Ein aktuelles Themenheft im Schulblatt widmet sich dem Thema Digitale Bildung.
Das Themenspezial finde ich sehr gut gelungen – mit Beiträgen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, Lehrpersonen, Marktanbietern (ECDL – Internetführerschein) oder aus Unternehmenssicht (Postfinance). Mein Beitrag beleuchtet aus wissenschaftlicher Perspektive die Bedeutung – “Digitale Bildung” – verdient es dieses “Buzzword” – Bildung kann ja eigentlich nicht “digital” sein… Aber braucht es nicht irgendwie auch griffige Begriffe, Bildung in einer zunehmend digitalen Gesellschaft und Wirtschaft ist nun mal sehr lange… Die Implikationen der fortgeschrittenen Digitalisierung (insbesondere durch Big Data und künstliche Intelligenz) werden auf den Bildungsbereich sind für uns heute noch nicht abschliessend absehbar, aber gewiss ist, dass sie zentrale Veränderungen im Bildungsbereich bedeuten.
Von daher finde ich es klasse, dass das Schulblatt mit einer Auflage von 10.000 das Thema “Digitale Bildung” aufnimmt und den Begriff damit etablieren hilft…
Archives for 2018
Betriebliche Weiterbildung mit Online MOOCs
Die Weiterbildungsbereiche von Unternehmen und Organisationen wären in der Regel überfordert, wenn sie für alle neu aufkommenden Themen eigene Weiterbildungsangebote entwickeln wollten oder zusammen mit externen Anbietern entsprechende Entwicklungsprojekte auf den Weg bringen wollten. Gut, dass mittlerweile viele relevante Angebote schnell und unkompliziert über MOOC-Plattformen verfügbar sind.
In einem Beitrag zum Audi-Blog berichtet Olivia Faulbacher, darüber, wie Audi in Kooperation mit der MOOC-Plattform bzw. Online-„Universität“ Udacity Mitarbeitende seit Herbst 2017 zu Zukunftsthemen wie Autonomes Fahren, KI, Machine und Deep Learning sowie Big Data weiterbildet.
Der Online-Kurs selbst beginnt immer mit kurzen Erklärvideos. Anschließend gibt es Fragen oder eine kleine Programmieraufgabe dazu (…) Abgeschlossen werden die einzelnen Lerneinheiten dann jeweils mit Projekten, die ein Experte von Udacity in einem individuellen Review bewertet. Haben sie am Ende alle Projekte erfolgreich absolviert, erwerben die Teilnehmer ein Nanodegree
Die beiden von Faulbacher interviewten Audi-Mitarbeiter haben z.B. Nano-Degrees im Bereich “Business Analys” oder “Self Driving Car Engineer” absolviert, und dabei über einen Zeitraum von ungefähr sechs Monaten rund zehn Stunden pro Woche investiert. Von der so entwickelten Expertise können sie bei ihrer täglichen Arbeit profitieren. So berichtet ein Teilnehmer:
„Für komplexe Sensordatenfusionen habe ich ein tiefergreifendes Verständnis entwickelt und kann jetzt zum Beispiel mit den Kollegen der Datenfusion effizienter zusammenarbeiten“
Was tut Audi im Hinblick auf die erfahrungsgemäss hohen Abbruchquoten bei MOOCs bzw. reinen online-Kursen generell? Zum einen werden die online-Kurse von Udacity mit Audi-eigenen Präsenzschulungen ergänzt. Zum anderen übernehmen einzelne Audi-Mitarbeitende, die diese online-Kurse bereits erfolgreich absolviert haben, die Rolle von Tutoren bei Udacity. So können sie dann u.a. über die eigene Udacity-Community im Audi-Intranet nicht nur Hilfestellung bieten, sondern auch den Anschluss an die Praxis bei Audi stärken.
Eine Spezialistin für Kompetenzmanagement im Audi-Konzern bewertet diesen innovativen Ansatz zur Weiterbildung so:
„Wir können mithilfe von Udacity schnell und sehr praxisnah unsere eigene IT-Expertise schärfen. Und die ist heute ein entscheidender Wettbewerbsfaktor“
via Jochen Robes / Weiterbildungsblog.de
Berufsbildung 2030: Wie die Berufsbildung flexibler gestalten?
Agilität als Antwort auf die digitale Transformation – alles und alle sollen agil sein… was bedeutet das eigentlich für die Berufsbildung?
Die Berufsbildung ist derzeit einer hohen Dynamik ausgesetzt: Tätigkeiten in bestehenden Berufen können sich mit einer hohen Geschwindigkeit verändern, neue Berufe entstehen und bestehende Berufe sterben aus. Die derzeitige Umbruchsituation wirft die Frage auf, was die derzeitigen Entwicklungen, der dynamische Wandel und das Streben nach „Agilität“ konkret für die Berufsbildung bedeuten.
Der Bund bzw. das SBFI (Staatssekretatiat für Bildung, Forschung und Innovation), hat mich mit dem Mandat beauftragt, die Flexibilisierung der Berufsbildung in der Schweiz zu beleuchten – d.h., alle möglichen, denkbaren Optionen zur Flexibilisierung zu explorieren. Knapp 5 Monate hatte ich nur Zeit, aber bekanntlich liegt die Würze in der Kürze… Im Rahmen des Mandates konnte ich mich auch mit den Potenzialen der fortgeschrittenen Digitalisierung (insbesondere auch auf der Basis künstlicher Intelligenz und Cognitive Computing) beschäftigen – welche Potenziale zur Flexibilisierung bieten sich für die Berufsbildung?
Nun ist der Bericht auch offiziell publiziert und auch in französische Sprache übersetzt worden. 27 Flexibilisierungsoptionen sind entstanden auf drei unterschiedlichen Ebenen: Konzept-, Steuerungs- und Umsetzungsebene:
Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Flexibilisierungsoptionen ist ein Paradigmenwechsel in der Organisationslogik der Bildungsprozesse notwendig:
Der vollständige Bericht kann unter der Website des SBFI Berufsbildung 2030 abgerufen werden:
https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/berufsbildungssteuerung-und–politik/projekte-und-initiativen/berufsbildungsstrategie-2030.html
Adaptive Lernplattformen – braucht es dann noch Lehrpersonen?
Die Colorado Technical University ist ein early adopter im Hinblick auf KI-basierte, adaptive Lernsysteme (vgl. diese dreiteilige Beitragsreihe zum Thema). Seit 2012 ist dort die adaptive Lernplattform “intellipath” im Einsatz. Bis zum Jahr 2015 wurden etwa 800 Lehrpersonen (ca. 80% aller Lehrpersonen) für die Nutzung des Systems geschult und die Plattform für 107 Kurse mit mehr als 30’000 Studierenden mit Erfolg eingesetzt (vgl. dazu diesen Bericht).
