Am letzten Mittwoch, 14. September 2016, fand unser diesjähriger scil Trend- & Community Day statt. Wir waren zu Gast im Sitterwerk, einer Kunstgiessererei am Rande der Stadt im Sittertal. Das Sitterwerk verströmt den Charme eines in die Jahre gekommenen Industriebetriebs – ein interessanter Kontrast zu unserem Thema „Digitales Leben ¦ Lernen ¦ Leisten“. Was auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist: in der Kunstgiesserei werden nicht nur traditionelle analoge Fertigungsverfahren eingesetzt, sondern auch digitale Fertigungsverfahren, bei denen einer der grössten aktuell am Markt verfügbaren 3D-Drucker zum Einsatz kommt. Mit über 60 Teilnehmenden waren wir bei der Veranstaltung voll ausgebucht. Im Folgenden einige Schlaglichter auf die Themen und Inhalte.
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Den Start machten Daniela Schuchmann und Christoph Meier mit einer kurzen Orientierung zu der digitalen Welle, die Unternehmen aber auch Personalentwickler / Bildungsbereiche derzeit zu überrollen scheint. Am Beispiel der Schindler AG haben wir gesehen, wie zentral die Sensoren in Aufzügen und Fahrtreppen, die von diesen gesendeten Daten und deren Verarbeitung durch Call-Center, Einsatzmanager, Service-Center und Kunden für das Geschäft des Industrieunternehmens geworden sind. Die Bildungsverantwortlichen bei Schindler sind natürlich in diese Veränderungen eingebunden und unterstützen mit verschiedensten Angeboten. Aber gleichwohl fühlen sie sich manchmal wie Getriebene in einem schnellen Veränderungsprozess.
Eine Umfrage unter den Teilnehmenden zeigt, dass die digitale Transformation Bildungsorganisationen an vielen Stellen betrifft (neue Kundenanforderungen, veränderte interne Prozesse, neue Angebote). Nur gut 10% der befragten Bildungsorganisationen verfügen bereits über eine „digitale Agenda bzw. Strategie“, gut 40% arbeiten gegenwärtig daran. Die Bildungsorganisationen sind nur teilweise auf die mit der digitalen Transformation verbundenen Herausforderungen vorbereitet. Als wichtigste Erfolgsfaktoren werden die Weiterentwicklung der Lernkultur, des Leistungsangebots und das Umsetzen von Innovationsprojekten gesehen.
Im Rahmen unserer anschliessenden „Forschungsreise nach Digitalien“ wurde zunächst einmal die Frage in den Raum gestellt: Was heisst es, im digitalen Zeitalter (Horizont 2030) kompetent zu sein? Sabine Seufert skizzierte ein Rahmenmodell für das Bildungsmanagement in der Arbeitswelt 4.0, verwies auf laufende Arbeiten zu Kompetenzmodellen und zitierte ihren elfjährigen Sohn mit der Aussage, er baue sich später mal einen Roboter, der für ihn zur Arbeit gehe. Auch wenn wir darüber jetzt schmunzeln – die Fähigkeit, mit Algorithmen und Robotern produktiv (zusammen) zu arbeiten, wird im künftigen Berufsleben sehr wichtig sein.
Nina Scheffler stellte anschliessend Ergebnisse ihrer empirischen Untersuchungen zu Medien- und Informationskompetenzen in der Berufsbildung sowie an Maturitätsschulen (Gymnasien) vor. Die jungen Menschen tendieren dazu, ihre Informationskompetenzen zu überschätzen, wobei diese Diskrepanz bei Mädchen geringer ausgeprägt ist. Das Wissen darüber, wo Information verfügbar ist, wird höher gewichtet als das Wissen zum «warum», «was» und «wie». Das Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge im Netz ist dagegen weniger gut entwickelt. Beim kritischen Prüfen von Informationen und Quellen sowie bei der Anwendung konkreter Suchstrategien zeigen sich Defizite.
Wie können Kompetenzen im digitalen Zeitalter entwickelt werden? Daniela Schuchmann warf in ihrem Beitrag ein Schlaglicht auf das Fallbeispiel „LeaderMOOC“, ein Pilotprojekt des global operierenden Centers for Creative Leadership. Sie zeigte dabei den Entwicklungsprozess des MOOCs und verwies auf die von CCL gemachte Erfahrung, wie wichtig agile Entwicklungsmethoden bei der Entwicklung von neuen Lernangeboten sein können. Ein wichtiges Ergebnis für CCL war auch, dass im Rahmen eines MOOC Lernerfolge auf dem gleichen Niveau wie im Seminarraum erreicht werden können.
Welche Geschäftsmodell-Innovationen sind im Bildungsmanagement zu beobachten bzw. zu erwarten? Hier führte Christian Schneider zunächst das Konzept der Plattformökonomie ein. Anschliessend zeigte er am Beispiel von Linked.in, Lynda.com und o*net (einer online-Plattform mit Referenzrahmen zu Fähigkeitsanforderungen an Berufsbilder in den USA sowie Hinweisen zu offenen Stellen) die Bedeutung von Vernetzung, Systemintegration und Datenanalysen für die Entwicklung neuer Serviceleistungen.
Anschliessend wandten wir uns konkreten Beispielen für die Kompetenzentwicklung im Hinblick auf digitalisierte Arbeitswelten zu.
Janosch Türling (Lernarchitekt bei AXA-Winterthur) zeigte Ausschnitte aus dem Programm „Do you speak digital?“, einem Angebot für alle Mitarbeitenden der Axa-Wintherthur. Das im Rahmen eines ‚rapid prototyping‘-Ansatzes mit einem funktionsübergreifenden Team entwickelte Entwicklungsprogramm (ein nur innerhalb des Unternehmens offener online-Kurs, COOC) adressiert alle zwei Monate ein neues Thema (z.B. „Suchen und Finden“, „Social Media“, „Sicherheit / Datenschutz“) und integriert eine virtuelle Lernumgebung sowie virtuelle Lernbegleitung, Coaching und (reverse) Mentoring-Aktivitäten. Ergänzt wurde diese Veränderungsinitiative durch die Öffnung von Social Media-Kanälen (Facebook, YouTube, etc.) für die Mitarbeitenden des Unternehmens.
Roy Franke (CYP) und Christoph Meier (scil) stellten anschliessend die gemeinsam entwickelte Team-Intervention „Going Digital: Fit für die digitale Transformation“ vor, die sich an L&D-Teams richtet. Das Angebot beinhaltet einen eintägigen Einführungs- und Konfigurationsworkshop, über den eine genaue Passung für das jeweilige Team hergestellt wird. Darauf folgt ein erstes Modul zum Thema „Ich in der digitalen Welt“ (u.a. mit Themen wie „IT-Infrastruktur und Sicherheit“, „Informationen verwalten“, „Zusammen arbeiten“) und dann ein zweiten Modul zu „L&D in der digitalen Welt“ mit Fokus auf medial erweiterte Lehr-/Lernarrangements. Zur nachhaltigen Wirkung dieses Veränderungsimpulses tragen insbesondere der Transferauftrag und die virtuelle Abschlusskonferenz bei.
Nach dem Mittagessen in der rustikalen Werkskantine wurden, wie schon im Jahr zuvor, im Rahmen eines Marktplatzes verschiedene Arbeitswerkzeuge für Bildungsverantwortliche vorgestellt. Eine Zuordnung der Werkzeuge fällt bei der Kategorie „Inhalte finden & erstelllen“ leichter, bei den Kategorien „Produktivität & Zusammenarbeit“ sowie „Communities & Netzwerke“ schwerer. Vorgestellt wurden „kahoot“, „easygenerator“, sowie „LernFramework“ (von LerNetz.ch, dieses Jahr zu Gast bei uns) sowie „MindMeister“, „evernote“ und „slack“.
Anschliessend ging es um das Thema „Wissen neu organisieren“. Wir besuchten die Bibliothek und das Werkstoffmagazin des Sitterwerks [http://www.sitterwerk.ch/kunstbibliothek.html]. Ariane Roth, Geschäfsführerin der Stiftung Sitterwerk, stellte uns die auf der Nutzung von RFID-Chips und einer Scan-Vorrichtung basierende dynamische Ordnung der etwa 11‘000 dort im Freihandzugriff befindlichen Bücher vor. Und sie zeigte uns, wie an den Arbeitstischen ebenfalls auf Basis der RFID-Technologie digitale Notiz- und Arbeitshefte erstellt (und bei Bedarf ausgedruckt) werden können.
Nach der Kaffeepause ging es im letzten Teil unserer Veranstaltung um das Thema „Kompetenzentwicklung für Führungskräfte in einer digitalen Welt“. Diana Seibold und Gabriele Brömler (Allianz SE Akademie) stellten mit „Time Warp – A Digital Experience“ einen weiteren Corporate Open Online Course (COOC) vor. Dieses Programm richtet sich an Mitarbeitende und Führungskräfte der Allianz und verfolgt Zielsetzungen wie die Sensibilisierung für die Veränderungen in der digitalen Welt, Vermittlung von Wissen und Best Practices (z.B. Führen im digitalen Zeitalter) sowie schliesslich die Entwicklung von Lernkompetenzen.
Die digitale Transformation betrifft auch die Medienwirtschaft. Bei der Axel Springer SE basierten im Jahr 2008 lediglich 14% des Umsatzes auf digitalen Produkten und Dienstleistungen, im Jahr 2015 dagegen schon 62% (beim Finanzergebnis ist die Veränderung noch drastischer). Im letzten Beitrag des Tages mit dem Titel „Hot in the valley – was man vom Silicon Valley lernen kann“, stellte Sirka Laudon (Axel Springer SE) das Projekt eines Research Sabbaticals im Silicon Valley für Führungskräfte und zentrale Lernerfahrungen daraus vor. Anschliessend stellte sie zwei weitere innovative Programme vor: die virale Recruiting-Kampagne YEAH 3000 und das Programm „move – Dialog, Wissen, Machen“ mit den verschiedenen Elementen wie „Best Practice Club“, „Ideenschmiede und FedEx-Day“, „Early Bird Café“, „Media Powehouse“, „Buzzword Decoder“ oder „Pizza CONNECTion“. Mit Blick auf die Zielgruppe Führungskräfte gab sie abschliessend noch kurze Einblicke in das Programm „Management Summit – Reise zum Mittelpunkt der digitalen Welt“ (hier ein ca. sieben Minuten langes YouTube-Video mit Impressionen dazu).
Für uns hat dieser Tag im speziellen Ambiente der Kunstgiesserei Sitterwerk sehr gut funktioniert und für unsere Gäste auch (soweit wir das aus informellen Gesprächen aufnehmen konnten). Unser nächster scil Trend- & Community Day findet am 13.09.2017 statt. Eine erste Idee ist, dass wir diesen bei der Würth-Akademie am Rorschacher Hafen durchführen könnten. Das würde schon vom Ambiente her ein starker Kontrast zur diesjährigen Durchführung. Und vielleicht könnten wir die dort ausgestellte Kunstsammlung nutzen, um nebenbei einen kurzen Ausflug in das Thema „arts-based-learning“ zu machen. Aber das sind erst mal nur Ideen – wir werden dazu informieren…
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Medienkompetenzen 4.0: neue Mensch-Maschine-Interaktionen
Stellen Sie sich folgende Situation vor:
Sie kommen in die Notaufnahme mit einer völlig unklaren Krankheit und Ihnen geht es schlecht. Der Chefarzt kommt herein und sagt, er habe 30 Jahre Erfahrung, er werde schon herausfinden, was mit Ihnen nicht stimmt. Und dann sitzt da noch der junge Assistenzarzt, erstes Ausbildungsjahr, der sagt, er habe hier einen Computer mit dem Wissen von 600 Chefarztjahren. Wem würden Sie sich anvertrauen?
