen Lerneinheiten plädiert Sawhney dafür, auch für den Bereich der Executive Education Blended-Designs bzw. Hybrid-Designs zu entwickeln und dabei auch neue technologische Möglichkeiten (beispielsweise holografische Telepräsenz) zu nutzen. Ein Beispiel, wie ein solches Blended-Design für ein einwöchiges Programm aussehen könnte, zeigt die folgende Abbildung:
Sawhney plädiert darüber hinaus dafür, alle Angebote bzw. Programme als “Multi-Channel” zu konzipieren und zu entwickeln. Die Kunden bzw. Teilnehmenden werden künftig mehr und mehr fordern, dass sie für jede Einheit (z.B. Weiterbildungstag, thematische Vertiefung) wählen können, in welchem Modus sie diese absolvieren möchten:
Durch Experten geführt | Online / Selbstgesteuert | |
Synchron | z.B. Teilnahme am Lehrvortrag / Plenum im physischen Kursraum | z.B. Teilnahme am Lehrvortrag / Plenum im virtuellen Kursraum |
Asynchron | z.B. Bearbeitung von Lehr-Videos | z.B. Bearbeitung von Aufträgen zu Fallstudien mit tutorieller Unterstützung / Feedback |
Zur systematischen Neu-Gestaltung von Online-Programmen gehört auch, dass Möglichkeiten der Integration von regionalen Teilnehmenden-Gruppen systematisch genutzt werden. Beispielsweise, indem solche regionalen Gruppen bei Video-Schaltungen systematisch in der Moderation der hybriden Kursdurchführungen berücksichtigt werden.
Reimagine – Neue Geschäftsmodelle entwickeln
Neben der bereits angesprochenen Erwartung von Multi-Channel-Optionen durch die Kunden sieht Sawhney eine Reihe von weiteren Trends, die zu tiefgreifenden Veränderungen im Markt für Weiterbildung (für Führungskräfte / Executives) führen werden und die eine Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle erfordern:
- Veränderte Kundenerwartungen
Grosse Kunden erwarten von Bildungsanbietern, dass sie sie als strategische Partner in vielfältiger Weise unterstützen. Nicht nur mit klassichen Präsenzprogrammen, sondern mit einem ganzen Leistungs-Portfolio:
– Präsenz-Kurse
– Online-Kurse
– Führungskräfte-Programme
– Programme für Fachspezialisten
– Train-the-Trainer-Programme
– Beratung zu Personalentwicklungs-Themen und Strategien - Neue Anbieter als Disruptoren
- Marktplätze für Weiterbildung / Executive Education
Die seit einigen Jahren aktiven Anbieter wie Linkedin Learning, Coursera, Udemy oder edX waren bislang keine ernstzunehmenden Mitbewerber für Anbeiter von Weiterbildung im Bereich (Top-)Führungskräfte oder Fachspezialisten. Dies beginnt sich zu ändern. Insbesondere die MOOC-Anbieter haben zunehmend auch hochwertige (Kurz-)Studiengänge von Top-Universitäten im Programm. - Neue Dachmarken für MBA-Anbieter
Americasmba.com ist eine neue Dachmarke für MBA-Angebote verschiedener Hochschulen, die spezifisch auf den Nord- und Südamerikanischen Markt ausgerichtet ist. - Custom-Programme
Das in der Wirtschaftsprüfung / Steuerberatung tätige Unternehmensnetzwerk EY (Ernst&Young) bietet in Zusammenarbeit mit der Hult International Business School einen Technologie-orientierten MBA-Studiengang ausschliesslich für die eigenen Beschäftigten (knapp 300’000 Mitarbeitende) an. - Erfolgreiche Praktiker als Weiterbildungsmarke
Ein Beispiel hierfür ist ThePowerMBA.com. Dieser Anbieter zählt Gründer bzw. Vertreter der Führungsriege erfolgreicher Unternehmen (YouTube, Netflix, etc.) zur “Faculty” und grenzt sich bewusst von “akademisierten” Programmen etablierter Business Schools ab: “ThePowerMBA takes the most relevant practices proven to work by industry leaders and gives it to you in a just in time format.” - Erfolgreiche Akademiker als Weiterbildungsmarke
Da mit der Digitalisierung und der Verfügbarkeit von Plattformen as a Service die Martkeintrittsbarrieren niedriger geworden sind, etablieren sich auch erfolgreiche Akademiker mit eigenen Weiterbildungsangeboten. Ein Beispiel, das Sawhney anführt, ist ProfGalloway.com. - Learning Experience Plattformen als Service
Bekannte Anbieter von LXP (z.B. Edcast oder Degreed) sind mit ihrem Angebot bisher nicht auf Führungskräfte / Executives ausgerichtet. Mit Anbietern wie dem Plattform-Service Wingspan von Infosys, so deutet Sawhney an, beginnt sich dies zu ändern.