In einem aktuellen Beitrag für EDUCAUSreview gehen Amy Sloan (Program Chair for the Department of General Education and Psychology) und Lindsey Anderson (Lead Faculty over Career Planning and Professional Communications for the Department of General Education and Psychology; beide Colorado Technical University) der Frage nach, ob es denn beim Einsatz solcher Systeme überhaupt noch Lehrpersonen braucht. Diese Diskussion kennen wir ja bereits. Die gleiche Frage wurde ja auch schon um das Jahr 2000 herum gestellt, als Lern-Management-Systeme und multimediale Web-Based-Trainings aufkamen.
Die kurze Antwort, die sich auch im Titel des Beitrags findet, lautet: “Instructors matter more than ever”.
Warum?
Weil nicht alle Lernaktivitäten über die adaptive Lernplattform laufen. Und weil individualisierte Lernprozesse individualisierte Unterstützung und Begleitung brauchen.
An der CTU gibt es zwei grundlegende Kurs-Designs für adaptives Lernen:
- Kurse, die um adaptive Lerneinheiten angereichert sind (“AL-enriched classroom”)
bei diesen Kursen werden adaptive Lerneinheiten in einigen, aber nicht in allen Themenblöcken eingesetzt; daneben bearbeiten die Studierenden auch Lerneinheiten, die nicht durch die adaptive Lernplattform unterstützt werden (z.B. Arbeitsaufträge in den Präsenz-Sitzungen, Beteiligung in online Diskussionsforen, Projektarbeiten (allein oder in Gruppen). - Kurse ausschliesslich mit adaptiven Lerneinheiten (“all-adaptive classroom”)
bei diesen Kursen finden sich adaptive Lerneinheiten in allen Themenblöcken, auch wenn es zusätzlich Aufträge gibt (z.B. Beiträge zu einem Kurs-Forum), die ausserhalb der adaptiven Lernplattform angelegt sind.
Professional Written Communications (…) is a good example of an AL-enriched course. In this 5.5-week course, students have an AL assignment in four out of the five units. Students participate in a discussion board in four units and submit an essay in two units. The course’s adaptive content is foundational and designed to prepare students for the written components. (…)
Academic and Career Success (…) is a good example of an all-AL classroom. In this course, students complete a short introduction discussion in Unit 1 and then a more detailed discussion in Unit 3. The rest of the work is completed through AL technology. Students have approximately eight lessons assigned in each unit, all targeted at preparing them to demonstrate mastery of the course objectives.
Die Erwartungen an Lehrpersonen unterscheiden sich für diese beiden Kurs-Modelle:
1) AL-enriched classroom
- kontinuierliche Beobachtung der Lernpfade der Studierenden;
- Beantwortung von Fragen und Nachrichten innerhalb von 24-48 Stunden;
- individuelle und gezielte Kontakte mit Studierenden zu ihrem Lernfortschritt;
- regelmässiges Übertragen von Punktständen in der adaptiven Lernplattform in die Notenliste zum jeweiligen Kurs;
2) all-adaptive classroom
- individuelle Kontakte mit Studierenden mehrmals pro Woche zu Lernfortschritten / Daten im Studierenden-Cockpit und Klärung von ggf. erforderlichem individuellem Unterstützungsbedarf (z.B. Zusatzmaterialien, Empfehlungen zum Lernpfad, individualisierte Unterstützung)
Eine Herausforderung für die Lehrpersonen besteht insbesondere darin, die Lerneinheiten, die in der adaptiven Lernplattform abgebildet sind und über die in der Regel Grundlagenwissen entwickelt wird, in einer guten Weise mit weiterführenden Lernaktivitäten ausserhalb der adaptiven Lernplattform zu verknüpfen:
Consider the Professional Written Communications example. In that course, the AL content is designed to prepare students for the non-AL assignments and demonstrate mastery of the course objectives. In Unit 1, for example, the AL lessons focus on the importance of written communication. The AL content introduces basic concepts and correlates to the summative Unit 1 discussion board assignment, in which students provide examples of how they use writing and research daily, discuss their overall comfort level with both, and identify strengths and areas for improvement.
Aus Sicht der akademischen Leitung der Colorado Technical University geht es nicht darum, dass Lehrpersonen den Prozess der Bearbeitung der in einer adaptiven Lernplattform abgebildeten Lerneinheiten moderieren. Das Ziel besteht vielmehr darin, spezifische Lehrstrategien für das Lernen mit adaptiven Lernplattformen und Lerneinheiten zu entwickeln und zu verankern. Sloan und Anderson fokussieren hier auf vier Aspekte:
- Präsenz der Lehrpersonen (“instructor presence”)
Die Arbeit mit einer adaptiven Lernplattform und an einem individualisierten Lernpfad kann sich für Studierende einsam anfühlen. Es ist wichtig, dass Lehrpersonen Präsenz zeigen und mit den Studierenden in Kontakt sind – sowohl innerhalb der adaptiven Lernplattform (z.B. über das Dashboard) als auch ausserhalb (z.B. in Diskussionsforen). - Engagement der Lehrpersonen (“instructor engagement”)
Lehrpersonen sind gefordert, eine unterstützende, ermutigende, positive und wertschätzende Atmosphäre sicherzustellen. Rundmails an alle Studierenden tragen dazu in der Regel wenig bei. Wichtig sind hierfür individualisierte Kontakte mit relevanten Hinweisen für die Studierenden an ihren jeweils spezifischen Punkten im Lernpfad. - Relevante Lerninhalte
Lehrpersonen sind gefordert, die in der adaptiven Lernplattform aufbereiteten Inhalte auf ihre Aktualität und Qualität zu überprüfen und durch weitere Inhaltselemente (z.B. aktuelle Fallstudien) zu ergänzen. - Innovation
Die Lehrpraxis im Zusammenspiel mit adaptiven Lernplattformen befindet sich noch in einem frühen Stadium. Lehrpersonen sind gefordert, ihr Verständnis der adaptiven Lernplattform und der adaptiven Lerneinheiten zu vertiefen und neue, wirksame Lehr- und Unterstützungsroutinen zu entwickeln.
Sloan und Anderson verweisen übrigens auch darauf, wie wichtig es für die erfolgreiche Umsetzung von adaptivem Lernen ist, die Lehrpersonen in diesem Veränderungsprozess mitzunehmen. An der CTU hat man dazu drei zentrale Lernerfahrungen gemacht:
- Den Nutzen von adaptivem Lernen intensiv auch in Richtung der Lehrpersonen kommunizieren, nicht nur in Richtung der Studierenden
- z.B. die verbesserte Information nicht nur über den Stand der Bearbeitung von Lerneinheiten, sondern auch das aktuell erreichte Mastery-Niveau; Lehrpersonen können auf dieser Grundlage einzelne Studierende gezielter ansprechen;
- z.B. die Entlastung von Korrekturarbeiten und damit mehr Raum für andere Lehraufgaben oder die Beratung von Studierenden;
- Relevante und passende Weiterbildungsangebote für die Lehrpersonen sowie für Programm- und Fachgruppenleitungen
- z.B. ein Einführungskurs (online), Workshops zur Vertiefung, Einzelgespräche, und Arbeitshilfen;
- Die Stimmen und das Feedback der Lehrpersonen hören bzw. aktiv einholen (auch wenn das manchmal bitter ist) und entsprechende Massnahmen ableiten bzw. Anpassungen umsetzen.