Das ist das “grosse” Neue an der Digitalisierungswelle mit dem Durchbruch der Künstlichen Intelligenz – Maschinen können eine nahezu unbegrenzte Zahl an Patientenfällen im Gedächtnis abrufen, diese Technik, Deep Learning genannt, sind neuartige Expertensysteme
Digitalisierung von Wissensarbeit – wie in diesem Beispiel – ist stärker durch Augmentation anstatt Substitution (steht in der aktuellen Diskussion eher im Vordergrund: Roboter nehmen Jobs weg – Rationalisierungseffekte, die es schon immer gab). Wirklich neu ist die Frage: wie ergänzen sich die Kompetenzen von Mensch und Maschine – Interaktionen zwischen Mensch und Maschine? Medienkompetenzen 4.0
Im Eingangsbeispiel:
Heute hören sich die Ärzte Beschreibungen der Symptome ihrer Patienten an und vergleichen sie mit bekannten Krankheiten. Das könnten Algorithmen übernehmen. Die Ärzte würden dann nicht selbst diagnostizieren, sondern vielmehr ihre automatisierten Helfer bei der Diagnose überwachen und ihre eigene Erfahrung und Intuition einbringen. Die Handarbeit der Ärzte bleibt aber wichtig.
Ist es nur die Handarbeit? Oder brauchen Ärzte künftig andere komplementäre Kompetenzen? Führungskräfte müssen lernen, in welchen Fällen Algorithmen ihnen helfen können, Denkverzerrungen aufzudecken und wann Intuition in Form von kondensierter Erfahrung ins Spiel kommen muss. Ein mit KI ausgestatteter kognitiver Assistent kann auf der Basis riesiger Datenmengen statistisch fundierte Vorschläge machen. Nichtsdestotrotz sind diese Resultate eingeschränkt, etwa durch Datenauswahl, Systemmodellierung und Training. Nur der Mensch kann eine holistische Situationseinschätzung vornehmen. Eine Führungskraft muss um die unterschiedlichen Kompetenzen und Begrenzungen wissen und Entscheidungsprozesse adäquat gestalten können. Umgekehrt kann der Mensch durch das Expertensysteme neue Erkenntnisse gewinnen und permanent dazu lernen.
– Wie genau wird die kooperative Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine künftig aussehen, ist dabei eine zentrale Frage.
Um ein Beispiel aus einem andere Kontext zu bringen: Schachmeister werden immer jünger (Jüngste ist 12 Jahre alt). Man hat festgestellt, dass die jungen Schachspieler andere Strategien entwickelt haben als die älteren -> sie spielen und trainieren nicht gegen den Computer, sondern gemeinsam mit ihm. Durch diese kollaborative Zusammenarbeit werden sie auch selbst besser. Sehen wir hier bereits die Zukunft?
“Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleich verteilt” (Amerikanischer Science-Fiction-Autor William Gibson)
Humboldt im digitalen Zeitalter? NZZ Diskussion geht weiter
Karin Vey, IBM Research, und ich haben einen NZZ Beitrag zur Hochschulbildung künftiger Führungskräfte verfasst – wir haben dadurch einen intensiven Diskurs geführt, mehrere Iterationen, die Freude am “gemeinsamen Werk” trieb uns an – dann war es soweit. Die Rückmeldung der Redaktion war positiv, doch um die Hälfte mussten wir kürzen. Schöne Beispiele, liebgewonnene Sätze streichen… in der Print-Ausgabe immerhin noch eine halbe Seite… Und online steht er weiterhin zur Diskussion.
Wir hatten in der Überschrift ein “?” – bewusst als Frage im Titel formuliert. Entweder aus Versehen weg oder passte einfach nicht zu unserem prägnanten Statement am Ende…
http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/hochschulbildung-2030-humboldt-im-digitalen-zeitalter-ld.115748
Unternehmen brauchen inspirierende Persönlichkeiten – Glückwunsch an Bruno Wicki!
Es gibt Menschen, die Energie ausstrahlen. Nach einem Gespräch fühlt man sich bereichert, energetisch aufgeladen, mit neuen Impulsen positiv in die Zukunft blickend. So eine Persönlichkeit ist Bruno Wicki. Schindler würdigt jährlich nur wenige inspirierende Persönlichkeiten. Dieses Jahr ging er an Bruno Wicki, Leiter Ausbildung bei Schindler. Ganz herzlichen Glückwunsch, Bruno! Diesen renommierten Award hast du wohlverdient erhalten – das freut mich riesig!
Um meine Kollegin Heike Bruch, Professorin für Leadership und Direktorin am Institut für Führung und Personalmanagement zu zitieren:
„Das Schlüsselelement für gute Leistung ist gute Führung. Unternehmen brauchen inspirierende Persönlichkeiten, nicht nur Verwalter. Sie brauchen Leader, nicht nur Manager. Denn diese sind es, die Unternehmen zum Erfolg führen, indem sie organisationale Energie freisetzen und lenken.“
Bruno: du lebst es vor, wie inspirierende und transformationale Führung im Zeitalter des digitalen Wandels erfolgreich verläuft – du schaffst es, deine Lernenden zu begeistern und alle Mitarbeitenden mitzunehmen. Du pflegst eine zielorientierte, partizipative Unternehmenskultur, die wohlwollend, authentisch und ernstgemeint ist – da können auch neue „digitale Ansätze“ auf fruchtbaren Boden fallen, um Innovationen zu erzeugen!
Es erfüllt mich mit Stolz, dass wir mit dir bei Schindler “Going Digital” gemeinsam machen können, dich persönlich in unserem Netzwerk zu haben und seit diesem Jahr auch bei uns in der Funktion als GLA Mitglied. Freue mich aufs Advisory Board Meeting sowie Community Day und den persönlichen Austausch mit dir, der immer sehr bereichernd ist 🙂
Digitalisierung von Lernen: adaptive tutorielle Systeme
In den letzten Jahren sind bei der Entwicklung von adaptiven bzw. intelligenten tutoriellen Systemen deutliche Fortschritte erzielt worden und Bildungsverantwortliche sollten dieses Feld im Auge behalten. Dies gilt nicht nur für Schulen und Hochschulen sondern auch für den Bereich der betrieblichen Weiterbildung. Eine kurze Orientierung.
Ein Lehrer für mich allein?
Eine möglichst gute Ausbildung und daran anschliessend lebenslanges Lernen sind weitherum als Ziele und normative Orientierungspunkte etabliert – auf gesellschaftlicher, institutioneller und individueller Ebene. Gegenwärtig kämpfen allerdings Hochschulen damit, gute Betreuungsverhältnisse zwischen Lehrpersonen einerseits und Lernenden / Studierenden andererseits zu wahren. Und Bildungsbereiche in Unternehmen und Organisationen kämpfen mit knappen Budgets, die eine Fokussierung auf die jeweils unter strategischen Gesichtspunkten wichtigsten Lern- und Entwicklungsbedarfe erfordern. Dabei bleibt vieles, was nicht Priorität 1 ist, aussen vor.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern aktuelle technologische Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz und adaptiver tutorieller Systeme weiterhelfen können. In diesem Zusammenhang wird auch auf das von Benjamin Bloom vor gut 30 Jahren formulierte “2-Sigma-Problem” verwiesen: verschiedene Studien hatten aufgezeigt, dass Lernende, die in einer 1:1 Situation von Tutoren individuell betreut wurden, bei Lernerfolgsüberprüfungen 2 Standardabweichungen besser abschnitten als Lernende in konventionellen Lernarrangements mit ca. 30 Lernenden pro Lehrperson. Oder anders gesagt: die individuell betreuten Lernenden waren im Durchschnitt so gut wie die besten 2% der Lernenden in konventionellen Lernarrangements (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Quelle: Bloom 1984
Tutorielle Einzelbetreuung von Lernenden ist nun aber in der Regel kein tragfähiges bzw. bezahlbares Modell. Bloom und sein Forschungsteam haben sich daher der Suche nach Lehr-/Lernmethoden zugewendet, die zu ähnlich guten Ergebnissen in grösseren Lerngruppen führen. Sie erzielten dann vergleichbar gute Ergebnisse mit Kombinationen von Mastery Learning, partizipativen Lernformen und einer Ausrichtung des Lernens auf höhere kognitive Prozesse (vgl. Bloom et al. 1984).
Forschungen in den Feldern künstliche Intelligenz und adaptive tutorielle Systeme befassen sich mit dem von Bloom nicht weiter verfolgten Lösungsansatz: der Entwicklung von technischen Lösungen, die eine hochgradig lernwirksame und zugleich kostengünstige 1:1 Lernbegleitung für eine grosse Anzahl von Menschen ermöglichen – im Kontext der Schul- und Hochschulbildung wie auch im Kontext der betrieblichen Weiterbildung. Diese Forschungsrichtung hat bereits Tradition. So hatte beispielsweise Sabine Seufert in ihrer Diplomarbeit 1993 das Thema “Lehrstoffstrukturierung für intelligente tutorielle Systems” gewählt. Und an der Universität St.Gallen wurde mein früherer Kollege Oliver Bendel in 2003 für seine Arbeit zu “Pädagogische Agenten im Corporate Learning” promoviert.
Damit werden weitere Wege sichtbar, wie “Ein Lehrer für mich allein” umgesetzt werden könnte. Zum einen sind dies Dialogsysteme (Weiterentwicklungen von Sprachassistenzsystemen wie Siri und sogenannte Weiterbildungsbots – vgl. hierzu einen Gastbeitrag von Fritz Breithaupt in der ZEIT vom Februar 2016). Zum anderen sind dies adaptive Lernplattformen, die auf grossen Mengen an systematisch aufbereiteten Lerninhalten basieren. Diesem zuletzt genannten Typ von Systemen will ich hier etwas nachgehen.
Angetrieben wird die Entwicklung adaptiver tutorieller Lernplattformen nicht nur von fachlich ausgerichteter (Grundlagen-)Forschung, beispielsweise im Bereich künstliche Intelligenz, sondern auch von ökonomischen Entwicklungen. So bemühen sich beispielsweise grosse Lehrbuchverlage in den USA darum, ihr Geschäftsmodell neu auszurichten. Denn sie merken, dass das bisherige Geschäftsmodell, das zentral auf dem Verkauf von Lehrbüchern basiert, unter Druck geraten ist (online Tauschbörsen für Lehrbücher; Einscannen und Teilen von Lehrbüchern bzw. Ausschnitten daraus; MOOC-Anbieter). Angesichts der schrumpfenden Margen investieren Lehrbuchverlage unter anderem in adaptive tutorielle Systeme, um höherwertige Dienstleistungen mit höheren Gewinnmargen anzubieten:
“To retain its value, Levin [CEO von McGraw-Hill Education, CMei] says, the textbook of the 21st century can’t just be a multimedia reference source. It has to take a more active role in the educational process. It has to be interactive, comprehensive, and maybe even intelligent. It has to make students’ and teachers’ lives easier by automating things they’d otherwise do themselves. The smarter it gets, the more aspects of the educational experience it can automate—and the more incentive schools and teachers will have to adopt it.” (Oremus 2015)
Wie funktionieren diese Systeme und was können sie gegenwärtig leisten?
