Vor kurzem veranstaltete das Center for Digital Education (CEDE) an der EPFL (École polytechnique fédérale de Lausanne) zum ersten Mal ein 3tägiges „MOOC Camp“ und öffnete damit die Türen für Interessierte. Ich war vor Ort, durfte teilnehmen und habe spannende Einblicke gewonnen und interessante Erfahrungen mit der Gruppe und dem sehr engagierten MOOC Team gemacht. MOOCs sind ja ursprünglich ein Modell des Hochschulkontextes. Daher bin ich mit der Perspektive „MOOCs for Higher Education – quo vadis?“ hineingegangen, habe aber auch interessante Impulse mitgenommen, die zum Teil in anderen Bildungskontexten wie der betrieblichen Weiterbildung mitgedacht werden könnten.
Ein kleines Team an der EPFL hat bereits kurz nach Aufkommen des MOOC-Trends Ende 2012 damit gestartet, MOOCs zu designen, zu produzieren und durchzuführen. Bald darauf wurde das Center for Digital Education und die MOOC Factory gegründet und seitdem werden weiterhin vielzählige MOOCs produziert und sind im Einsatz. Diese Produktionsservices bilden allerdings nur ein Tätigkeitsfeld des Centers ab. Ein zweiter Teil konzentriert sich auf Data Analytics und Forschung.
Heute befinden sich dort 3 beeindruckend professionell ausgestattete MOOC-Produktionsstudios und einige Mitarbeitende (aus einem eLearning Team und Forschende) tragen zur erfolgreichen MOOC-Gestaltung, Produktion und Durchführung bei. 2mal jährlich können Lehrende an der EPFL ihre Vorschläge für neue MOOCs einreichen, aus denen mehrere ausgewählt und umgesetzt werden. Manche solcher MOOCs sind auf gemeinschaftliches Lernen ausgerichtet und folgen einem Wochenrhythmus, andere ermöglichen einen individuellen Rhythmus. Dabei wurden bereits verschiedene MOOC-Formate gestaltet.
Eine dieser Varianten ist bspw. die Verbindung eines MOOCs mit „on Campus“ im Rahmen eines Flipped Classroom Formates. In solchen Projektes hat sich bspw. gezeigt, dass mehr Studierende zusätzlich zu einer Vorlesung an einem MOOC teilnehmen, wenn sie dafür Bonuspunkte erhalten. Ein Vorteil, der hier gesehen wird ist, dass Studierende während des Semesters mehr Kontaktpunkte mit dem Lehrenden haben, was den Lernprozess unterstützt.
Auf die Frage “What is a Good MOOC?” wurde herausgestellt, dass die Qualität besonders durch reichhaltige Lernaktivitäten erreicht werden kann, die es ermöglicht, Informationen in Wissen zu transferieren. Als zweiter Punkt wurde die Bearbeitung von unterschiedlichen Aufgaben betont, die zwischen dem Anschauen von kurzen Videos einzuplanen sind. Dies erfordert auch ein Umdenken der Lehrenden bzw. Professoren, die bei MOOCs einen hohen Druck auf ihr Image verspüren. Mit der Erfahrung des MOOC-Teams haben wir festgehalten:
Das generelle Lehrverhalten verändert sich massgeblich mit den Erfahrungen, die beim Lehren in einem MOOC gemacht werden.
Denn es funktioniert nicht, lediglich Vorlesungs-Folien in ein Online-Format zu transferieren – vielmehr geht es um die gesamthafte Gestaltung einer neuen Lernerfahrung. Die Lehrenden, die mit dem CEDE-Team einen MOOC entwickeln wollen, erhalten daher zu Beginn des Produktionsprozesses viel Unterstützung und pädagogische Beratung.
Mit Blick auf den Hype Cycle von Technologien (nach Gartner) kann konstatiert werden, dass MOOCs bereits nach der Phase „Desillusion“ angesiedelt können. Diese Einordnung in eine Hype-Kurve wird von CEDE allerdings kaum Bedeutung beigemessen – vielmehr ist hier die Überzeugung vertreten, dass MOOCs tatsächlich Wirkung erzeugen und somit effektives Lernen ermöglichen können.
(Quelle: Gartner, 2016)
Das MOOC Factory Team besteht derzeit aus verschiedenen Rollen:
- Video Editor & Studio Host: achten bspw. auf die Wirkung der Lehrenden vor der Kamera und editieren die Videos
- Course Designer: unterstützen z.B. bei der Definition der Zielsetzung oder Gestaltung der Assignments
- Data Analytics: Ziel ist es, neue Erkenntnisse wieder ins Design zurück zu führen
MOOCs for Credits?