Mehr zum Aspekt der Einbindung von Lehrpersonen in diesem Artikel auf EdSurge und in diesem Artikel in EDUCAUSEreview.
Johnson, Constance: Adaptive Learning Platforms: Creating a Path for Success. EDUCAUSEreview, 7. März 2016
Johnson, Connie & Zone, Emma: Want adaptive learning to work? Encourage adaptive teaching. Here’s how. EdSurge, 23. September 2016
Sloan, Amy & Anderson, Lindsey: Adaptive Learning Unplugged: Why Instructors Matter More than Ever. EDUCAUSEreview, 18. Juli 2018
KI-basierte, adaptive Lernplattformen – eine Marktübersicht
Mit Blick auf unser neues Kurs-Modul “KI-basierte, adaptive Lernplattformen” hatte ich in den letzten Wochen u.a. diese dreiteilige Beitragsreihe zum Thema gepostet. Beim Stöbern im WWW bin ich jetzt auf diese recht umfangreiche Marktübersicht zu KI-basierten, adaptiven Lernplattformen gestossen:
Tyton Partners (2016): Learning to adapt 2.0. The evolution of adaptive learning in Higher Education.
Tyton Partners ist ein Anbieter von Beratungsservices für Banken und Investmenthäuser mit einem Fokus auf Wissensmanagement und Lernen. Hier gibt es anscheinend Bedarf an Marktübersichten. Grosse Verlagshäuser wie z.B. McGraw-Hill Education haben ja in den letzten Jahren hunderte von Millionen Dollar in das sich entwickelnde Geschäftsfeld KI-basierter und adaptiver Lernplattformen investiert…
In dem mit knapp 50 Seiten recht umfangreichen Bericht werden nicht nur 21 verschiedene adaptive Lernplattformen mit einem Kurzprofil vorgestellt. Darüber hinaus beinhaltet der Bericht auch einen Vorschlag zum Vorgehen bei der Identifikation einer passenden adaptiven Lernplattform für die eigene Bildungsinstitution:
Tyton Partners (2016): Learning to adapt 2.0. The evolution of adaptive learning in Higher Education. Unter Mitarbeit von Adam Newman, Gates Bryant, Brian Fleming und Laura Sarkisian. Tyton Partners. Mountain View, CA.
Digitale Transformation und Lernen – das Beispiel Continental
Digitale Transformation beinhaltet nicht nur digitale Werkzeuge, sondern auch veränderte Prozesse und verändertes Kundenerleben. Das gilt auch für die betriebliche Weiterbildung bzw. die betriebliche Kompetenzentwicklung.
Ein schönes Beispiel hierfür liefert ein Interview mit Harald Schirmer, Manager Digital Transformation bei Continental, das Anfang der Woche im Kanal Haufe New Management veröffentlich wurde. Eingebettet in das Interview ist eine knapp einstündige Aufzeichnung eines Vortrags von Harald Schirmer bei Audi vom April dieses Jahres. Darin erläutert er ein Transformationsvorhaben bei Continental, das er gegenwärtig leitet: die Einführung von Microsoft Office 365 im Rahmen der Transformation zu einem “New Work Style” (als Teil eines grösseren Kulturwandels hin zu einer agileren Gesamtorganisation).
In dem aufgezeichneten Vortrag erläutert Schirmer zentale Elemente des Vorgehens, über das etwa 150’000 Continental-Mitarbeitenden auf den Wechsel von Lotus Notes und älteren Microsoft-Applikationen zu Microsoft 365 vorzubereiten und dabei zu unterstützen.
Ein Ausgangspunkt für das veränderte Vorgehen im Rahmen dieser Softwareeinführung war die Einsicht, dass die Mitarbeitenden an verschiedenen Punkten stehen und im Hinblick auf Kompetenzentwicklung sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Wir fokussieren uns auf lebenslanges Lernen, da wir festgestellt haben, dass klassische Trainingsmaßnahmen nicht mehr richtig gut fliegen. Erst melden sich die Leute gar nicht an, dann melden sie sich an und kommen nicht und im schlimmsten Fall kommen sie und gehen nach der Hälfte der Zeit. Das heißt nicht, dass die Trainings schlecht sind. Meist begründen das die Teilnehmer damit, dass sie keine Zeit haben oder mittendrin in einem wichtigen Projekt stecken. Bei der Einführung von Office 365 haben wir deshalb den Schuh einmal umgedreht und bei den Mitarbeitern nachgefragt, wie sie begleitet werden möchten, sobald auf ihrem Rechner die neue Software drauf ist. Wir haben Interviews geführt, Umfragen gemacht und Personas entwickelt. Wir sind auf etwa ein Duzend verschiedene Arten gekommen, wie Leute lernen wollen – von einem persönlichen GUIDE, Userforum und Workflow-Beschreibungen über Web-based- und Classroom-Training bis hin zu Zugang auf Youtube. Wir haben dann entschieden, wir wählen nicht ein paar Arten aus, sondern wir machen alles.
Den Prozess, über den die Lern- bzw. Unterstützungsangebote im Rahmen dieses Vorhabens entwickelt wurden, stellt Schirmer wie folgt dar: von der Frage nach Unterstützungsbedürfnissen über den Abgleich mit verfügbaren Optionen und eine anschliessende Verdichtung hin zur Prüfung auf Skalierbarkeit für die sehr grosse Zielgruppe und schliesslich die Erfordernisse der Kommunikation bzw. Promotion:
Schirmer stellt dann die verschiedenen Angebotselemente vor, die Bestandteil dieser Kampagne sind:
- ca. 2’000 Guides, die dezentral persönliche Unterstützung bieten und hierfür bis zu 10% ihrer Arbeitszeit einsetzen können;
- Traveller’s Guide (“Reiseführer”, ca. 60 Seiten Dokumentation zum Ausdrucken)
- Unterstützungsangebote für Executives (über deren Assistenten)
- Externe Lernmedien (z.B. via YouTube)
- Social Support in Zusammenarbeit mit dem Ressort IT und mit einer Integration zur IT-Knowledge Base
- Videokanal
- Toolfinder (über den man mit maximal 3 Klicks zu dem für die anstehende Aufgabe am besten passenden der insgesamt 25 neuen Office-Werkzeuge findet
- New Work Style (Workflows)
- CoachNet (Aufbau eines Wikis und Vernetzung von Wissensbrokern)
- Sidebar (kontextabhängiges Webtraining)
- New Work Style (online Community)
Auf die Frage der Interviewerin, wie es kommt, dass Harald Schirmer anscheinend so viele Freiheiten hat und Dinge umsetzen kann, wo andere sagen würden: “Das geht bei uns nicht”, antwortet er Folgendes:
Bei uns geht das auch nicht. Aber ich orientiere mich einfach nur an den Werten, die wir uns gegeben haben – und die haben sicher viele andere Konzerne auch. Wenn unser Vorstand sagt, wir wollen „most attractive, most progressive“ werden, braucht es natürlich Führungskräfte und Mitarbeiter, die das ernst nehmen und umsetzen. „Handlungsfreiheit“ und „Vertrauen“ gehören zu unserem Wertekatalog. Wenn jetzt jemand zu mir kommt und sagt, „das darfst Du nicht machen“, verweise ich einfach darauf. Ich versuche so die Strategievorgaben zu leben. (…) Bevor Ariane Reinhart als Personalvorstand kam, wurde es mir teilweise verboten mit den GUIDEs weiter zu arbeiten. Anfangs hieß es, „Herr Schirmer, Sie bauen sich da ein Imperium auf. Das wird nicht passieren“. Heute kann ich sehr viel darüber berichten, was wir bei Continental machen und ich erlebe unglaublichen Rückhalt vom Vorstand – auch von unserem Finanzvorstand Wolfgang Schäfer und unserem CEO Elmar Degenhart. Wenn der CEO nicht schon das ein oder andere Mal gesagt hätte, „Super Herr Schirmer, weiter so!“, dann wäre vieles nicht möglich gewesen.