Intelligente tutorielle Systeme (ITS) bzw. adaptive Lernsysteme (ALS) berücksichtigen die Lernenden in unterschiedlicher Weise. Frühere Systeme beschränkten sich darauf, den Lernenden Auswahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Inhalten zu bieten und die Lernaktivitäten zu beobachten. Auf dieser Grundlage konnten dann z.B. nächste Lerninhalte mit passendem Schwierigkeitsgrad angeboten werden. Neuere Systeme gehen darüber hinaus. Zum einen bieten sie Hinweise auf einen viel weitergehenden Fundus von relevanten Materialien im WWW (adaptive Hypermedia-Systeme). Zum anderen beanspruchen sie, individuelle Präferenzen der Lernenden zu berücksichtigen – nicht nur im Hinblick auf Lerninhalte, sondern auch im Hinblick auf Lernstile und Lernpräferenzen (adaptive Lernsysteme) (Bagheri 2015, S. 3-4).
Die zentralen Komponenten eines adaptiven Lernsystems sind das Domänen-Modell, das tutorielle Modell, das Lernenden-Modell sowie die Benutzeroberfläche (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Komponenten eines adaptiven tutoriellen Systems (nach Mathews 1993 in Bagheri 2015, S. 5ff.)
In einem Beitrag für das Open Access Journal International Journal of Education liefert Bagheri (2015) eine Übersicht zu und Charakterisierung von verschiedenen aktuell am Markt verfügbaren adaptiven Lernsystemen. Im Folgenden will ich zwei davon kurz beleuchten.
Knewton
Knewton, als Unternehmen in 2008 gegründet, bietet eine Lernplattform (www.knewton.com), die Lerninhalte und Lernprozesse gemäss dem Vorwissen, den Zielsetzungen und den Merkmalen individueller Nutzer anpassen kann. Partner sind namhafte Verlage (z.B. Pearson, Macmillan Education, Elsevier), Bildungsinstitutionen und zahlreiche Technologie-Unternehmen. Knewton hat in mehreren Finanzierungsrunden über 150 Millionen US$ an Investment-Kapital erhalten.
“Knewton supports the learning process with three core services: personalized recommendations for students, analytics for teachers and students, and content insights for application and content creators.” (Wilson / Nichols 2015, S. 3)
Die zentralen Elemente der Plattform und der darauf basierenden Services sind in der folgenden Abbildung dargestellt:
Abbildung 3: Zentrale Komponenten der Plattform Knewton (Quelle: Wilson / Nichols 2015, S. 6)
Knewton verknüpft Informationen zu Inhalten (insbesondere “knowledge graphs” oder Konzept-Karten, (vgl. Abbildung 3, oben) mit Daten zu den Antworten bzw. Leistungen von Lernenden (links), und erzeugt darauf basierend Aussagen über die Leistungsfähigkeit der Lernenden. Diese Aussagen fliessen dann in Voraussagen zu Bearbeitungszeiten ein (unten) und in das Erstellen von personalisierten Empfehlungen für nächste Lernaktivitäten (rechts).
Knewton beobachtet und analysiert permanent verschiedene Aktivitäten von Lernenden wie beispielsweise
- richtige oder falsche Antworten auf Testfragen
- die für bestimmte Aufgaben aufgewendete Zeit
- welcher Lernstil am besten die Aneignung bestimmter Konzepte unterstützt
- das Hinundherbewegen einer Maus, wenn sich ein Lernender nicht zwischen zwei Antwortoptionen entscheiden kann
(Bagheri 2105, S. 8)
Der zuletzt genannte Punkt ist keine technische Spielerei, sondern verweist auf eine Herausforderung bei der Bestimmung des Wissens- bzw. Leistungsstands von Lernenden: wie kann man zufällig richtig ausgewählte Antworten auf Testfragen (Raten) von Antworten unterscheiden, bei denen die Lernenden die richtige Antwort kennen? area9learning, ein weiterer Anbieter (vgl. unten), geht bei diesem Punkt einen anderen Weg: über eine Zusatzfrage werden die Lernenden kontinuierlich dazu befragt, wie sicher sie sind, dass die gerade abgegebene Antwort richtig ist.
Technische Details zur Knewton-Plattform sind in einem technischen Whitepaper weiter ausgeführt.
Bagheri zufolge ist Knewton eine der führenden adaptiven Lernplattformen. Auch wenn er anmerkt, dass die publizierten Erfolgsberichte (z.B. zusammen mit der Universität von Arizona) auf Studien beruhen, die dem Anspruch an kontrollierte Experimente nicht genügen. Interessant ist Knewton aber auch, weil es (derzeit noch) Lehrmittelautoren ermöglicht, kostenlos Inhalte in der Plattform zu erstellen.
ALEKS
ALEKS (Assessment and LEarning in Knowledge Spaces) ist ein Web-basiertes Test- und Lernsystem, das auf künstlicher Intelligenz basiert. Seine Entwicklung geht zurück auf Arbeiten von J.-C. Falmagne zu Wissensräumen bzw. knowledge spaces, die um 1980 begannen und im Rahmen grosser NSF-Forschungsprojekte in den USA in den 1980er and 90er Jahren weiterentwickelt wurden. Seit 1992 wird an der Softwareplattform gearbeitet. ALEKS Corporation, gegründet 1996, ist heute Teil des Unternehmens McGraw-Hill Education (https://www.aleks.com/about_aleks/research_behind).
Eine Besonderheit von ALEKS besteht in der Diagnose des Wissensstands von Lernenden zu einem bestimmten Themen- bzw. Konzeptraum. Den Startpunkt bildet ein Test mit ca. 20-30 Fragen, wobei dieses Fragenset nicht fix ist, sondern Lernenden-spezifisch angepasst wird. Daraus resultiert eine Hypothese sowohl zum individuellen Wissensstand als auch dazu, welche nächsten Themen / Konzepte für den Lernenden in Frage kommen (“ready to learn”).
Abbildung 4: Schematische Darstellung der Entwicklung einer Hypothese zum individuellen Wissensstand (Quelle: ALEKS)
Auf dieser Grundlage treten dann die Lernenden in den Lernprozess ein, in dessen Verlauf ihre Interaktionen mit dem System (Bearbeitung von Materialien, Bearbeitung von Tests mit jeweils ca. 25 Fragen / Aufgaben) protokolliert und Hypothesen zum aktuellen Wissensstand und zur Bereitschaft für nächste Lernthemen generiert werden. Für die Lernenden wird der eigene Wissensstand zu einem Themengebiet über ein Tortendiagramm visualisiert, aus dem ersichtlich ist, wie viele (Teil-)Themen in einem Gebiet man schon beherrscht, welche nicht, und für welche nächsten Lernthemen man bereit ist (vgl. Abbildung 5):
Abbildung 5 (Quelle: ALEKS)
In seinem Review führt Bagheri an, dass ALEKS von Lernenden dann sehr gut bewertet wird, wenn es darum geht, den eigenen Stand in einem Wissensgebiet zu überprüfen und diesen punktuell zu erweitern. Weniger gut funktioniere die Arbeit mit ALEKS, wenn man sich ganz neu in ein Themengebiet einarbeiten müsse (Bagheri 2015, S. 9).
In seinem Übersichtsartikel bespricht Bagheri noch eine Reihe weiterer adpativer tutorieller Systeme, die aber entweder einen spezifischen fachlichen Fokus aufweisen oder aber weniger adaptiv sind als die oben genannten Systeme:
- Smart Sparrow (Fokus auf Medizin und Naturwissenschaften)
- Dreambox Learning (Fokus auf Mathematik für den Grunschulunterricht)
- Brightspace / Desire2Learn (Fokus auf Kompetenz-basiertem Lernen)
Fazit
Viele frühere Entwicklungen zu adaptiven tutoriellen Systemen sind nicht zur Marktreife gelangt (vgl. Mulwa 2010). Aber in den letzten Jahren sind bei der Entwicklung von adaptiven bzw. intelligenten tutoriellen Systemen deutliche Fortschritte erzielt worden. Allerdings merkt Bagheri kritisch an, dass die hier betrachteten Systeme letztlich doch nur ein Element des Gesamtmodells (vgl. Abbildung 2) in den Mittelpunkt stellen: das Wissen der Lernenden, das über wiederholte Tests immer wieder neu bestimmt wird. Andere Merkmale der Lernenden wie z.B. individuelle Lernstile würden bei der Bestimmung der Lernpfade noch zu wenig berücksichtigt (Bagheri 2015, S. 13).
“It is essential to recognize that learners are multi-dimensional beings and categorizing them solely based on their knowledge level is definitely false. There are many personal traits which should be integrated in adaptive learning systems to enhance their effectiveness.” (Bagheri 2015, S. 14)
Dennoch ist dies ein Feld, das im Auge zu behalten ist. Dies gilt nicht nur für Schulen und Hochschulen und Fachgebiete, deren Grundwissen mehr oder weniger kodifiziert bzw. unstrittig ist (z.B. Mathematik, Biologie, Chemie, etc.). Auch für den Bereich der betrieblichen Weiterbildung sind diese Entwicklungen interessant. So wird beispielsweise bei Hitachi Data Systems mit der adaptiven Lernplattform area9learning gearbeitet und – wenn man den eigenen, allerdings nicht wissenschaftlich dokumentierten – Fallstudien Glauben schenken darf, mit Erfolg. Im Fall Hitachi wurde diese adaptive Plattform für das Produkttraining von ca. 7’000 internen und ca. 25’000 externen Mitarbeitenden eingesetzt und insgesamt eine Reduktion der Lernzeit um ca. 50% konstatiert:
Abbildung 6: Zentrale Ergebnisse des Einsatzes von area9learning bei Hitachi Data Systems (Quelle:
http://area9learning.com/wp-content/uploads/2016/06/Hitachi-Data-Systems.pdf)
Referenzen:
ALEKS (2012). What makes ALEKS unique. https://www.aleks.com/about_aleks/What_Makes_ALEKS_Unique.pdf
Bagheri, M. M. (2015). Intelligent and adaptive tutoring systems: How to integrate learners. International Journal of Education, 7(2).
Bloom, B. S. (1984). The 2 Sigma Problem: The search for methods of group instruction as effective as one-to-one tutoring. Educational Researcher, 13(6), 4–16.
Mulwa, C., Lawless, S., Sharp, M., Arnedillo-Sanchez, I., & Wade, V. (2010). Adaptive Educational Hypermedia Systems in Technology Enhanced Learning: A Literature Review. In Proceedings of the 2010 ACM Conference on Information Technology Education (S. 73–84). New York, NY, USA: ACM. http://doi.org/10.1145/1867651.1867672
Oremus, Will (2015): No more pencils, no more books. Artificially intelligent software is replacing the textbook – and reshaping American education. Slate, October 25, 2015.