Eine zentrale Frage, die wir diskutiert haben war, ob und wie Credits (ECTS) für MOOC-Teilnahmen vergeben und auch für (andere) Studienleistungen angerechnet werden können. Bisher werden keine Credits für reine MOOC-Teilnahmen vergeben, da weiterhin nicht nachvollziehbar ist, ob alles gelernt wurde.
Grundsätzlich stehen bereits vielzählige und verschiedenste MOOCs auf verschiedenen Plattformen zur Verfügung. Diese könnten ins eigene Angebot integriert werden, sofern die Themen selbst nicht abgedeckt werden können. Allerdings stellt sich hierbei die Herausforderung, die externen Inhalte einem Review zu unterziehen und die Qualität zu beurteilen. Dies stellt sich oftmals als schwierig heraus, da für ein Kuratieren wiederum eine gewisse inhaltliche Expertise bedeutend wird.
An dieser Stelle hat das MOOC Factory Team von einem – wie ich finde – äusserst spannendem Pilot-Projekt berichtet, das derzeit stattfindet. Hier wird ein MOOC-Netzwerk mit ausgewählten Universitäten aufgebaut, innerhalb dessen ihre MOOCs von ihren Studierenden besucht und die Credits als Studienleistung anerkannt werden. Dies ist für zugelassene Studierende dieser Universitäten möglich und funktioniert ähnlich wie ein Austauschprogramm, wie gleich weiter deutlich werden wird. Damit wird zunächst eine geschlossene Studierenden-Gruppe bestimmt. Allerdings steht die MOOC-Teilnahme allen Interessierten, auch ausserhalb dieser Gruppe offen (ohne den Vorteil der Credits-Anrechnung). Damit werden die MOOCs weiterhin der Forderung nach „Open“ gerecht.
Da eine „erfolgreiche“ Teilnahme mit einem positiven Lernergebnis bei MOOCs kaum nachweisbar ist, wird der Lernerfolg in der Abschlussprüfung gemessen (ähnlich zu einer üblichen Klausur am Ende eines Semesters). Dazu wird es als Voraussetzung gesehen, dass diese Prüfungen synchron, d.h. an allen beteiligten Universitäten zeitgleich und persönlich stattfinden. Verantwortlich für die Durchführung der Prüfung ist jeweils die „Sending University“, an der die Studierenden eingeschrieben sind. Inhaltlich ist die „Host University“ zuständig, die einen MOOC anbietet, die Prüfungen erstellt und diese an die Home Universities sendet. Letzteren kommt die Aufgabe der Betreuung der Studierenden zu.
Das Ziel dieses Projektes ist es, über MOOCs ähnliche Lernerfahrungen zu unterstützen, wie es „on Campus“ möglich ist. Derzeit liegen noch Herausforderungen bzgl. der Skalierbarkeit vor, das ja ein eigentliches Ziel von MOOCs darstellt. Begründet sind diese im Vertrauen in die Qualität von MOOCs, der Prüfungsaufsicht und „not one size fits all“…
Types and Targets
MOOCs entfalten ihre Power gerade erst durch die Einbeziehung der „Masse“ („massive“). Dies wurde stark betont und an einem eindrücklichen Beispiel aufgezeigt: Eine Präsenz-Vorlesung wurde durch einen MOOC ergänzt. Die an der EPFL eingeschriebenen Studierenden sollten im Rahmen des MOOCs Aufgaben bearbeiten. Der MOOC stand zudem allen Interessierten weltweit zur Teilnahme offen. Diese externen Teilnehmenden unterstützten die eingeschriebenen Studierenden massgeblich in der Aufgabenbearbeitung durch ihre Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge. Dieses Beispiel zeigt m.E. einen interessanten Ansatz, kleinere, geschlossene Gruppen mit der Forderung nach „open“ und „massive“ zu verbinden.
Wir haben festgehalten: „The massive part (of MOOCs) makes it powerful: network, crowd, etc.”
Weiterhin wurde von “MASSIVE open online COMMITMENT” als neues Mindset gesprochen – Commitment zeigt sich dann bspw. in aktiven Übungen oder Foren.