Hornung, Stefanie (2018): Klassische Trainings fliegen nicht mehr richtig. Interview mit Harald Schirmer. Haufe New Management, 23. Juli 2018.
via Jochen Robes, Weiterbildungsblog.de
Vorlesungsaufzeichnungen an Hochschulen: Risiken und Nebenwirkungen
Welche Effekte auf das Verhalten und den Erfolg von Studierenden hat die Einführung von Vorlesungsaufzeichnungen?
Empirische Studien hierzu kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Studie der Universität Belfast von 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass die Verfügbarkeit von Vorlesungsaufzeichnungen keinen Effekt auf die Anwesenheit der Studierenden habe. Die Studierenden würden diese vielmehr als zusätzliche Ressourcen in der Phase der Prüfungsvorbereitung nutzen.
Eine aktuelle Studie in der Zeitschrift Higher Education kommt dagegen zu anderen Ergebnissen. Das Wirkungsmodell, das die Autoren aus der Datenanalyse ableiten, zeigt folgendes:
- Die Verfügbarkeit von Vorlesungsaufzeichnungen korreliert signifikant mit einer reduzierten Anwesenheit von Studierenden (annähernde Verdoppelung der Abwesenheiten von ca. 20% auf ca. 40%).
- Die reduzierte Anwesenheit bei Vorlesungen korreliert signifikant mit geringeren Studien- bzw. Prüfungsleistungen.
Therefore, on an aggregate basis, we find that lecture capture usage itself will not necessarily help students increase their grades; students who are generally higher achievers who attend lectures are likely to get better grades regardless of their lecture capture usage; in contrast, students who do not attend are likely to get lower grades regardless of their lecture capture usage.
Angesichts der Tatsache, dass Studierende die Verfügbarkeit von Vorlesungsaufzeichnungen begrüssen und diese auch intensiv nutzen, empfehlen die Autoren der Studie folgendes:
- Studierende sollten darauf hingewiesen werden, dass das (wiederholte) Versäumen von Vorlesungen in der Regel nicht durch ein späteres Betrachten der Aufzeichnungen kompensiert werden kann – insbesondere nicht durch ein gedrängtes Betrachten der Aufzeichnungen kurz vor der Prüfung.
Edwards, Martin R.; Clinton, Michael E. (2018): A study exploring the impact of lecture capture availability and lecture capture usage on student attendance and attainment. In: Higher Education. Online verfügbar unter https://doi.org/10.1007/s10734-018-0275-9.
Lerntechnologien – die letzten 20 Jahre
Martin Weller, Professor für Educational Technology an der Open University in Grossbritannien, nimmt das zwanzigjährige Bestehen von EDUCAUSE zum Anlass für einen kurzen Überblick über wichtige Entwicklungen im Bereich der Lerntechnologien. Ein Jahr – ein Schlagwort. Er startet mit dem Jahr 1998 (Wikis) und er endet mit 2017 (Blockchain).
Jede Technologie wird ein oder zwei Absätzen kurz erläutert und auch im Hinblick auf ihre aktuelle Bedeutung eingeordnet.
Hier ein Beispiel:
2008: E-Portfolios
Like learning objects, e-portfolios were backed by a sound idea. The e-portfolio was a place to store all the evidence a learner gathered to exhibit learning, both formal and informal, in order to support lifelong learning and career development. But like learning objects—and despite academic interest and a lot of investment in technology and standards—e-portfolios did not become the standard form of assessment as proposed. Many of their problems were similar to those that beleaguered learning objects, including overcomplicated software, an institutional rather than a user focus, and a lack of accompanying pedagogical change. Although e-portfolio tools remain pertinent for many subjects, particularly vocational ones, for many students owning their own domain and blog remains a better route to establishing a lifelong digital identity. It is perhaps telling that although many practitioners in higher education maintain blogs, asking to see a colleague’s e-portfolio is likely to be met with a blank response.
Weller, Martin (2018): Twenty years of edtech. EDUCAUSEreview, 2018-07-02
Augmentation – ein neues Arbeitsfeld für L&D
Fortgeschrittene digitale Systeme im Arbeitsfeld
Fortgeschrittene, durch künstliche Intelligenz (KI) unterstützte digitale Systeme finden zunehmend Eingang in unsere Arbeitswelt. Die Beispiele hierfür sind vielfältig:
- Bots in der Tourismus-Industrie, die die Verfügbarkeit passender Angebote prüfen und gleichzeitig Kundenpräferenzen identifizieren und berücksichtigen können;
- Bots in der Medienbranche, die einfache Texte (z.B. Unternehmensnachrichten oder Sportergebnisse) automatisch erstellen;
- Bots im Kundendienst, die einfache, wiederkehrende Kundenanfragen automatisch beantworten;
- Systeme für das Übersetzen von Texten von einer Sprache in eine andere;
- Systeme, die basierend auf Spracherkennungs-Algorithmen, automatisch schriftliche Protokolle zu Sitzungen erzeugen;
- Systeme für die Steuerprüfung, die Anomalien bei Unterlagen / Erklärungen identifizieren;
- Systeme für die Anlageberatung, die Risikoprofil-konforme Anlageentscheidungen treffen;
- Systeme für die Logistik, die Engpässe bei der Verfügbarkeit von Ersatzteilen prognostizieren und identifizieren sowie auch bei deren Bewältigung unterstützen;
- medizinische Diagnosesysteme, die anhand von Bilddaten Gewebeanomalien identifizieren.
Die Tatsache, dass wir neue Werkzeuge und Hilfsmittel in Arbeitsfelder integrieren (müssen), ist nicht neu. Neu ist, dass die oben genannten Systeme auf künstlicher Intelligenz bzw. maschinellem Lernen (ML) beruhen und kontinuierlich besser und leistungsfähiger werden: durch “Training” mit speziellen Datensets (überwachtes Lernen); durch das Entdecken von Mustern in Datensets (unüberwachtes Lernen); oder durch Rückkopplungsmechanismen (Verstärkungslernen).