Truong, H. M. (2016). Integrating learning styles and adaptive e-learning system: Current developments, problems and opportunities. Computers in Human Behavior, 55, Part B, 1185–1193. http://doi.org/10.1016/j.chb.2015.02.014
Wilson, K., & Nichols, Z. (2015). The Knewton Platform. A General-Purpose Adaptive Learning Infrastructure. knewton.com. Abgerufen von http://learn.knewton.com/technical-white-paper
Arbeitsbericht zum SCIL Innovationskreis “Führungskräfteentwicklung”
Wir führen seit 2010 Innovationskreise durch, die jeweils auf knapp ein Jahr ausgelegt sind und an denen 10 Partnerunternehmen teilnehmen. Themen bisher waren Learning Value Management, Zukunftsorientierte Kompetenzentwicklung und jetzt zuletzt Führungskräfteentwicklung.
Bei der letzten Durchführung, die wir im Frühjahr abgeschlossen haben, waren folgende Partner dabei: Allianz SE, AXA Winterthur, Bayer Business Services GmbH, BMW Group, Endress+Hauser Management AG, Helsana Versicherungen AG, Pricewaterhouse Coopers AG, SBB AG, Suva, Swiss Life AG. Konzipiert und angetrieben wurde der Innovationskreis von unserer früheren Kollegin Tanja Fandel-Meyer, die mittlerweile die Schweiz verlassen hat und jetzt die Führungskräfteentwicklung beim Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg leitet. Jetzt konnten wir den Abschlussbericht fertigstellen, der hier kostenfrei bestellt werden kann.
Der Arbeitsbericht gliedert sich in 5 Teile (vgl. unten):
- Herausforderungen und Trends (mit einem Fokus auf das VUCA-Konzept)
- Qualitätsbereiche der Führungskräfteentwicklung und Standortbestimmung
- Gestaltungsansätze & Denkimpulse (strategieorientiertes Gesamtkonzept, Stakeholder-Orientierung, Lern- & Führungskultur, Portfoliomanagement und Innovationsanspruch, Inhalte & Themen, Methodik / Didaktik, TrainerInnen und ReferentInnen, Evaluation und Wertbeitrag)
- Arbeitshilfe zur Gestaltung
Im zentralen Abschnitt zu den Gestaltungsansätzen finden sich Darstellungen zu Beispielen aus der Runde der Partner ebenso wie Vertiefungen, die auf Gastbeiträgen aus Wissenschaft und Praxis im Rahmen der Arbeitstreffen sowie auf den Ergebnissen von Arbeitsgruppen im Rahmen des Innovationskreises basieren.
Fandel-Meyer, T. & Meier, C. (2016). scil Arbeitsbericht 25: Führungskräfteentwicklung mit Zukunft. Trends, Herausforderungen & Gestaltungsmöglichkeiten – ein Praxisbericht für FührungskräfteentwicklerInnen. Mit Beiträgen von AMI SE Academy, AXA Winterthur, Bayer Business Services, Daimler Corporate Academy, MCM-HSG, IWP-HSG, Lehrstuhl Internationales Management Universität der Bundeswehr München, Mobiliar Versicherungen. Swiss Centre for Innovations in Learning. St.Gallen.
Unser nächster Innovationskreis stellt die digitale Transformation und die Konsequenzen für Personalentwicklung bzw. Aus- und Weiterbildung in den Mittelpunkt. Start ist Anfang Februar 2017. Mehr dazu hier.
Wie kann man "lernagile" Mitarbeitende und Führungskräfte entwickeln?
Ein aktuelles Whitepaper von Harvard Business Press geht der Frage nach, wie Unternehmen “lernagile” Personen entwickeln können. Der Bericht fokussiert die Entwicklung von Führungskräften, aber die Thematik ist natürlich für Mitarbeitende auf allen Ebenen und in allen Funktionen relevant.
Zunächst einmal definieren die Autorinnen des Berichts das Konstrukt “Lernagilität”. Aus ihrer Sicht machen drei zentrale Elemente bzw. Komponenten Lernagilität aus:
- Fähigkeit zu Lernen (“Potential to learn”; u.a. Offenheit für Neues)
- Lernmotivation
- Reflexions- und Anpassungsfähigkeit
Anschliessend gehen Sie der Frage nach, wie Organisationen dazu beitragen können, dass die Lernfähigkeit ihrer Führungskräfte weiterentwickelt wird.
- Entwicklung der mentalen Offenheit und Lernfähigkeit
Hier nennen die Autorinnen unter anderem folgende Ansatzpunkte:
- Reflexion und Diskussion von Geschäftsfällen, die entweder inspirieren oder zur Vorsicht mahnen
- Entwicklung von expliziten Argumentationslinien für oder gegen bestimmte Handlungspläne sowie kritische Überprüfung der Pro- und Kontra-Argumente
- Suchen nach und Austauschen mit Personen, die eine andere Perspektive mitbringen
- Systematisches Coaching, Job Shadowing, Job Rotation und Stretch Assignments
2. Lernmotivation
Die Autorinnen verweisen hierzu unter anderem auf gute Erfahrungen der Deloitte Leadership Academy mit gamifizierten Lerndesigns aber auch darauf, dass Führungskräften deutlich gemacht werden muss, wie ihre eigenen Tätigkeiten und Leistungen zu übergeordneten Ergebnissen von Bereichen bzw. dem Gesamtunternehmen beitragen.
3. Reflexions- und Anpassungsfähigkeit
Bei diesem Punkt bleiben die Autorinnen eher vage. Es wird allgemein darauf verweisen, dass es wichtig ist, die Reflexion zu unterstützen. Bei Deloitte University, beispielsweise, werden im Rahmen von Entwicklungsprogrammen immer wieder kurze Selbst- oder Teamreflexionen eingestreut. Leitfragen für diese sind beispielsweise:
- Was habe ich beobachtet?
- Was lief gut?
- Was lief nicht so gut?
- Wie kann ich das, was ich gerade gelernt habe, in mein eigenes Tätigkeitsfeld übertragen?
Den Abschluss des Whitepapers bilden zwei kurze Vignetten zu Entwicklungsprogrammen von Fiat Chrysler Automobiles (“Learning to get results”) und Deloitte University (“NextGen Experience”), die beide auf die Entwicklung der Offenheit für Lernerfahrungen abzielen.
Referenz:
Amato, M.A. & Molokhia, D. (2016). How to cultivate learning agility. Harvard Business Publishing / Corporate Learning http://www.harvardbusiness.org/sites/default/files/19600_CL_LearningAgility_White_Paper_FINAL.pdf
Veränderungen im Markt für HR-Systeme (Josh Bersin)
Auch Jochen Robes ist mit seinem Weiterbildungsblog aus der Sommerpause zurück und versorgt uns wieder mit interessanten Fundstücken. Er verweist unter anderem auf einen umfangreichen Artikel von Josh Bersin (Bersin by Deloitte), in dem dieser die Entwicklung von HR-Systemen (inkl. Lern-Management-Systemen) in den letzten ca. 15 Jahren nachzeichnet und auf absehbare Veränderungen in diesem Markt hinweist. Im folgenden drei Abbildungen aus diesem Beitrag, die ich interessant finde, und ein paar kurze Notizen dazu:
Bersin liefert in seinem Beitrag dann noch eine Übersicht über die neuen Mitspieler im Markt für HR-Systeme, darunter auch Lernplattformen wie Grovo, Fuse, Axonify, Everwise und viele andere. Diese zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:
- “Feedback is embedded.”
- “They rely on feeds, not panels [Registerkarten].”
- “They use video extensively.”
- “Gamification is built in.”
- “Analytics is embedded.”
- “Nudges rather than directives”
- “They are simple.”
Bersin verortet die neuen HR-Apps in verschiedenen Kategorien (vgl. Abbildung unten), erwartet aber auch ein Zusammenfliessen dieser neuen HR-Apps:
Josh Bersin, The HR Software Market Reinvents Itself, Forbes, 18. Juli 2016
Studie: Präferenzen bei Lernmodalitäten von nachrangiger Bedeutung für Lernerfolg
Wie wichtig ist es für die Anbieter von betrieblicher Weiterbildung, auf die Präferenzen der Lernenden hinsichtlich der Lernmodalitäten einzugehen? Hat die Passung der grundlegende Modalität (z.B. Trainer-geführtes Präsenztraining oder E-Learning) mit den Präferenzen der Teilnehmenden einen Einfluss auf den Lernerfolg? Bisher gibt es wenig empirische Untersuchungen zu dieser Frage.
In ihrem Beitrag für die Online Zeitschrift “International Journal of Learning and Development” geht Tyecchia Paul genau dieser Frage nach. Der Beitrag basiert auf einer Folgeauswertung zu einer in 2014 publizierten Studie. An dieser quasi-experimentellen Studie (keine Zufällige Zuweisung der Versuchspersonen zu den unterschiedlichen Versuchsbedingungen) nahmen 103 Studierende im Fachbereich Management einer Hochschule in Maryland, USA, teil. Die Elemente der Studie waren folgende: 1) kurze Standortbestimmung zum Vorwissen; 2) eine ca. 12 Minuten umfassende Lerneinheit in 3 Modalitäten: trainer-geführtes Präsenztraining, E-Learning-Einheit am PC, E-Learning-Einheit auf dem mobilen Endgerät; 3) Lernerfolgskontrolle; 4) Fragebogen zu demografischen Merkmalen sowie zu Erfahrungen und Präferenzen im Hinblick auf verschiedene Lernmodalitäten.
Eine Überprüfung der Interaktion von präferierter Lernform und Modalität der Lerneinheit (trainer-geführtes Präsenztraining, E-Learning-Einheit am PC, E-Learning-Einheit auf dem mobilen Endgerät) ergab keine signifikanten Effekte. Damit sieht Paul frühere Untersuchungen (z.B. “The No Significant Difference Phenomenon“, Russell 1999) bestätigt. Für Bildungsverantwortliche ist Paul zufolge die Frage, welche Modalität (F-t-F, E-Learning, M-Learning) Lernende präferieren, von nachrangiger Bedeutung:
Therefore, when evaluating which training modality to invest in, organizational training professionals should base their decisions not on effectiveness or learner preference, but on other factors. Those factors include but are not limited to cost, deployment time, and ease of implementation and revision.
Referenzen:
Paul, T. (2014). An Evaluation of the Effectiveness of E-Learning, Mobile Learning, and Instructor-Led Training in Organizational Training and Development. The Journal of Human Resource and Adult Learning, 10 (2). Abgerufen von http://www.hraljournal.com/Page/1%20Tyechia%20Paul-new.pdf
Paul, T. (2016). Organizational Training Modalities: Investigating the Impact of Learner Preference on Performance. International Journal of Learning and Development, 6 (3). Abgerufen von http://www.macrothink.org/journal/index.php/ijld/article/view/9679/7948
Studie: Verknüpfung von Lernsequenzen mit Unterhaltungs-Spielen erhöht Lernerfolg
In einer kurzen Forschungsnotiz auf clomedia.com führt Karl Kapp, Experte für Gamification und game-based Learning an der Bloomsbury Universität, folgendes aus: in Lernsequenzen integrierte kurze Unterhaltungsspiele (“casual games”) führen zu verbessertem Lernerfolg.