Für die Lehrenden in MOOCs zeigt sich überdies eine deutliche Nachfrage-Orientierung: Schon einige Professoren dachten, sie haben einen tollen Kurs und dann schliesst sich keiner an… Damit wird – entgegen des häufig anzutreffenden Ansatzes von Hochschulen – eine Ausrichtung des Angebotes am Markt erforderlich. Die Anzahl der Registrierungen für einen MOOC steigt bei Themen, die Grundbedürfnisse aufnehmen (statt Selbsterfüllung) – und steigt noch mehr bei einzigartigen Angeboten auf dem Markt.
Marketing
Mit der Nachfrageorientierung wird auch deutlich, dass es wichtig ist, die Zielgruppe genau zu identifizieren und diese versuchen bestmöglich zu erreichen. Die Zielgruppe wird also nicht mit Feststellungen spezifiziert wie „Personen, die an MOOCs interessiert sind“, denn dann hätten sie unzählige Auswahlmöglichkeiten („abstraction is the enemy of marketing“!). Die Frage ist vielmehr: Warum nehmen sie an genau diesem MOOC teil?
Diese Erkenntnisse können wiederum für die Vermarktung mit Social Media Kanälen genutzt werden, wobei diese Informationen in deren Algorithmen aufgegriffen werden.
Course Design
Zum Thema Course Design haben wir einem Workshop-Format an eigenen Kursen gearbeitet. Startpunkt war die die Frage „WHO are your learners?“ Die Herausforderung wird darin gesehen, dass dies für MOOCs nur antizipiert werden kann. Dennoch ist es zentral, klar herauszustellen, was Lernende aus dem Kurs mitnehmen können („what is in for them?“) – darüber können sie zur Teilnahme motiviert werden.
Das MOOC Factory Team hat einen „Blueprint“, also einen Kursdesign-Plan als Tool entwickelt, der die Grundlage für die Gestaltung gibt. Mit dessen Hilfe und ausgehend von effektiven Lernzielen und der Lernzieltaxonomie nach Bloom wird das Kursdesign gemeinsam mit den Lehrenden gestaltet. Dabei werden didaktisch-methodische Überlegungen einbezogen. Die Begleitung der Lehrenden ist dabei eine wichtige Aufgabe. Dabei geht es bspw. um die Definition der Lernziele, die Erstellung eines Skriptes und der Slides, um die Gestaltung des Lernprozesses mit verschiedenen Übungsformaten, aber auch um die Umsetzung einer für viele ganz neue Art zu lehren: Eine klassische Vorlesung kann eben nicht einfach in einen Online-Kurs umgestaltet werden, vielmehr sind damit ganz neue Gestaltungs-, Entwicklungs-, und Produktionsprozesse und -formen verbunden.
MOOC Production Studio
Mit unseren entwickelten Materialien haben wir dann selbst die Erfahrung machen dürfen, in einem der Produktionsstudios ein kurzes MOOC-Video zu produzieren. Das fand ich schon aus einer technischen Perspektive sehr beeindruckend: Die Folien sind für den Lehrenden auf einem Bildschirm auf dem Tisch einzusehen. Dort können sie in der eigenen Geschwindigkeit beliebig vor- oder zurückgeblättert werden. Dies unterstützt die Aufnahme pro Folie oder für mehrere Folien an einem Stück durchzuführen, auch in mehreren Versuchen – eben so lange, bis das Ergebnis zufriedenstellend ist. Später werden die einzelnen produzierten Sequenzen zusammen geschnitten und editiert. Zudem sind die Folien links neben dem Lehrenden für sie/ihn in einem weiteren Bildschirm zu sehen.
Der Prompter erlaubt es, das Skript zu den Folien abzulesen, so muss es vorab nicht einstudiert werden. Gleichzeitig stellte sich dies als keine leichte Übung heraus. Zum einen ist die individuell passende Fliessgeschwindigkeit des Textes genau abzustimmen (das war meine grösste Herausforderung). Zum anderen ergibt sich damit ein Spannungsfeld zwischen vorgefertigt und flexiblem, spontanen Redefluss. Dies ist dann auszubalancieren, damit das Video nicht künstlich erscheint, sondern authentisch.
Das Ergebnis: This is me in action…
Daraufhin haben wir uns in der Kleingruppe die produzierten Kurzvideos angeschaut und durch das gegenseitige Feedback wieder einige Tipps und Tricks zum Auftreten vor der Kamera mitnehmen können.