Augmentation statt Substitution
Vor diesem Hintergrund wird über die Auswirkungen auf Beschäftigung und Arbeitsmarkt diskutiert (“Welche Beschäftigten werden wann von intelligenten Maschinen ersetzt?”). Dabei liegt das eigentliche Potenzial in einem gut gestalteten Zusammenwirken von Menschen und (intelligenten) Maschinen. Garry Kasparow war schon sehr früh mit der Leistungsfähigkeit von Computern in seinem Fachgebiet konfrontiert. Und er hat in der Folge eine neue Variante von Schachwettkämpfen initiiert: Advanced Chess. Hier treten Schachspieler unterstützt von ihren jeweils eigenen Computern gegeneinander an. Dabei hat er folgendes beobachtet:
A weak human player plus a machine plus a better process is superior to a very powerful machine alone but more remarkably is superior to a strong human player plus machine and an inferior process.
Das Potenzial eines guten Zusammenspiels von Menschen und intelligenten Maschinen zeigt sich auch in den Ergebnissen einer Studie zur Diagnose von Brustkrebs-Gewebe: ein Pathologe, der ein KI-basiertes System zur Unterstützung heranzieht, erzielt deutlich bessere Ergebnisse (geringere Fehlerquote) als ein Pathologe ohne ein solches Unterstützungssystem, aber auch als ein KI-basierte System für sich allein genommen.
Aufgaben für Personalentwickler und Bildungsverantwortliche
Die geschilderten Veränderungen können bei den Beschäftigten in Unternehmen und Organisationen Verunsicherung auslösen und gegebenenfalls auch die Bereitschaft für Veränderung blockieren. Es braucht die Diskussion zu diesen Veränderungen, ein Verständnis zu den laufenden Entwicklungen und es braucht eine Sicht auf mögliche Entwicklungspfade für die Beschäftigten.
Für Personalentwickler und Bildungsverantwortliche stellen sich die folgenden Fragen und Aufgaben:
- Haben wir die Kompetenz und das Mandat, uns mit diesem zukunftsgerichteten Thema zu beschäftigen?
- Verstehen unsere Führungskräfte und unsere Mitarbeitenden die oben aufgezeigten technischen Entwicklungen und deren Konsequenzen – für Arbeit und Beschäftigung ebenso wie für Zuversicht, Engagement und Innovationsbereitschaft?
- Wie können / sollen wir mit Verunsicherung und den Fragen der Beschäftigten umgehen?
- Welche Entwicklungsoptionen können wir aufzeigen? (Step in / Step up / Step aside / etc. – mehr zu diesen Entwicklungsoptionen in diesem Blogpost). Welche Entwicklungsoptionen machen für wen Sinn? (Einzelpersonen, Funktionen, Beschäftigtengruppen)
- Wie können wir diese Entwicklungsoptionen spezifizieren und erfolgreich umsetzen?
- Über welche Methoden und Leistungsindikatoren können wir Veränderungen beobachten und Erfolg ausweisen?
Im Rahmen des scil-Innovationskreises 2018 werden wir diese Themen bearbeiten. Ziel des auf ca. neun Monate angelegten Konsortialprojekts ist es, einen Werkzeugkoffer zum Thema für Personalentwickler und Bildungsverantwortliche zusammenzustellen. Das Kick-off zum Innovationskreis findet am 20.09.2018 in St.Gallen statt. Eine Beteiligung ist noch möglich.
Weiterführende Links
KI-basierte Lernplattformen als "Zukunft" des Lernens? (3/3)
In den beiden vorangegangenen Beiträgen dieser Reihe zu adaptiven Lernplattformen hatte ich aufgezeigt, wie adaptive Lernplattformen in ihren Grundzügen funktionieren (Teil 1) und dass sie zu deutlichen Verbesserungen im Hinblick auf Lernerfolg, Abbrecher-Quoten und erforderlichen Lernzeiten beitragen können (Teil 2).
Um dieses Nutzenpotenzial realisieren zu können, bedarf es aber angepasster Vorgehensweisen. Sowohl der Prozess der Entwicklung von Lerninhalten als auch die Grundprinzipien des didaktischen Designs unterscheiden sich für adaptive Lerninhalte deutlich von dem Vorgehen, wie es für die Realisierung von “klassischen” E-Learning-Modulen (z.B. WBT) etabliert ist.
Zwei Aspekte möchte ich in diesem Beitrag herausstellen:
- Detaillierung von Lern- bzw. Leistungszielen
- Gestaltung des Lerner-Erlebnisses
Detaillierung von Lern- bzw. Leistungszielen
Eine besondere Anforderung bei der Umsetzung von adaptiven Lernumgebungen besteht in der Detaillierung von Lern- bzw. Leistungszielen. Für die Produktion «herkömmlicher» Web-Based Trainings kann es ausreichen, bei einer Lernzeit von ca. 45 Minuten 8-10 Ziele zu definieren. Für die Produktion einer adaptiven Lernumgebung müssen diese um den Faktor 5-10 verfeinert werden. Das heisst, es müssen ca. 50-120 Feinziele oder Leistungsziele definiert werden. Erst diese Granularität erlaubt die Feinsteuerung des Lernprozesses auf der Grundlage von Aufgaben / Test-Items.
Gestaltung des Lerner-Erlebnisses
Bei “traditionellem” E-Learning (z.B. Web Based Trainings) kommt einer für die Zielgruppe attraktiven Gestaltung (z.B. Storyline / Rahmenhandlung und multimediale Aufbereitung) eine grosse Bedeutung zu. Hier wurde in den letzten Jahren auch intensiv über Gamification als Ansatz zur Erhöhung der Attraktivität diskutiert (vgl. z.B. diesen Beitrag und den darin erwähnten scil Arbeitsbericht).
Bei adaptiven Lernumgebungen stehen andere Motivationsfaktoren im Vordergrund. So geht der CLO von area9learning Nick Howe (Howe 2017) davon aus, dass die intrinsische Motivation, die sich aus dem Erleben von Wissens- und Kompetenzzuwachs ergibt, ausreicht, um die meisten Lernenden bei der Stange zu halten. Allerdings ist es wichtig, Demotivation zu vermeiden. Eine wichtige Ursache für Demotivation von Lernenden besteht darin, dass ihnen Inhalte / Aufgaben zugewiesen werden, die entweder bereits bekannt oder aber zu schwierig sind. Die kontinuierliche Konfrontation von Lernenden mit Aufgaben bzw. Problemstellungen, die gerade jenseits der eigenen Komfortzone liegen und damit herausfordernd aber gerade noch zu bewältigen sind, ist ein Motivationsprinzip, für das adaptive Lernplattformen besonders geeignet sind. Im Vordergrund steht daher die kontinuierliche Bearbeitung von kleinen und kleinsten Aufgaben und Problemstellungen. Vertiefende bzw. ergänzende Lerninhalte sind demgegenüber eher eine Beigabe, die dann zum Einsatz kommen, wenn Aufgaben wiederholt nicht erfolgreich bearbeitet werden können und damit klar geworden ist, dass der oder dem Lernenden dafür erforderliche Wissenselemente fehlen.
