Leistungsfähige Smart Machines wie ChatGPT finden ihren Weg auch in Bildungsinstitutionen. Damit stellen sich Fragen: Was bedeutet Bildung und Handlungskompetenz im Zeitalter von Smart Machines? Wie können diese Smart Machines in Unterricht und Prüfungen integriert werden?
Nachtrag 22.12.2022: Auf den Seiten des Hochschulforums Digitalisierung wurde am 19.12. ein lesenswerter Blogbeitrag von Doris Weßels, Margret Mundorf und Nicolaus Wilder zum gleichen Thema publiziert: “ChatGPT ist erst der Anfang: Über den Einsatz generativer KI-Sprachmodelle im Bildungskontext“
Nachtrag 22.01.2022: Ein Blogpost des Centers for Teaching and Learning der University of Michigan vom 09.01.2023 zu den Implikationen von ChatGPT für Lehren und Lernen an Hochschulen.
Foundation Models als Grundlage für leistungsfähige KI-Anwendungen
Als das grundlegende KI-Modell GPT (Generalized Pre-trained Transformer) im Jahr 2020 in der dritten Version (GPT-3) veröffentlicht wurde, hat dies für viel Aufmerksamkeit gesorgt – auch im Bereich der Bildung. Foundation Models basieren auf tiefen neuronalen Netzen und werden mit einer sehr grossen Menge verschiedener Daten (Texte, Bilder, gesprochene Sprache, etc.) trainiert. Foundation Models können dann als “vortrainierte” Modelle vergleichsweise schnell für verschiedene Aufgaben optimiert werden (Bommasami et al. 2021).
Die Modell-Familie GPT-3.5
Seit einigen Tagen sorgt ein neues Modell für grosse Aufmerksamkeit: ChatGPT. Diese Anwendung basiert auf der Modell-Familie GPT-3.5 und ist Teil einer Reihe von spezialisierten Modellen des Unternehmens OpenAI:
- code-davinci-002 (Vervollständigen von Software-Code)
- text-davinci-003 (Vervollständigen von Text)
- DALL-E2 (Erzeugen von Bildern)
- InstructGPT (Instruktionen)
- Whisper (Spracherkennung)
- Codex (Erzeugen / Manipulieren von Software-Code)
ChatGPT
ChatGPT wurde spezifisch darauf trainiert, mit Benutzern in einer umgangssprachlichen Weise zu interagieren, so dass diese bessere Ergebnisse erzielen können. Es kann unter anderem Dialoge mit den Benutzern führen, Folgefragen beantworten oder falsche Annahmen hinterfragen. Wie die Entwickler ChatGPT dafür trainiert haben, ist in dieser Abbildung schematisch dargestellt:
Einige interessante und erstaunliche Beispiele, wofür ChatGPT genutzt werden kann, finden sich in diesem Artikel auf the-decoder.de:
- Erzeugen von html-Code für ein interaktives Tic-Tac-Toe-Spiel im Weihnachtsdesign
(hierzu gibt es auf Loom ein etwa 30-minütiges Video, das den Prozess dokumentiert; das Spiel, das dabei entstanden ist, kann man hier spielen) - Erzeugen eines Diätplans mit Mahlzeiten, Kalorien, Einkaufs- und Sportaktivitäten, bei dem Grösse, Gewicht, Alter und Geschlecht des Benutzers berücksichtig werden
(mehr dazu hier auf twitter) - Erzeugen einer Prüfungsfrage zum Thema “Diffusion von Technologien”, erzeugen des dazugehörigen Bewertungsschemas, Bewertung und Kommentierung der eingegangenen Kurzaufsätze von Studierenden sowie Erzeugen einer Stellungnahme zu einem Beschwerde-Schreiben eines Studierenden bezüglich der Benotung (mehr dazu hier auf twitter)
KI-Anwendungen sind auf dem Weg zum Desktop
Es ist bereits abzusehen, dass leistungsfähige Anwendungen auf der Basis von Foundation Models ihren Weg auf unsere Arbeitsplatz-Rechner finden werden. Microsoft arbeitet an einer Grafik-Anwendung namens “Designer”, die KI-Technologie und DALL-E2 einsetzt und mit der Benutzer über Texteingaben Präsentationen, Grafiken, Poster, etc. erzeugen können. Die Anwendung “Designer” soll zu einem späteren Zeitpunkt Teil der Microsoft 365-Suite werden (mehr dazu in diesem Artikel auf techcrunch).
Fragen für Bildungsverantwortliche
Damit stellen sich einige Fragen – nicht nur, aber auch – für Bildungsverantwortliche:
- Was bedeutet Bildung und Handlungskompetenz im Zeitalter von Smart Machines?
- Wie wird der Zugang zu bzw. die Verfügbarkeit von Smart Machines geregelt?
Und ganz unmittelbar:
- Wie sollen Schulen und Hochschulen damit umgehen, dass Schüler:innen und Studierende Anwendungen wie ChatGPT nutzen, um prüfungsrelevante Leistungen zu erbringen?