MOOCs und Big Data
Big Data ist in Verbindung mit MOOCs unbestritten ein grosses (Diskussions-) Thema. Immerhin können umfassende Daten über die Lernenden oder ihr Teilnahmeverhalten generiert werden. Die Messung erfolgt hier auf einem niedrigen Level, doch die Daten werden erst sinnvoll nutzbar durch Interpretationen auf einem höheren Level. Potenzial wird bspw. darin gesehen zu identifizieren, welches Verhalten bei Teilnehmenden zum Lernerfolg führt, Muster zu erkennen und dies im Rahmen der Lernbegleitung zu nutzen: Ein Beispiel hierfür ist, den Lernenden zu zeigen, welche Videos sie bereits angeschaut haben, dies zu vergleichen mit Videos, die erfolgreiche Lernende angeschaut haben. Auf dieser Basis könnte ihnen aufgezeigt werden, wie sie ihren Lernerfolg erreichen können.
Das MOOC Factory Team forscht hier an verschiedenen Fragestellungen, bspw. über „Eye Tracking“ (worauf wird geschaut? welches Muster führt zu Lernerfolg?) oder auch zur Anpassung von Problemlösungsstrategien der Lernenden (bspw. wie lange dauert dies?).
Fazit
Der MOOC als akademisches Modell wird an der EPFL in spannender Form umgesetzt, verschiedene Varianten und Gestaltungsszenarien ausprobiert und dies durch Forschung begleitet und evaluiert. Neue Projekte und Netzwerke werden hierzu aufgespannt. Es wird deutlich, dass hier sehr vieles vorangeht. Eine Skalierbarkeit von MOOCs für Credits und damit eine Anrechenbarkeit externer Kurse ist dabei weiterhin noch nicht erreichbar, da derzeit viele Restriktionen für die Prüfungsabnahme vorliegen (z.B. zeitgleiche Durchführung an den Universitäten, persönliche Identifikation der Lernenden). Hier liegt Hoffnung in einem möglichen „Online Proctoring“.
Das Videoformat, dessen mögliche Reichweite an Lernenden und vor allem die Power der Masse/Crowd könnte in adaptierter Form möglicherweise für verschiedene Bildungskontexte spannende Gestaltungsansätze aufweisen: Z.B. die oben beschriebene Verbindung einer (etwas kleineren) geschlossenen Lernendengruppe, die neben einen MOOC in Verbindung mit einer Präsenzveranstaltung besucht und dann in der MOOC-Phase aber nach aussen geöffnet wird und allen weiteren Interessierten offen steht.
Im Anschluss an das Videoformat möchte ich noch kurz auf neue Videoformen hinweisen: So werden seit kurzem durch die MOOC Factory 360 Grad Videos ausprobiert und produziert. Noch stehen diese zwar nicht in direkter Verbindung mit MOOCs, weisen aber ein für sich spezielles Potenzial auf: In solche Videos können durch die Nutzung von Tools kleine Aufgaben integriert werden, sie können mit einer Story verbunden werden. Bspw. über 3D-Brillen kann die Bewegung und Aufgabenbearbeitung gesteuert werden. Dies ist sicher weiter zu beobachten und didaktische Einsatzpotenziale zu eruieren.
Im betrieblichen Kontext sind bereits verschiedene Formate aus dem ursprünglichen MOOC-Format entstanden (z.B. SPOCs, small private online course). Hier wird immer wieder diskutiert, inwiefern diese die Forderungen an MOOCs noch aufnehmen („massiv“, „open“). Dagegen bringen sie eher andere Potenziale mit und adaptieren das Format auf ein für Unternehmen passendes. Auch hier werden die Entwicklungen weiter zu beobachten bleiben – ist bspw. zu bestimmten Themen und Zielen doch auch eine Öffnung nach aussen denkbar oder wird das weiterhin kaum vereinbar mit der Strategie sein?
Mit Blick auf die Fülle an bereits verfügbaren MOOC-Angeboten auf den verschiedenen Plattformen (EdX, Coursera, etc.) sehen manche Unternehmen bereits die Aufgabe bei sich, Rollen für die Kuratierung zu schaffen. D.h. vorliegende Kurse auf ihre Qualität und Relevanz hin zu bewerten, für Mitarbeitende ein Angebote vorzuselektieren und ihnen als Lernmöglichkeit aufzuzeigen. Möglicherweise kann dies in einem ersten Schritt für persönliche Bildungsziele genutzt werden, es bleibt abzuwarten, inwiefern dies für die Kompetenzentwicklung eingesetzt und anerkannt werden wird, die auf die Erreichung von Unternehmenszielen ausgerichtet ist.
Nochmals herzlichen Dank an das EPFL MOOC Camp Team für diese Einblicke und Diskussionen!
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