Zentrale Unterschiede zwischen «traditionellem» und «adaptivem» E-Learning
Die folgende Tabelle zeigt in einer Übersicht zentrale Unterschiede zwischen «traditionellem» und «adaptivem» E-Learning (in Anlehnung an Howe 2017):
«traditionelles» E-Learning | «Adaptives» E-Learning | |
Grösse der Zielgruppe | Eher gross (Erreichen des break even im Vergleich zu Präsenztraining) |
Sehr gross (Kalibrieren der Datenmodelle) |
Detaillierungsgrad der Lern-/ Leistungsziele |
Je detaillierter, desto besser; hoher Detaillierungsgrad nicht zwangsläufig erforderlich; | Hochgradige («atomare») Detaillierung unverzichtbar |
Vorgehen bei der Entwicklung |
1. Übersetzung der Qualifikationserfordernisse in didaktisches Konzept2. Drehbuch / Story 3. Materialentwicklung (ggf. integrierte Tests / Lernerfolgskontrollen) 4. Umsetzung |
1. Übersetzung der Qualifikationserfordernisse in überprüfbare Leistungsziele 2. Entwicklung von Test-Items 3. Entwicklung von ergänzenden Trainingsmaterialien (Texte, Videos, etc.) 4. Umsetzung |
Lerner- Erlebnis |
Storyline (mehr oder weniger elaboriert) und Berarbeitung von Inhalten im Vordergrund |
Bearbeitung von Test-Items im Vordergrund |
Funktion von Tests / Test-Items |
Summative Lernerfolgskontrolle |
Zentraler Inhalt / zentrales Material für den Lernprozess |
Wie geht es weiter?
Welche Bedeutung adaptive, KI-basierte Lernplattformen erlangen werden – und für welche Entwicklunsszenarien – ist aktuell noch nicht gut einzuschätzen. Möglicherweise können diese Lernplattformen ihr Potenzial vor allem dort ausspielen, wo grosse Zielgruppen und gleichzeitig starke (curriculare) Vorgaben zu den zu earbeitenden Wissens- und Kompetenzzielen zusammenkommen – beispielsweise bei Grundlagenfächern in der Hochschulbildung oder bei Produkttrainings und regulatorisch vorgeschriebenen Trainings in der betrieblichen Weiterbildung. Aber das wird sich zeigen. Wir werden diese Entwicklungen weiter beobachten…
Referenzen:
Howe, Nick (2017): Adaptive learning insights. A practical guide to the future of corporate training. area9learning. Chestnut Hill, MA.
Am 25.09. + 02.10 + 16.10. 2018 findet das Online-Modul “Adaptive und KI-basierte Lernsysteme” im Rahmen unseres Zertifikatsprogramms “Digitale Bildung” statt. Dieser Beitrag ist ein kurzer Auszug aus dem Skript zu diesem Weiterbildungsmodul.
Center for Learning and Innovation, Northwell Health
Northwell Health ist ein Anbieter von Dienstleistungen im Gesundheitswesen im Bundesstaat New York mit mehr als 60’000 Mitarbeitenden. In der aktuellen Ausgabe des Chief Learning Officer Magazins (Juli / August 2018) wird die CLO von Northwell Health, Kathy Gallo, portraitiert.
In diesem Portrait kommt u.a. zur Sprache, wie Kathy Gallo als CLO bei Northwell Health ab 2002 mit dem von ihr ins Leben gerufenen “Center for Learning and Innovation” neue Wege gegangen ist. Unter anderem indem sie den Mangel an Teamwork in ‘cross-functional teams’ angegangen ist. Hierzu hat sie auf Simulationstrainings und Simulationen von Notfall-Situationen gesetzt und sich zunächst von Beispielen aus der Luftfahrt-Branche inspirieren lassen. In den Notfall-Simulationen kommen unter anderem auch Dummies zum Einsatz, die mit KI-Komponenten ausgestattet sind und z.B. Auskunft über ihre Symptome geben können:
The Patient Safety Institute features five simulation labs where students practice medical scenarios in a simulated environment complete with digital screens, medical equipment and artificially intelligent dummies. The dummies can talk about their symptoms and simulate anything from a heart attack to heart murmurs, labored breathing, fever and other symptoms. The course leaders design each medical scenario, then watch through a one-way mirror as staff respond to the event.
Das besondere an diesen Simulationen ist, dass
- ‘cross-functional teams’ an den Situationen arbeiten;
- alle im Team für das Ergebnis verantwortlich gemacht werden;
- der grösste Teil der Zeit (bis zu 80%) mit dem Debriefing, der Reflexion und der Diskussion des Vorgehens und der Ergebnisse zugebracht werden.
Dies trägt dazu bei, die traditionelle Hierarchie im Gesundheitswesen, bei der Mediziner in der Regel das letzte Wort haben und Hinweise vom Pflegepersonal oft nicht aufnehmen, aufgebrochen und abgeflacht wird.
“The conversations we have are remarkable (…) That’s where the learning happens.”
Fister Gale, Sarah (2018): Profile: Agent of change – CLO Kathy Gallo. CLOMedia, Juli/August 2018
KI-basierte Lernplattformen als "Zukunft" des Lernens? (2/3)
Wie leistungsfähig sind adaptive Lernplattformen?
In einem längeren Beitrag hatte ich letzte Woche aufgezeigt, was unter der Haube von KI-basierten Lernplattformen vorgeht bzw. wie diese Lernprozesse unterstützen. Jetzt steht die Frage im Raum: Wie leistungsfähig sind diese Systeme denn nun?
Eine verbreitete Auffassung ist, dass menschliche Tutoren leistungsfähiger sind als technisch-basierte tutorielle Lösungen. Diese Erwartung lässt sich vereinfacht so darstellen:
Lernerfolg mit Unterstützung durch menschliche Tutoren | > | Lernerfolg mit Unterstützung durch intelligente tutorielle Systeme (KI-basiert) | > | Lernerfolg mit Unterstützung durch Computer-unterstützte Instruktion (WBT / CBT) |
Dahinter liegt die Annahme, dass menschliche Tutoren Lernen besser unterstützen können, weil sie
- Lernende besser kennen bzw. Wissens- / Leistungsstand besser einschätzen können;
- Aufgabenstellungen besser auf einzelne Lernende zuschneiden können;
- über leistungsfähigere Lehrstrategien verfügen (z.B. Bewertung zurückhalten und nach Begründungen fragen);
- Dialoge mit Lernenden ermöglichen können (z.B. Gegenfragen stellen);
- über ein breiteres & tieferes Domänenwissen verfügen als tutorielle Systeme;
- Lernende besser motivieren können;
- punktgenau Feedback zu (irrigen) Argumentationen oder Ergebnissen liefern können;
- variables ‘scaffolding’ leisten können (VanLEHN 2011, S 198-200).