- Marktplätze für Weiterbildung / Executive Education
- Skaleneffekte auch in der Weiterbildung für Führungskräfte (Executive Education)
Weiterbildungsangebote, die durch Lehrpersonen (Faculty) synchron geführt und in der Gruppe wahrgenommen werden, skalieren nur begrenzt. Auch bei einer Durchführung online (Telepräsenz) braucht es für jeden Vortrag oder für jede Lerngruppe die Fachexpert:innen und Betreuer:innen. Mit Angeboten bzw. Angebotselementen, die auf das asynchrone Bearbeiten von Lernmaterialien (z.B. Video-Vorträge, Fallstudien) ausgerichtet sind, können dagegen eher Skaleneffekte erzielt werden:
Sawhney sieht den Weiterbildungsmarkt für Führungskräfte / Executives im Umbruch. Er erwartet einerseits eine Konsolidierung am oberen Ende des Markts, wo die sehr kostenintensiven (und sehr profitablen) Top-Programme platziert sind. Am anderen Ende des Spektrums wird sich der Markt für reine Online-Programme ausdehnen (Massengeschäft). Allerdings sind hier mit Anbietern wie Coursera etc. bereits Spieler aktiv, die über grosse Startvorteile verfügen: ein sehr grosses und sehr breites Angebotsportfolio sowie eine – im Vergleich mit den etablierten Business Schools überlegene – Kompetenz im Bereich Kundengewinnung und digitales Marketing einerseits sowie automatisierte Programmadministration andererseits. Ein nicht ganz so wachstumsstarker mittlerer Bereich, in den sich Anbieter von Weiterbildung (für Top-Führungskräfte) hineinentwickeln können, ist der Bereich der Blended-Programme:
Sawhney schliesst seinen engagiert vorgetragenen Impuls mit einer Reihe von Empfehlungen für die Anbieter von Führungskräfte-Entwicklung (Executive Education):
- Bisherige Angebote um Blended / Hybrid-Optionen ergänzen (Bedürfnis nach Multichannel – Formaten bedienen);
- Entwicklung von Angeboten im mittleren Preissegment (hybride Angebote mit hoch skalierenden reinen Online-Elementen);
- Ergänzung des Leistungsportfolios um kürzere Angebote (z.B. fokussierte “2-Stunden Kurzschulungen”);
- Know-how & Infrastruktur für Entwicklung von Online-Programmelementen aufbauen;
- Faculty mit gefragten Fachkompetenzen & guter Telepräsenz an Bord nehmen;
- Schulungszentren mit Blick auf Prinzip “Digital-First” umbauen;
- Kundengewinnung und Marketing über digitale Kanäle stärken;
- Das eigene Geschäftsmodell überprüfen – auch im Hinblick auf mögliche Partnerschaften.
Aus meiner Sicht sind dies Punkte, die sich auch auf die Weiterbildung in anderen Segmenten übertragen lassen.
Sawhney, Mohan (2021): What lies beyond: the future of executive education. Webinar, Harvard Business Publishing / Education.
Hinweise:
- Im Rahmen meines Beitrags zur Learntec xChange (“Weiterbildung nach Covid-19: Erfolgreich mit angepasstem Geschäftsmodell“) greife ich diese Themen erneut auf. Bildungsanbieter müssen, mit Blick auf die Zeit nach COVID-19, ihr bisheriges Geschäftsmodell (Was? Für wen? Wie? Ertragsmechanik?) überprüfen und anpassen.
- Der Schweizerische Verband für Weiterbildung (SVEB) bietet ab August eine Workshop-Reihe zum Thema “Impulse für die Strategieentwicklung von Weiterbildungsanbietern” an. In diesem Rahmen gestalte ich einen Grundlagenworkshop, der ebenfalls die Überprüfung des Geschäftsmodells und einige der oben angesprochenen Aspekte thematisiert.
- Die hier angesprochenen Fragen zur künftigen Ausrichtung von WEiterbildungsanbietern greifen wir darüber hinaus im scil Online-Workshop “Entwicklung eines zukunftsorientierten Geschäftsmodells” im September wieder auf.
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