Hier die zentralen Elemente der Untersuchung, soweit sie dem kurzen Beitrag zu entnehmen sind:
- Zwei Untersuchungsbedingungen:
- Bearbeitung von Fragen zu Lerninhalten auf einer Lernplattform
- Einsatz eines “casual game” VOR (2 Minuten) und WÄHREND (10 Sekunden zusätzliche Spielzeit als Bonus für richtige Antworten) der Bearbeitung von Fragen auf einer Lernplattform
- Dauer & Teilnehmende
- 12 Monate
- 6’301 Mitarbeitende im Einzelhandel in USA und Kanada
- Zentrale Ergebnisse
- Intensiveres & häufigeres Arbeiten mit der Lernplattform in der Bedingung “casual game”
- Lernende in der Bedingung “casual game” lieferten signifikant mehr richtige Antworten auf Fragen
Karl Kapp verweist in der Interpretation der Ergebnisse auf folgende grundlegendere Zusammenhänge:
Playing the casual game seemed to place the learner in a state of flow — a mental state in which a person is fully immersed and focused in what they are doing — and allowed them to concentrate more fully on a question after they had played the game for a few moments. It’s also possible that playing the casual game enhanced learning by boosting vigilance and alertness prior to engaging with the learning content.
Kapp, Karl (2016): Playing games leads to better learning. clomedia.com (http://www.clomedia.com/2016/07/07/playing-games-leads-to-better-learning/)
Sommerpause
Wir gehen in die Sommerpause und melden uns wieder im August…
Unveiling Information Literacy of Digital Natives in Secondary Schools
Unveiling Information Literacy of Digital Natives in Secondary Schools – Unter diesem Titel haben wir unsere Studie zu Informationskompetenzen im Gymnasium im Fach Wirtschaft und Recht vor kurzem publiziert
Artikel auf resesarchgate
Die Nutzung digitaler Medien setzt einen kompetenten Umgang mit diesen voraus. Die Fülle der grundsätzlich zur Verfügung stehenden Informationen hat jedoch zu einem Paradoxon geführt: Es ist leichter und gleichzeitig schwerer geworden, an die passende Information zu gelangen. Es gilt die Informationskompetenz, d.h. die Fähigkeit bezogen auf ein bestimmtes Problem Informationsbedarf zu erkennen, Informationen insbesondere im Internet zu ermitteln und zu beschaffen sowie diese zu bewerten und effektiv zu nutzen (Gapski &Tekster 2009, Balceris 2011) bereits in der Schule zu fördern und zu vermitteln.
Aus diesem Grund haben wir – gemeinsam mit meiner Kollegin Katarina Stanoevska des mcm Instituts der HSG – ein Forschungsprogramm zur Förderung von Informationskompetenzen auf der Sekundarstufe II gestartet. Im Zeitraum vom 24.02.2015 bis zum 29.06.2015 wurden in Zusammenarbeit mit der Kantonsschule am Burggraben insgesamt 61 Lektionen, in fünf verschiedenen Klassen, mit insgesamt 96 Schülern, in den Fächern BWL, Recht, Rechnungslegung und VWL begleitet. Es wurden 216 Blogbeiträge verfasst, die alle auch mit Interesse gelesen, kommentiert und schliesslich zusammengefasst wurden. Zudem wurden über 252 Online-Fragebögen ausgefüllt und ausgewertet. Unsere Projektresultate zeigen folgende Ergebnisse:
- Die objektive Informationskompetenz ist vor der Intervention tief und steigert sich nach der Intervention kaum. Dennoch gibt es in einigen Klassen eine geringe Steigerung in einigen der sieben Phasen der Informationskompetenz.
- Die selbsteingeschätzte Informationskompetenz ist hingegen hoch und nimmt in den meisten Klassen nach der Intervention noch mehr zu.
(Anmerkung: in unserer Studie schneiden das erste Mal Mädchen etwas besser ab – was ihre objektive IK anbelangt, sie sind auch selbstkritischer) - Interneterfahrung: Je länger das Internet von den Schülern genutzt wird, desto höher die selbsteingeschätzte Informationskompetenz. Im Durchschnitt nutzen die Schüler das Internet bereits seit 7,88 Jahren.
(kann man auch so übersetzen: die objektive IK bleibt eigentlich gleich (schlecht), die Selbsteinschätzung wird jedoch immer besser – ich fühle mich immer kompetenter, bin es aber eigentlich gar nicht) - Motivation: Die Motivation, das Fach zu verstehen, ist hoch und nimmt in den meisten Klassen nach der Intervention nochmals leicht zu. Die Freude am Fach ist tiefer als das Verständnis und sinkt in den meisten Klassen nach der Intervention. Je höher die Motivation, das Fach zu verstehen, desto höher die selbsteingeschätzte Informationskompetenz.
- Note Schulfach: Je höher die letzte Zeugnisnote, desto höher ist die objektive (tatsächliche) und subjektive Informationskompetenz.
- Nutzung: Die Anzahl der zuhause verwendeten Geräte sowie die Häufigkeit der Nutzung des Internet für informative Zwecke haben keinen signifikanten Einfluss auf die objektive oder selbsteingeschätzte Informationskompetenz.
-> Jugendliche lesen täglich andere soziale Sites (aber nicht mehr News) – das bedeutet, wenn etwas auf der Welt passiert, erfahren sie es eher über andere. Wir wollen daher in einem Nachfolgeprojekt stärker Soziale Medien als Informationsquellen in unsere Konzeption und Fragebogen einbauen.
Die Ergebnisse zur Förderung von Informationskompetenzen zeigen somit sehr deutlich, dass es eine grosse Herausforderung für Lehrpersonen darstellt, motivierende Unterrichtskonzeptionen zur Förderung von Informationskompetenzen im Fachunterricht zu entwickeln. Für 2016 sind weitere F&E-Aktivitäten in Kooperation mit Schulen geplant.
Internet related activities | Daily or almost daily | Once or twice a week | Once or twice a month | Never |
Use the Internet for a school related information search | 21.4% | 62.8% | 13.7% | 2.1% |
Watch school related videos | 2.9% | 15.4% | 52.2% | 29.4% |
Read or watch the news | 60.1% | 22.4% | 13.3% | 4.2% |
Check a profile on a social network site | 73.4% | 8.4% | 9.1% | 9.1% |
Visit a school related online forum | 7.1% | 4.3% | 14.2% | 74.5% |
Do homework online together with other people | 9.2% | 16.9% | 14.1% | 59.9% |
Write a blog or online diary | 0.0% | 0.7% | 1.4% | 97.9% |
Table 3: Frequency of Internet related activities -> zeigt das Nutzungsverhalten der Jugendlichen (Internetbezogene Aktivitäten sind meistens nicht auf die Schule bezogen, wenn dann nur für die Informationsrecherche)
Table 4
Variables | Mean | Std. Deviation | Scale |
Objective IL | 29.12 | 4.79 | 0 – 70 |
Self-assessed IL | 42.69 | 6.74 | 0 – 70 |
Table 4: Objective & Self-assessed IL: Means and Standard Deviations -> Selbsteingeschätzte IK ist wesentlich höher als die Objektive IK, Mean = Mittelwerte, Std.Deviation = Standardabweichung (Mass für die Streuung der Einzelwerte)
Table 5
Mean (Std. Deviation) | ||
Sub-competences | Objective IL | Self-assessed IL |
Information needs (1i) | 3.96 (1.73) | 6.08 (1.85) |
Information sources (2i) | 2.99 (1.62) | 5.85 (1.53) |
Information access & seeking strategy (3i) | 4.19 (1.36) | 6.08 (1.65) |
Information evaluation (4i) | 4.51 (1.54) | 6.36 (1.24) |
Information use (5i) | 5.78 (1.65) | 5.79 (1.19) |
Information presentation (6i) | 1.38 (1.68) | 6.44 (1.46) |
Information process & finding reflection (7i) | 4.22 (1.52) | 6.10 (1.31) |
Scale: 1-10 points
Table 5: Sub-competences: Means and Std. Deviations, scale from 1 – 10 Points -> diese Tabelle zeigt die erhobenen Teil-Kompetenzen noch im Detail (Mittelwerte, sowie die Standardabweichung in Klammern (Mass für die Streuung der Einzelwerte)). Auffallend ist, dass alle “objektiven IL” niedriger sind als die Selbsteinschätzungen, zwischen den Teil-Kompetenzen gibt es jedoch auch grosse Unterschiede.
Table 6
Mean (Std. Deviation) | ||
Groups | Objective IL | Self-assessed IL |
Male | 28.40† (4.42) | 44.15** (7.06) |
Female | 29.93† (5.09) | 41.04** (5.98) |
9th grade | 26.71† (3.07) | 42.04 (4.59) |
10th grade | 28.86† (5.02) | 43.38 (6.55) |
11th grade | 30.04† (4.64) | 41.96 (7.39) |
F – failed | 25.82† (5.10) | 38.60* (7.35) |
D – minimal pass | 28.14† (4.96) | 40.59* (6.64) |
C – satisfactory | 29.47† (5.41) | 43.92* (6.68) |
B – good | 30.05† (4.01) | 44.06* (6.34) |
A – excellent | 29.50† (4.84) | 43.52* (6.84) |
Table 6: Objective & Self-assessed IL: T-test and ANOVA Results -> diese Ergebnisse analysieren, inwiefern es Unterschiede hinsichtlich demographischer Merkmale (Geschlecht, Schulstufe, Schulnote) gibt. Die * geben an, inwiefern die Ergebnisse als signifikant zu bezeichnen sind (* mit 95% Wahrscheinlichkeit, ** mit 99% Wahrscheinlichkeit)
Digitale Transformation: Implikationen für L&D (ICELW 2016)
Im Rahmen der diesjährigen Konferenz ICELW 2016 (New York) – vgl. dazu den separaten Post – haben wir in einem Vortrag unsere Sicht auf das Thema digitale Transformation und die Implikationen für L&D vorgestellt (vgl. die eingebetteten Folien, unten).
Die Argumentationslinie, die uns zum Fokus unseres Beitrags führte, war folgende:
Technologische Innovationen (z.B. cloud computing, internet of things, industry 4.0, big data, etc.) ermöglichen Geschäftsinnovationen (“everything as a service”, digitale Arbeitsumgebungen), die wiederum zu veränderten Anforderungen und Erwartungen an betriebliche Bildungsbereiche führen (z.B. Unterstützung von Innovation und Agilität der gesamten Organisation, Förderung von Agilität und Lernkompetenz der Mitarbeitenden).
Vor diesem Hintergrund müssen betriebliche Bildungsbereiche ihr “basic operating model” / ihr Geschäftsmodell überprüfen. Ein einfacher Bezugsrahmen hierfür wurde bereits in einem früheren Blog-Beitrag eingeführt und umfasst folgende Elemente (vgl. Abbildung 1):
- normative Ebene: Was ist die übergeordnete Zielsetzung für L&D?
- stragegische Ebene (Wie? mittelfristig)
- Wer sind die “Kunden” / Nutzer der Leistungen von L&D?
- Welche Produkte / Dienstleistungen werden angeboten?
- Über welche Geschäftsprozesse werden diese realisiert / verfügbar gemacht?
- Wie funktioniert die Ertragsmechanik bzw. die wie wird ein angemessener Wertbeitrag realisiert?