Adaptive und intelligente Lernsysteme sind in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher Studien und Untersuchungen gewesen. Metastudien verdichten diese zahlreichen Einzelergebnisse. Relevante Metastudien sind insbesondere die Studie von VanLehn aus dem Jahr 2011 und die Studie von Kulik und Fletcher aus dem Jahr 2016.
Ein zentrales Ergebnis der Studie von VanLehn (2011) besteht darin, dass die oben angeführten Annahmen so nicht haltbar sind.
Die Meta-Analyse von VanLehn zeigt, dass tutorielle Systeme mit sehr granularer Unterstützung bzw. sehr fein gegliedertem Feedback für die Lernenden zu Effektgrössen führen, die annähernd denen der Lernunterstützung durch menschliche Tutoren entsprechen (vgl. Abbildung 1):
Abbildung 1 zeigt unter anderem, dass die Effektstärke von «Step-based» tutoriellen Systemen im Vergleich mit «keine tutorielle Unterstützung» bei 0.76 liegt. Also fast gleichauf mit der Effektstärke für «Human tutoring» verglichen mit «keine tutorielle Unterstützung», die bei 0.79 liegt.
Eine weitere und neuere Meta-Studie, bei der 50 Einzelstudien ausgewertet wurden (Kulik und Fletcher 2016), bestätigt die Ergebnisse von vanLehn:
Students who received intelligent tutoring outperformed students from conventional classes in 46 (or 92%) of the 50 controlled evaluations, and the improvement in performance was great enough to be considered of substantive importance in 39 (or 78%) of the 50 studies. (…)
The evaluations show that ITSs typically raise student performance well beyond the level of conventional classes and even beyond the level achieved by students who receive instruction from other forms of computer tutoring or from human tutors.
(Kulik und Fletcher 2016, S. 67, 70)
Diese Ergebnisse sind also sehr positiv – auch wenn sich aus den Metastudien kaum herauslesen lässt, genau welche Systeme zum Einsatz kamen. Ergänzend kann noch ein Evaluationsbericht aus dem Hochschulkontext angeführt werden:
Johnson (Johnson 2016) berichtet in der Zeitschrift EDUCAUSreview über die Einführung der adaptiven Lernplattform Intellipath an der Technischen Hochschule Colorado. Der Prozess der Einführung dieser Plattform begann im Jahr 2012. Bis zum Jahr 2015 wurden etwa 800 Lehrpersonen (ca. 80% aller Lehrpersonen) für die Nutzung des Systems geschult und die Plattform für 107 Kurse mit mehr als 30’000 Studierenden eingesetzt. Dabei wurden u.a. folgende Ergebnisse beobachtet:
In a recent review of pass rate, final grade, and retention data, we identified Accounting I as the course with the highest pass rate increase since its launch on intellipath in October 2013. We compared pre-intellipath data from October 2012 through September 2013 to post-intellipath launch data from October 2013 through December 2015. The pass rate went up to an 81 percent average — a 27 percent increase. The course retention rate rose about 9 percent to 95 percent, while the final grade average increased by 10 percent, to 79 percent.
(Johnson 2016, Hervorhebung im Original)
Einzelne Evaluationsberichte finden sich auch für den Kontext Corporate Learning. Beispielsweise von area9learning. Eine Fallstudie von area9learning mit Hitachi Data Systems zeigt, dass ein weiteres Nutzenpotzenzial adaptiver Lernumgebungen besteht darin, Lernzeiten zu minimieren – beispielsweise beim Produktraining. Insbesondere für Unternehmen und Organisationen, in denen Lernzeiten immer auch Opportunitätskosten verursachen, ist dies ein wichtiger Aspekt. Durch die granulare Aufbereitung der Inhalte und das kontinuierliche Überprüfen von kleinsten Wissenselementen sowie durch das Zuweisen von passenden nächsten Inhalten / Aufgaben kann der Zeitaufwand – so das Ergebnis dieser einzelnen Fallstudie – um annähernd 50% reduziert werden (Abbildung 2):
Als Fazit aus den angeführten Meta-Studien und Evaluationen lässt sich also festhalten, dass der Einsatz von adaptiven Lernplattformen häufig zu deutlichen Verbesserungen im Hinblick auf den Lernerfolg, zu einer Reduktion von Abbrecher-Quoten und zu einer Reduktion von Lernzeiten beitragen kann.
Fortsetzung
Dieser Beitrag steht in einer Reihe mit den folgenden Beiträgen:
- Wie funktionieren adaptiven Lernplattformen? (Teil 1)
- Was sind Besonderheiten von E-Learning mit adaptiven Lernplattformen? (Teil 3)
Referenzen:
area9learning (2017): adaptive learning. Eliminating corporate e-learning fatique. area9learning. area9learning.com. Online verfügbar unter https://offers.area9learning.com/adaptive-learning-whitepaper.
Johnson, Constance (2016): Adaptive Learning Platforms: Creating a Path for Success. In: Educause Review. Online verfügbar unter https://er.educause.edu/articles/2016/3/adaptive-learning-platforms-creating-a-path-for-success.
Kulik, James A.; Fletcher, J. D. (2016): Effectiveness of Intelligent Tutoring Systems. In: Review of Educational Research 86 (1), S. 42–78.
VanLEHN, KURT (2011): The Relative Effectiveness of Human Tutoring, Intelligent Tutoring Systems, and Other Tutoring Systems. In: Educational Psychologist 46 (4), S. 197–221. DOI: 10.1080/00461520.2011.611369.
Am 25.09. + 02.10 + 16.10. 2018 findet das Online-Modul “Adaptive und KI-basierte Lernsysteme” im Rahmen unseres Zertifikatsprogramms “Digitale Bildung” statt. Dieser Beitrag ist ein kurzer Auszug aus dem Skript zu diesem Weiterbildungsmodul.
Fallstudie: Mobiles Lernen bei Aggreko mit Guidebook
In der aktuellen Ausgabe von Chief Learning Officer Magazine findet sich eine kurze Fallstudie dazu, wie Aggreko, ein Anbieter von mobilen Stromgeneratoren, mobiles Lernen in der eigenen Organisation umgesetzt hat. Zentraler Ansatzpunkt für die angestrebte Lernerfahrung und Lernumgebung der Mitarbeitenden war die Gestaltung einer mobilen App. Für die Entwicklung dieser App wurde die Plattform Guidebook eingesetzt.
Guidebook ist eine sehr einfach gestaltete Entwicklungsumgebung, über die in vier Schritten eine mobile App erstellt werden kann – ohne Programmierkenntnisse:
- Vorlage auswählen
- Elemente / Funktionen der App auswählen (drag & drop)
- Daten importieren
- App veröffentlichen
Auf den Webseiten von Guidebook sieht das sehr einfach aus. Ausprobiert habe ich es noch nicht, da die Kosten für den Service nicht gerade gering sind. Im FlexiPlan sind es ca. CHF 6 pro Mobilegerät pro Monat.