Mike Sharples, emeritierter Professor für Educational Technologies an der Open University UK, hat in einem Blogpost darauf hingewiesen, dass Hochschulen vor diesem Hintergrund ihre Prüfungspraxis überdenken müssen:
Students will employ AI to write assignments. Teachers will use AI to assess them. Nobody learns, nobody gains. (…) If Transformer AI systems have a lasting influence on education, maybe that will come from educators and policy makers having to rethink how to assess students, away from setting assignments that machines can answer, towards assessment for learning.
Sharples (2022): New AI tools that can write student essays require educators to rethink teaching and assessment. LSE blogs
Sharples formuliert erste Vorschläge dazu:
- Studierende erzeugen mit diesen Werkzeugen verschiedene Entwürfe, beispielsweise für einen Aufsatz, und machen sich dann daran, diese zu vergleichen, Schwächen aufzuzeigen und eigene, bessere Aufsätze zu schreiben.
Und er plädiert dafür, verstärkt auf andere Formen der Überprüfung von Lernprozessen zu setzen: beispielsweise auf Peer-Assessment oder Teachback.
Integration von KI / ChatGPT in Unterricht und Prüfung
Ein beeindruckendes Beispiel für die Integration von KI und Smart Machines wie ChatGPT in Unterricht und auch in Prüfungen liefert Hendrik Haverkamp, Koordinator für Digitalität am Evangelisch Stiftischen Gymnasium Gütersloh und Lehrer für die Fächer Deutsch und Sport. An dieser Schule sind Laptop-und Tablet-Computer schon seit 20 Jahren im flächendeckenden Einsatz, werden im Deutschunterricht erprobt und auch bei Prüfungen eingesetzt. In diesem Artikel auf the-decoder.de erläutert Haverkamp, wie er im Fach Deutsch Prüfungen unter Einbezug von KI und Smart Machines umsetzt:
- Die Schüler:innen erstellen schriftliche Argumentation zu verschiedenen Themen mit Hilfe der Anwendung ChatGPT.
((Nebenbemerkung: Das Gestalten der Anfrage (“Prompt”) auf deren Grundlage die Maschine ein Ergebnis liefert, ist eine wichtige Fertigkeit auf Seiten der Benutzer, wie dieser Artikel zum Erzeugen fotorealistischer Bilder mit DALL-E2 zeigt und wie dieser Artikel zur Gestaltung von Prompts weiter ausführt.)) - Sie nehmen die so erzeugten Texte kritisch unter die Lupe:
- Welche grammatikalischen und stilistischen Verbesserungen braucht es?
- Sind die Texte fokussiert oder fransen sie aus? Beinhalten sie ausreichend Belege für die Argumentation?
- Sind die Informationen auf dem aktuellen Stand? Zu welchem Zeitpunkt war das Training der KI abgeschlossen und welche Informationen konnten damit nicht mehr verarbeitet werden?
- Werden in den Texten gesellschaftliche Stereotypen reproduziert (KI-Bias)?
- Die Schüler:innen nutzen weitere Werkzeuge, um die Texte zu verbessern:
- Sie stellen die Anfrage in englischer Sprache um zu prüfen, ob so ein besserer Text erzeugt wird. Diesen übersetzen sie dann mit weiteren Werkzeugen wie z.B. deepl.com ins Deutsche.
- Sie nutzen Werkzeuge wie LanguageTool oder Papyrus Author, um stilistische und grammatikalische Verbesserungen zu erreichen.
- Sie recherchieren im Netz, um die Angaben in den Texten zu überprüfen, zusätzliche Belege zu finden oder Meinungen von Expert:innen zu integrieren.
Größtenteils dienen die KI-Texte als Steinbruch für Ideen oder als Wetzstein für die eigene Position, da sie mit neuen, auch der eigenen Position widersprechenden Argumenten konfrontiert werden.
Haverkamp (2022): Ein Lehrer lässt KI bei Klassenarbeiten zu – das hat er dabei gelernt. the-decoder.de, 30.10.2022
(…)
Nach 90 Minuten geben die Schüler:innen beide Teile – die Argumentation und den Reflexionsteil – ab. Sie fließen zu gleichen Teilen in die Note ein.
Ein aus meiner Sicht gelungenes und vorbildliches Vorgehen bei der Integration von Smart Machines in Unterricht und Prüfungen.
Verweise
- Bommasami, R. e. a. (2021). On the opportunities and risks of foundation models. Stanford Institute for Human-Centered Artificial Intelligence (HAI), Stanford University.
- Sharples, M. (2022, May 17). New AI tools that can write student essays require educators to rethink teaching and assessment. blogs.lse.ac.uk.
- Titelbild zum Beitrag: DALL-E2 prompted by the-decoder
Die für 2023 aktualisierten Weiterbildungsprogramme der scil academy greifen die wichtigen Herausforderungen für Bildungsverantwortliche / Learning Professionals im Kontext der fortgeschrittenen Digitalisierung auf:
- Zertifikatsprogramm (CAS) Bildungsmanagement: New Work – New Skills – New Learning
- Zertifikatsprogramm (CAS) Lerndesign: Designing Future Learning
Dies gilt insbesondere für unsere Module zu “KI für Bildungsverantwortliche” und “Dialogorientierte Lern- & Assistenzsysteme“.
Mehr zu den Weiterbildungen bei scil auf dieser Seite. Und hier geht es zum nächsten Online-Informationstermin zu unseren Weiterbildungsprogrammen.
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