- operative Ebene (Wie? kurzfristig – hier nicht weiter im Fokus)
Abbildung 1: Elemente eines Geschäftsmodells für L&D
In der Folge haben wir dann anhand von verschiedenen Fällen (CYP, SAP Education, scil academy) Beispiele für veränderte Geschäftsmodelle von L&D-Bereichen jeweils kurz angerissen:
- normative Ebene:
“empowerment” aller Mitarbeitenden für die Bewältigung von “permanentem Wildwasser als übergreifende Grundausrichtung; - strategische Ebene:
- Kundengruppen / Zielgruppen:
Beispiel SAP Learning Hubs: separate und differenziert konfigurierte online Learning Hubs für Studierende, SAP Berater, SAP Beratungshäuser, SAP Kunden; - Angebotsportfolio:
Beispiel scil academy: “Standard”-Kurse, erweiterte / transferorientierte Kurse, Kuratieren von Inhalten, Unterstützung von Reflexion und Lernen am Arbeitsplatz, Unterstützung von selbstverantwortetem und selbstorganisiertem Lernen z.B. in Netzwerken und Communities; - Geschäftsprozesse:
Beispiel CYP: Rekombination digitaler Ressourcen für neue Angebotsformate; - Ertragsmechanik:
Beispiel SAP Learning Hubs: Konfiguration unterschiedlicher Produktvarianten von Learnings Hubs und differenzierte Abo-Preise.
- Kundengruppen / Zielgruppen:
Abbildung 2: Beispiele für Geschäftsmodellinnovationen
Insgesamt sehen wir diesen allgemeinen Bezugsrahmen als einen hilfreichen Startpunkt, von dem aus L&D-Bereiche in Unternehmen und Organisationen die Überprüfung und ggf. Anpassung ihres Geschäftsmodells angehen können.
Kurzbericht ICELW 2016
Meine private Weiterbildung dieses Jahr war wiederum eine Reise in die USA, dieses Mal zur International Conference on E-Learning in the Workplace (ICELW) 2016 in New York. Die Konferenz findet seit 2007 jährlich statt. Organisiert wird sie von David Guralnick und einem Programmkomittee, in dem auch Vertreter aus Europa dabei sind (u.a. auch Sabine Seufert von scil / Universität St.Gallen). David ist CEO von Kaleidoscope Learning und Adjunct Professor an der Columbia University in New York, wo die Konferenz auch dieses Jahr wieder durchgeführt wurde. Darüber hinaus ist er Herausgeber der Online-Zeitschrift “International Journal of Advanced Corporate Learning“.
Hier zum Nachlesen das Programm der zweitägigen Konferenz. Wir hatten auch von unserer Seite (scil) einen Beitrag eingebracht – dazu ein nachfolgender, separater Post…
Die Konferenz und die Beiträge sind mehrheitlich auf Fragen der Konzeption bzw. des Designs, der Entwicklung und der Einführung von eLearning ausgerichtet. Formale Lernkontexte stehen im Vordergrund. Informelles Lernen und andere Formen von “modern workplace learning” (um mit Jane Hart zu sprechen) und deren Unterstützung waren – zumindest bei den Sessions, die ich besucht habe – weniger ein Thema. Etwas aus dem Rahmen fielen für mich die beiden eher fachwissenschaftlich ausgerichteten Vorträge von Wissenschaftlern der Columbia-University, die auch zu der Tagung eingeladen waren (dazu unten mehr). Im Folgenden meine Notizen zu ausgewählten Vorträgen.
Den Keynote-Vortrag zur Eröffnung stellte Clark Quinn (Quinnovation) unter das Motto: “Serious shoestrings: deep eLearning within pragmatic constraings“. Aus dem von ihm zusammen mit Michael Allen, Julie Dierksen und Will Thalheimer formulieren Manifest zu eLearning hat er die folgenden Anforderungen an “serious eLearning” herausgetellt:
Anschliessend ging Clark Quinn der Frage nach, wie man die Entwicklung von eLearning-Inhalten, die dieser Ausrichtung entsprechen, angehen kann. Hier hätte ich gerne mehr (Wissens-)Struktur gehabt (er hat viel mit assoziativen Bildern gearbeitet), um seine Hinweise besser einordnen und einfacher mitnehmen zu können. Notiert habe ich Hinweise wie die folgenden:
* herausfinden, wo die intrinsische Motivation der Lernenden liegt und wie man sie “packen” kann
* mit einer Ausrichtung auf herausfordernden Aktivitäten für die Lernenden starten
* den Lernenden Gelegenheit geben, in einer sicheren (Lern-)Umgebung Fehler zu machen
* den Lernenden hilfreiche Modelle / Wissensstrukturen bieten
* die Lernenden immer wieder zu diesen Modellen / Wissensstrukturen zurückführen
Mit Blick auf den damit verbundenen Entwicklungsprozess stellte er fest, dass es keine Autorenwerkzeuge gibt, die bei der Bewältigung der damit verbundenen praktischen Herausforderungen gute Unterstützung – beispielsweise im Sinne einer Checkliste – bieten.
In seinem Vortrag mit dem Titel: “Implementing digital learning: The good, the bad and the ugly” berichtete Jan Rijken (vormals CLO bei KPMG, ABN AMRO und anderen Unternehmen; heute CrossKnowledge) von seinen Erfahrungen aus einer unternehmensweiten eLearning-Initiative bei KPMG (Zielgruppe waren alle 144’000 Mitarbeitenden weltweit). Er hat diese wie folgt zusammengefasst:
The good:
- merkliche Steigerung der Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden
- schnellere Kompetenzentwicklung
- grössere Konsistenz bei den Kompetenzen der Führungskräfte
- besser gelebtes internes Wissensmanagement und Wissensaustausch
- gestärkte Bindung der Mitarbeitenden
- deutliche Kostenreduktion auf Seiten des L&D teams (-18%)
- deutliche Reduktion kurzfristiger Abmeldungen von gebuchten Trainings
- gestärkte Stellung von L&D intern
The bad:
- die Unterstützung durch das Top-Management-Team war eher nur sporadisch und punktuell zu spüren
- die Sponsoren der für die verschiedenen Geschäftsbereiche entwickelten Programme haben die Kommunikation dazu nicht im erhofften Umfang unterstützt
- das Ausbalancieren von zentralen und dezentralen Aktivitäten (z.B. 17 verschiedene Einführungsprogramme für neue Mitarbeitende weltweit) war eine Dauerherausforderung
- die Veränderung von Lernkultur ist ein sehr langwieriger Prozess
The ugly:
- mehr als ein fünftel des ursprünglichen L&D teams musste im Zuge dieser grossen Initiative ausgewechselt werden weil Kompetenzen und/oder Einstellungen nicht mit der neuen Ausrichtung auf eLearning kompatibel waren
- benachbarte HR-Bereiche waren teilweise eher Gegner als Bündnispartner
- es gab grosse Herausforderungen bei der Abstimmung mit den Bereichen IT and Beschaffung
In seinem Vortrag mit dem Titel “Full-bodied Learning: Applying grounded embodied cognition to improve learning” stellte der Kognitiionswissenschaftler John Black (Columbia Universität, NY) die Bedeutung von körperlicher bzw. händischer Manipulation von Objekten auch im eLearning heraus.
Er führte Forschungsergebnisse an die zeigen, dass Lernende, die im Rahmen einer Simulation (Physikunterricht, unterschiedliche Kräfte, die in einer Achterbahn wirken) Konzepte dann besser verstehen, wenn sie händisch Parameter in der online Simulation manipulieren können und die daraus resultierenden Bewegungen der Achterbahn in der Simulation sehen. Dies gilt insbesondere für schwächere Studierende (stärkere Studierende sind in der Lage, die Zusammenhänge auf der Grundlage von Texten und statischen Bildern gut zu verstehen). Die Effekte können verstärkt werden, wenn zusätzlich noch Joysticks eingesetzt werden, bei denen man entsprechend den wirkenden Kräften Widerstand spüren kann. Weitere von ihm angeführte Studien zeigten, dass die Nutzung von historischen Simulationen (z.B. Civilizations) nicht zu verbesserten Ergebnissen bei Tests zu historischem Wissen führen. Aber Studierende, die diese Simulationen spielen, nehmen in der Folge signifikant mehr aus Fachtexten zu historischen Entwicklungen mit als andere Studierende. Seine – mit einem Augenzwinkern verbundene – Empfehlung lautet daher, dass Schüler / Studierende, die im Herbst einen Kurs zu Geschichte (Altertum, frühe Zivilisationen) belegen werden, in den Sommerferien zuvor die online Simulation “Civilizations” spielen sollten.
Auch wenn dies ganz amüsant war, habe ich hier doch den Eindruck, dass Kognitiionswissenschaftler häufig experimentell das bestätigen, was Pädagogen und Didaktiker schon lange formuliert haben – beispielsweise, dass es wichtig ist, Dinge sehen und begreifen bzw. spüren zu können (beispielsweise anhand von Modellen aus Holz, Modelliermasse, o.ä.), um sie zu verstehen.
Es gibt durchaus noch Institutionen, die eLearning neu einführen. Dazu gehört auch das Bloomberg Institute des gleichnamigen Dienstes für Wirtschaftsinformationen. Zielsetzung war hier, im Rahmen einer Initiative zu employer branding online Lernangebote für Studierende zu entwickeln, um sie auf Bloomberg als attraktiven Arbeitgeber aufmerksam zu machen. Im aufwändig vorbereiteten und visualisierten Vortrag mit dem Titel “Bloomberg: 10 Surprising E-Learning Lessons Learned the Hard Way” wurden 10 lessons learned ausgeführt (hier in den original-Formulierungen):
- Money can’t solve every problem: know your true resource constraints
- Vendors must be fit for the purpose: be a savvy buyer
- defend against bullshit: educate yourself on the software
- vendors use custom design as a lure: use trusty default settings wherever possible
- “don’t let the tail wag the dog”: prioritize content over software gimmicks
- “nobody wants a burrito from Chipotle”: create evergreen content
- “if it feels ‘good enough’, it is not good enough”: don’t cut corners, even if it’s painful
- “one piece of feedback is … one piece of feedback”: extensive target audience feedback = key
- “people judge books by their covers”: market your eL as a collection of bite sized items with attractive visuals
- “you can’t outsource caring”: have the stakeholder with the biggest stakes must do quality assurance
Für mich schien die wichtigste Lehre der unter Punkt 2 formulierte Aspekt zu sein: wenn man sich als Institution wir Bloomberg Institute auf neues Terrain (eLearning) begibt, ist es sinnvoll, mit einem in diesem Feld ausgewiesenen Partner zusammen zu arbeiten und eher nicht mit der seit Jahren für das eigene Unternehmen tätigen Grafik-Design-Agentur (die zwar behauptet, auch “eLearning zu können”, es dann aber doch nicht tut).
Interessant, wenn auch für mich teilweise zu schnell und zu voraussetzungsvoll, fand ich den Vortrag von Ryan Baker (noch Columbia University, künftig University of Pennsylvania) zum Thema “Modelling complex skill with educational data mining“. Er konnte zeigen, dass sich auf der Basis von Auswertungen zur Nutzung von verschiedenen Lernmaterialien mit einer recht hohen Treffsicherheit die richtige oder falsche Lösung einer Aufgabe vorhersagen lässt. Allerdings musste er am Ende einräumen, dass die Modellierung von Kompetenzen zum Beispiel in Bereichen wie “Zusammenarbeit” oder “Führung” deutlich schwieriger ist als die von ihm untersuchten Fertigkeiten der Ursachenanalyse im Biologie-Unterricht.
Hier ein Foto seiner Folie mit den zentralen Untersuchungsergebnissen:
Im Exekutiv-Komitee der ICELW sind eine Reihe von europäischer Institutionen bzw. Ländern vertreten sind (Norwegen, Spanien, Deutschland, Österreich, Schweiz) und dies spiegelt sich auch im Programm.
Gerhard Schwed und Erich Bratengeyer (Donau Universität Krems) berichteten zu den Themen “xAPI and privacy (personal data locker”) sowie “eLQe – cool tool for evaluating eLearning course development”. Und Tobias Härtel / Dominik May (Universität Dortmund) berichteten über ihre Forschungsergebnisse zu spezifischen Anforderungen an eLearning auf Seiten von Lernenden in der Altergruppe 50+.
Research update: Wer bin ich – und wenn ja, wieviele?
Die AERA ist die weltweit grösste und eine der bedeutendsten Education Konferenzen -> http://www.aera.net/
Über 10.000 Konferenzteilnehmer treffen sich jedes Jahr in America, um sich über ihre Forschungsergebnisse auszutauschen. So werden auch neuere Entwicklungen, wie man Forschung betreiben möchte, diskutiert. Per Mailing Liste werden wir Forscher nun dazu eingeladen, eine Rückmeldung zu Expertenempfehlungen zu geben, wie in Fragebögen das Geschlecht als demographisches Merkmal erhoben werden sollte. Sehen Sie selbst die Empfehlung: Ihr spontaner Kommentar?
a) die meisten Begriffe muss ich erstmal “Googlen”
b) das möchte ich jetzt auf Wikipedia nachschlagen: Sex (biologisches Geschlecht) <-> Gender (soziales Geschlecht)
b) es sollte im Fragebogen eine Zusatzerklärung angeboten werden (Text fehlt daneben)
c) warum und wozu?
d) wer bin ich – und wenn ja, wieviele?
…
_____________________________
“The experts conferring by videoconference recommended a two-step approach to collecting data on gender: the first being the collecting of data on the biological sex assigned at birth, and the second asking members how they describe their gender. As with all other demographic questions, responses to these questions would not be required. The wording of the two questions would be as follows: Biological sex designated at birth (check all that apply):”
- Female
- Male
- Intersex
- Biological sex not listed above (please specify):_______________
- Prefer not to answer
Gender (check all that apply):
- Agender
- Cisgender Man
- Cisgender Woman
- Gender Expansive
- Gender Fluid
- Gender Non-Conforming
- Genderqueer
- Man
- Non-Binary
- Transgender
- Trans Man
- Trans Woman
- Trans/Trans*/Trans+
- Two-spirit
- Woman
- Gender not listed above (please specify):_____________
- Prefer not to answer
Wenn ich mir jetzt noch vorstelle, dass wir in den nächsten Jahren immer mehr zu “Cyborgs” mutieren, dann kann ich mir bereits lebhaft weitere Kategorien zu demographischen Merkmalen vorstellen…
HOCHSCHULBILDUNG: Humboldt digital?
Über Digitalisierung und die Implikationen für die Hochschulbildung wird derzeit viel diskutiert, so auch an unserer Universität. Mein Institutskollege Dieter Euler und unser Prorektor Lukas Gschwend werfen in ihrem Beitrag in der NZZ grundsätzliche Fragen zum Bildungsauftrag von Hochschulen auf. Sie positionieren sich mit dem Titel:
HOCHSCHULBILDUNG: Zwischen Humboldt und Digitalisierung
Die Digitalisierung wird in diesem Beitrag als Anlass genommen, den Innovationsschub der Hochschullehre, der derzeit durch das Aufkommen digitaler Medien geprägt ist, kritisch zu hinterfragen. Ausgangspunkt des Beitrages ist die Frage, ob Hochschulen primär dem Leitziel der „Persönlichkeitsbildung durch Wissenschaft» oder dem Leitziel der «Berufsqualifizierung» folgen sollten. Der Beitrag liefert Diskussionsstoff zu zwei Fragen: 1) Was wollen / sollen wir Studierenden beibringen?
2) Wie soll dies geschehen und welche Rolle sollen digitalen Medien dabei einnehmen?
Inhaltlich geht der Beitrag meiner Kollegen nicht weiter darauf ein, inwieweit die Digitalisierung Folgen für erforderliche Kompetenzprofile hat. Vielmehr wird der Blick auf einen notwendigen ganzheitlichen Blick gelenkt:
„Absolventen sollen im Studium Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen entwickeln, um als unternehmerische Persönlichkeiten gesellschaftlich verantwortlich zu handeln. Durch die Fähigkeit zu integrativem Denken sollen sie in der Lage sein, komplexe praktische wie akademische Probleme strukturiert zu lösen. Ferner sollen sie sich durch ein soziales und kulturelles Orientierungsvermögen auszeichnen.“
Hervorgehoben wird, dass das Zusammenwirken von Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen, also „Knowing“, „Doing“ und „Being“ zentral ist.
Der Einsatz digitaler Medien in der Lehre ist den Kollegen Euler und Gschwend zufolge ein Mittel zum Zweck. Digitale Medien sollen die mittel- und langfristigen strategischen Perspektiven einer universitären Fach- und Persönlichkeitsbildung unterstützen.
„Nur so lässt sich sicherstellen, dass der Anspruch der Gesellschaft und die Anforderungen des (akademischen) Arbeitsmarkts dauerhaft vereinigt werden können.“
Die Auswirkungen einer Googlesierung unserer Gesellschaft sind jedoch tiefgreifender als wir häufig meinen. Aktuelle Studien, die meine Kollegin Katarina Stanoevska vom mcm-Institut der HSG und ich gemeinsam an Gymnasien durchführen, zeigen: es hat sich eine regelrechte „Big Data Ideologie“ eingeschlichen. vermeintlich „neue“ Wissenstypen („Wissen, wo? „Wissen, wozu“, „Wissen, was ist gut genug?“) verdrängen vermeintlich „alte Wissenstypen“ (Wissen, warum?“ „Wissen, was?“, „Wissen, wie?“). Die 16-Jährigen Jugendlichen sind im Schnitt bereits seit 8 Jahren im Internet. Sie überschätzen ihre Informationskompetenzen. Die Schere zwischen Selbsteinschätzung und tatsächlichem Können geht sogar mit der Zeit noch weiter auseinander – das heisst, je länger sie im Internet sind, desto grösser werden die Defizite im Hinblick auf ihre Informationskompetenzen. Ja, man kann so weit gehen zu sagen, dass diese Schüler (unsere künftigen Studierenden) ihre bisherigen Informationsstrategien zugunsten von neuen Strategien besser wieder „verlernen“ sollten – wofür sie selbst aber keine Notwendigkeit sehen (sie hören ja immer wieder, sie seien die Digital Natives, die den Umgang mit digitalen Medien im Blut hätten).
Ja, wir brauchen das Zusammenwirken von Knowing, Doing und Being. Aber das Knowing muss sich grundlegend ändern: eine ausbalancierte Wissensökologie, der Erwerb von Wissen sollte verknüpft werden mit dem eigenen Erkenntisgewinnungsprozess. Wenn wir uns weitere Entwicklungen im Bereich cognitive computing ansehen, dann stellen sich darüber hinaus auch neue Fragen an unser „Being“: wie müssen wir den Umgang mit sog. emotionalen Systemen (Robotern) lernen, die unsere Emotionen erkennen können und darauf reagieren: Wie werden wir mit diesem Neuen umgehen? Was macht das mit uns?
Den Ausgangspunkt des Beitrages, eine Gegenüberstellung von humboldtschem Bildungsideal einerseits und Digitalisierung andererseits kann ich persönlich nicht teilen. Das Internet ist kein Bildungsautomat, sondern, ohne epistomologisches Fundament des Nutzers, eine “Halbwissensmaschine”, wie es etwa Sascha Lobo formulierte. Die technologischen Entwicklungen stellen die Menschheit vor eine grosse Herausforderung. „Es geht darum, unser Denken auf ein höheres Niveau zu heben“ (Karin Vey). Und wie es in einem Kommentar zum Beitrag auf den Seiten der NZZ selbst nachzulesen ist:
„Wissenschaftler gucken hinter die Erscheinungen, wollen wissen, “was die Welt im Innersten zusammenhält”, wie Goethe seinen Faust sagen lässt; deshalb gibt es eine sich gegenseitig bedingende dialektische Einheit und keinen kontradiktorischen Widerspruch zwischen dem Humboldtschen Bildungsideal und der technischen Zivilisation.“
„Mit Humboldt ins digitale Zeitalter – warum nicht?“ – so schloss der Präsident der Studentenschaft der Universität St.Gallen seine Festrede am Dies Academicus.
Management 4.0 – Anforderungen an die Führungskräfteentwicklung?
Digitale Transformation ist derzeit DAS Thema im Hinblick auf unsere Arbeits- und Lebenswelt. Über Digitalisierung und die Implikationen für die Bildung wird derzeit viel diskutiert, so auch an unserer Universität. Auf Plakaten der Swisscom wird mit „Anfeuern 2.0“ geworben – nun starten wir in das Zeitalter 4.0, was bedeutet das eigentlich?
Management 4.0 – Führungskräfte anders
Unter diesem Titel positioniert sich unser Rektor, Thomas Bieger, zur Führungskräfteentwicklung – sowohl auf die Grundausbildung als auch auf die Weiterbildung bezogen in einem Beitrag für die NZZ.
Die Digitalisierung hat umfassende Folgen: 1) was wir beibringen sollten – auf Inhalte und Anforderungsniveau bezogen – als Levels bezeichnet, 2) wie wir es machen sollten, für was steht eine Campus Uni im digitalen Zeitalter.
Management 4.0: Fähigkeiten und Levels
Level ist ein Begriff aus der Spielewelt: in der digitalen Szene ist ein neuer Unternehmertypus wie Uber-Gründer Travis Kalanick auszumachen, die neue Spiele mit neuen Spielregeln spielen. Sie wollen nicht nur unser Verhalten im Internet bestimmen, sondern unseren Alltag, abseits von Social Media, verändern – unser Leben. Levels spricht zudem ein Grundbedürfnis unserer Studierenden nach Feedback und Standortbestimmung an: auf welchem Level stehe ich denn eigentlich, wo soll mich meine Mission noch hinführen? Ein Grundbedürfnis, das sich durch die zunehmende Verbreitung kollaborativer Spielewelten in den letzten Jahren sehr stark verstärkt hat.
Was sind es nun für Levels, die wir anstreben sollten?
Level 1:
Zunächst geht es überhaupt darum, die Auswirkungen des laufenden technologischen Wandels auf die Wertschöpfung und Strategie von Organisationen beurteilen zu können. Diese Inhalte müssen neu in die Lehrpläne der Grundausbildung sowie in die Weiterbildung einfliessen – es geht also um neue Inhalte.
Level 2:
“Auf dieser Stufe geht es darum, dass Digitalisierung und Automatisierung Substitution bedeutet. Im Unterschied zur industriellen Revolution werden nun auch Management-Aufgaben ersetzt. „Viele Funktionen im unteren und mittleren Management, beispielsweise im Bereich der Finanzberatung oder Wirtschaftsprüfung, werden von Maschinen konkurrenziert.“ Menschliche (Management) Arbeit muss einen klaren Mehrwert schaffen, dafür gibt es zwei Möglichkeiten: 1) indem sie solche Systeme entwickelt und steuern hilft, 2) durch hochqualifizierte soziale und interaktive Arbeit, also beispielsweise durch anspruchsvolle Beratung.
Wenn mindestens eine dieser Kompetenzen gegeben ist, dann haben wir Kompetenz-Level 2 erreicht. In den klassischen Lehrplänen werden diese Fähigkeiten bislang noch zu wenig berücksichtigt.”
Level 3:
„Die Digitalisierung ist nicht nur ein technisches oder ein wirtschaftliches Phänomen. Der Erfolg vieler Branchen hängt deshalb heute nicht mehr nur von der eigenen Leistung und Innovation ab. Vielmehr bestimmen staatliche Regulierungen die Profitabilität. Immer mehr Unternehmen sind irgendwo zwischen einer Markt- und einer politischen Rationalität tätig. Die Ausbildung von künftigen Führungskräften muss somit auch die Fähigkeit zum Handeln innerhalb von Staat, Kultur, Politik, Recht und Markt entwickeln. Wer dies beherrscht, wäre dann auf dem Fähigkeits-Level 3.“
(Diese und die folgenden Zitate stammen aus dem Beitrag von Thomas Bieger.)
Level 4:
Auf diesem Level geht es um Führung und hier können zwei Varianten unterschieden werden:
“[Führung,] die auf optimierte und koordinierte Arbeitsteilung durch strukturierte Hierarchien baut und damit Skaleneffekte optimiert. Oder eine Führung, die auf die Kraft dezentraler Einheit vertraut, die gestärkt durch eine gemeinsame Mission und den Zugriff auf gemeinsame Ressourcen agiert, Chancen wahrnimmt und Herausforderungen meistert.“
Die zuletzt genannte Variante, eine eher transformationale Führung, braucht nicht den “Super-CEO”, der alles dominiert, sondern
„Persönlichkeiten, die Vertrauen aufbauen und Ökosysteme kultivieren, die Lernen ermöglichen. Diese Fähigkeiten können als Managementkompetenz auf Level 4 bezeichnet werden.“
Thomas Bieger spricht sich in seinem Beitrag m.E. für einen Paradigmenwechsel in der Managementausbildung hin zu „New Work“ bzw. „New Management“ mit einem Fokus auf transformationale Führung aus. Dazu zwei inhaltliche Anmerkungen von meiner Seite:
- Betrifft dies wirklich nur das untere und mittlere Management? Digitalisierung und Automatisierung bedeutet künftig nicht nur, dass es hauptsächlich um Substitution geht. Das „Neue“ im Unterschied zu früheren industriellen Revolutionen ist sicherlich, dass dieses Mal auch die Wissensarbeiter und das Management betroffen sind. Deep Knowledge Ventures aus Hongkong, um ein Beispiel anzuführen, ist weltweit die erste Firma, in der ein Algorithmus im Verwaltungsrat sitzt. Dies ist vermutlich ein Marketinggag, weil auch in Hongkong nur natürliche Personen in den Verwaltungsrat eintreten können. Dennoch ist es eine klare Ansage: die Maschine redet bei allen Investitionsentscheidungen mit. Das, was uns bei Raumschiff Enterprise als Vision begegnet ist, ist gar nicht mehr so weit entfernt, meint beispielsweise die Innovationsforscherin Karin Vey vom IBM Forschungszentrum in Rüschlikon. Daher also meine These: die Entwicklungen rund um Big Data und Cognitive Computing betreffen insbesondere auch das Top Management.
- Was ist das Erfolgsmodell für die Zukunft? Effizienzsteigerung ist mittel- und langfristig kein Erfolgsmodell mehr. Um zu bestehen, brauchen Unternehmen vielmehr Innovationen, denn die Konkurrenz entsteht für alle überall, aus Richtungen, aus denen wir es nicht erwarten. Aus Organisationssicht spricht viel für dezentrale Modelle, sog. „Loosely coupled systems“. Diese ebnen den Boden für Experimentier- und Spielfelder, auf denen Innovationen entstehen können. Viele Top Führungskräfte fahren gerne ins Silicon Valley, besuchen beispielsweise Google und kommen inspiriert und begeistert zurück: „Wir wollen auch eine Garage werden“, heisst es dann oft. Aber passt das zu uns, zu unserer Kultur in Europa, in der Schweiz? Zur Kultur in einer Organisation: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin? Ich fliege persönlich gerne mit Swiss, „loosely coupled systems“ löst bei mir in diesem Kontext auch Unbehagen aus.
Management 4.0: Entwicklung von Persönlichkeiten
Die Digitalisierung führt nach Ansicht unseres Rektors auch hier zu einem Paradigmenwechsel: Universitäten, die sich als Campus-Universitäten verstehen, müssen sich heute die Frage stellen, wie ersetzbar ihre Bildungsangebote durch neue digitale Player sind. Sein Beitrag liefert für die HSG eine klare Position: Level 1 und allenfalls Level 2 können auch durch online-Kurse bedient werden. Aber für Level 3 und 4 braucht es die persönliche Begegnung, „einen Campus verstanden als einen Interaktionsraum von Lehrenden und Lernenden“. Der Präsenzunterricht und damit die Rolle des Dozierenden erhält eine andere Bedeutung: „Die wertvolle Zeit im Präsenzunterricht muss für Rollenspiele, Debatten, Simulationen und Fallstudien und nicht für reine Wissensvermittlung eingesetzt werden. Damit schaffen wir auch in Zeiten der Digitalisierung Vertrauen und Zuversicht in die Entwicklungsfähigkeit des Menschen und seiner Systeme und damit auch die notwendigen Voraussetzungen für wirkungsvolles Management.“
Mein abschliessender Kommentar:
Aus meiner Sicht ist dies eine starke Aussage, die einen Paradigmenwechsel von „Old School“ zu „New School“ andeutet und viel Substanz für einen öffentlichen Diskurs bietet. Wir könnten diesen Paradigmenwechsel New Work noch stärker mit New Learning zusammenführen:
Wenn wir Persönlichkeiten entwickeln wollen, die in ihrer Arbeitswelt Lernen ermöglichen und ein lernförderliches Umfeld schaffen sollen, sollten wir uns nicht auch noch stärker damit beschäftigen, welches Lernverständnis wir haben, wie wir Erkenntnisse gewinnen und wie wir mit unseren Studierenden gemeinsam Erkenntnisse entwickeln wollen?
scil als Gastreferent: Trends im Corporate Learning
Wir bei scil beobachten Entwicklungen im betrieblichen Lernen. Hierzu analysieren wir Trends und befragen selbst Learning Professionals im Rahmen unserer Trendstudien-Serie. Regelmässig werden wir von Unternehmen und Verbänden eingeladen, um von unseren Erkenntnissen zu berichten. Daniela Schuchmann und ich durften letzten Mittwoch in München bei einer Veranstaltung des Rückversicherungsunternehmen Munich Re unsere Sicht auf die Trends im Corporate Learning präsentieren und diskutieren. Davon möchte ich im folgenden Blogbeitrag schreiben.
Nach einer Vorstellung unseres Kompetenzzentrums und unseres normativen Verständnisses eines reflexiven Bildungsmanagements beleuchteten wir mehrere Trends und Entwicklungen, welche wir aktuell als relevant sehen. Als Auslöser sehen wir hierfür die Digitale Transformation. Begonnen haben wir mit Blended Learning. Von einem Trend können wir hier nicht wirklich sprechen, weil dieses Phänomen seit mehreren Jahren existent ist. Trotzdem gibt es aktuell neue Entwicklungen, welche Lernen ausserhalb von Präsenzeiten anstreben. Mit Hilfe von digitalen Lernmöglichkeiten gelingt es, die Lernzeit vor und nach Veranstaltungen auszuweiten. Ein Beispiel ist sind die Seminare unserer scil academy. Wir verteilen vor der Veranstaltung Unterlagen zur Vorbereitung an unsere Teilnehmenden. Die Nachbereitung und der Transfer finden virtuell auf unserer Lernplattform und in Virtual Classroom Sitzungen statt.
Durch die Ausweitung des Lernprozesses wird eine stärkere Personalisierung des Lernens ermöglicht. Lernenden sind und werden zukünftig immer heterogener (Stichwort: Generation X/Y/Z) und bringen unterschiedliche Lernvoraussetzungen mit. Mit einer Individualisierung des Lernens und einer stärkerer Eigenverantwortlichkeit des Lerners kann dieser Entwicklung begegnet werden. Die Konsequenz ist, dass der Lehrende immer mehr zum Lernbegleiter wird, welcher unterschiedliche Lernmöglichkeiten inszeniert. Aus diesen kann der Lernende nach seinen Bedürfnissen selbst auswählen. Wichtig ist, dass dieser mit der neuen Verantwortung für den Lernprozess umgehen kann und entsprechende Lernkompetenzen erwirbt.
Lernarrangements ausserhalb von Trainings und Präsenzkursen zählt man zu den Formaten des informellen Lernens. Diese können durch soziale Medien gestaltet werden. Mit Hilfe virtueller Plattformen – für unsere Lernveranstaltungen nutzen wir yammer – werden für Lernende Begegnungsmöglichkeiten geschaffen, in denen sie sich austauschen und sich gegenseitig im Lernprozess unterstützen können. Wichtig ist, dass die Plattform betreut und moderiert wird. Nur dann stellt diese Möglichkeit eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Lernformaten dar.
Das Prinzip von social media kann auch beim video-basiertes Lernen eingesetzt werden. So ist es beispielsweise möglich, dass sich Lernende in der Anwendung des Gelernten selbst filmen. Hierzu ist keine professionelle Technik möglich, eine Smartphone-Kamera genügt völlig. Mittels spezieller Software können sich die Lernenden direkt im Video Feedback und Hilfestellung geben (weitere Informationen zum social video learning sind hier zu finden). Aber auch Lehrpersonen können mit selbsterstellten Videos den Lernprozess sinnvoll ergänzen, beispielsweise in der Vorbereitungsphase zur Begrüssung und Einstimmung oder in der Nachbereitung zur Unterstützung des Lerntransfers. Neben der Aufzeichnung der eigenen Person gibt es im Internet Autorentools, mit denen man schnell und einfach Videos gestalten kann.
Natürlich werden in der Zukunft weiterhin Präsenzphasen fester Bestandteil in Kombination mit digitalen Formanten sein. Auch hier sind neue Entwicklungen erkennbar, beispielsweise bei Lernräumen. Früher waren diese stark auf den Lehrer ausgerichtet und wenig veränderbar („hard architecture“). Im Zuge einer Lernbegleitung und einer stärker werdenden Lernerzentrierung verändert sich die Gestaltung der Lernräume. Diese lassen sich zukünftig flexibel zusammenstellen und schnell umändern („soft architecture“), so dass unterschiedliche Lernarrangements gestaltet werden können. Neue Methoden (z. B. virtuelle Pinnwände wie padlet) ergänzen diese Architekturen und ermöglichen ein nachhaltiges und zukunftsträchtiges Lernen.
Zum Schluss betonten wir beide, dass es entscheidend ist, sich mit den aktuellen Trends auseinanderzusetzen. Ebenso ist es wichtig, diese nicht wahl- und planlos für sich zu übernehmen. Vielmehr muss man den Entwicklungen wohlüberlegt und reflektiert begegnen und diese entsprechend umsetzen. Was für den einen Kontext passend erscheinen mag, muss für den anderen nicht zwangsweise eine Verbesserung herbeiführen. In der anschliessenden Diskussion konnten wir dies mit verschiedenen Teilnehmenden vertiefen. Uns beiden hat die Präsentation und Diskussion viel Spass bereitet.
Quelle:
Schuchmann, D. & Schneider, C. (2016): Trends im Corporate Learning. Munich Re, München, 15.06.2016