Davis, Walter (2018): A mobile-powered makeover. CLOMagazine, July / August 2018.
KI-basierte Lernplattformen als "Zukunft" des Lernens? (1/3)
Diversität und tutorielle Betreuung 1:1
Unsere (Bildungs-)Welt wird zunehmende bunter. Lebensläufe, Berufs- und Bildungsbiografien sind vielfältiger als früher. Die Heterogenität von Teilnehmenden an Bildungsangeboten nimmt zu. Dies gilt für Schulen genauso wie für Hochschulen, und für die Berufsbildung ebenso wie für die betriebliche Weiterbildung. Gleichzeitig ändern sich unsere Erwartungen an (Bildungs-)Dienstleistungen. Wir erwarten immer mehr, dass diese auf uns persönlich zugeschnitten sind und für uns persönlich passen.
Vor diesem Hintergrund ist auch das von Benjamin Bloom vor gut 30 Jahren formulierte “2-Sigma-Problem” relevant: verschiedene Studien hatten aufgezeigt, dass Lernende, die in einer 1:1 Situation von Tutoren individuell betreut wurden, bei Lernerfolgsüberprüfungen 2 Standardabweichungen besser abschnitten als Lernende in konventionellen Lernarrangements mit ca. 30 Lernenden pro Lehrperson. Oder anders gesagt: die individuell betreuten Lernenden waren im Durchschnitt so gut wie die besten 2% der Lernenden in (damals) konventionellen Lernarrangements (vgl. Abbildung 1).
Tutorielle Einzelbetreuung von Lernenden ist aber in der Regel kein tragfähiges bzw. bezahlbares Modell. Bloom und sein Forschungsteam haben sich daher der Suche nach Lehr-/Lernmethoden zugewendet, die zu ähnlich guten Ergebnissen in grösseren Lerngruppen führen (z.B. Kombinationen von Mastery Learning, partizipativen Lernformen und einer Ausrichtung des Lernens auf höhere kognitive Prozesse – vgl. Bloom et al. 1984).
Künstliche Intelligenz und adaptive tutorielle Systeme
Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in den Feldern künstliche Intelligenz und adaptive tutorielle Systeme befassen sich mit einem von Bloom nicht verfolgten Lösungsansatz: der Entwicklung von technischen Lösungen, die eine hochgradig lernwirksame und zugleich kostengünstige 1:1 Lernbegleitung für eine grosse Anzahl von Menschen ermöglichen – im Kontext der Schul- und Hochschulbildung genauso wie im Kontext der betrieblichen Weiterbildung.
Diesen Entwicklungen und den daraus hervorgegangenen Produkten wird weitherum grosses Nutzenpotenzial zugesprochen und sie werden zum Teil als «die Zukunft» des Lernens bezeichnet. Dabei kann adaptives Lernen durch verschiedene Typen von technischen Systemen unterstützt werden. Beispiele hierfür sind u.a. die folgenden:
- Lernkarteikarten-Systeme (z.B. ankiapp.com)
- Sprachlernapps & -services (z.B. duolingo.com)
- Plattformen für kuratierte und personalisierte Lerninhalte (z.B. degreed.com)
- Adaptive Lernplattformen / Intelligente tutorielle Systeme (z.B. knewton.com)
Im Fokus dieser kurzen Reihe von Beiträgen steht der zuletzt genannte Typ von Systemen. Dabei will ich den folgenden Fragen nachgehen:
- Wie funktionieren adaptive Lernplattformen? (Teil 1)
- Wie leistungsfähig sind diese Systeme? (Teil 2)
- Was sind Besonderheiten von E-Learning mit adaptiven Lernplattformen? (Teil 3)
Wie funktionieren adaptive Lernplattformen? Ein Blick unter die Motorhaube
Adaptive Lernsysteme (ALS) bzw. intelligente tutorielle Systeme (ITS) berücksichtigen die Lernenden in unterschiedlicher Weise. Frühere Systeme beschränkten sich darauf, den Lernenden Auswahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Inhalten zu bieten und die Lernaktivitäten zu beobachten. Auf dieser Grundlage konnten dann z.B. nächste Lerninhalte mit passendem Schwierigkeitsgrad angeboten werden. Neuere Systeme gehen darüber hinaus, indem sie verschiedene Modelle bzw. Komponenten integrieren: ein Domänen-Modell (Inhalte), ein tutorielles Modell (Lernprozess), ein Lernenden-Modell (Merkmale des / der Lernenden) sowie eine darüber gelegte Benutzeroberfläche.
Mittlerweile sind eine ganze Reihe von adaptiven Lernsystemen bzw. intelligenten tutoriellen Systemen verfügbar, die unterschiedliche Bildungskontexte adressieren: Schulen, Hochschulen und betriebliche Weiterbildung ebenso wie verschiedene fachliche Kontexte – von Mathematik und Naturwissenschaften bis hin zu Management-Themen.
Die verschiedenen, am Markt verfügbaren Systeme unterscheiden sich im Hinblick auf die Art des hinterlegten Domänenmodells, das tutorielle Modell und auch das Lernenden-Modell.
Beispiel ALEKS
Das ursprünglich aus dem Feld der Mathematik-Didaktik stammende Produkt ALEKS (Assessment and Learning in Knowledge Spaces) basiert auf der “Knowledge Space Theorie” (Theorie der Wissensräume) und damit verbundenen Ansätzen in der Didaktik der Mathematik. ALEKS wurde ab 1994 an der University of California, Irvine im Rahmen eines Forschungsprojekts entwickelt und 2013 von McGraw-Hill Education erworben. ALEKS bietet eine Reihe von Kursen für Schulen und Hochschulen an, insbesondere zu Mathematik, Statistik, Buchhaltung, Chemie sowie verschiedene Vorbereitungskurse auf Hochschuleignungstests (https://www.aleks.com/about_aleks/course_products).
Zentral für die Funktionsweise von ALEKS ist die Abbildung einer inhaltlichen Domäne (z.B. Grundlagen der Algebra) über einen Wissensraum, Eingangstest für einen Lernenden (vgl. Abbildung 2), Errechnung des wahrscheinlichsten Wissensstands (vgl. Abbildung 3) und darauf aufbauend die Entwicklung von einzelnen Themen (z.B. Gleichungen mit zwei Unbekannten).
Im Rahmen der individualisierten Diagnostik zum Wissensstand wählt ALKES jeweils die Frage / Aufgabe aus, die – auf Basis des aktuell berechneten Wissensstands – maximal informativ ist. Wenig informativ in diesem Sinne wäre eine Aufgabe, von der mit grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der / die Lernende sie bewältigen kann. Viel informativer ist dagegen eine Aufgabenstellung, für die diese Erwartung lediglich bei etwa 50% liegt. Auf der Grundlage der Antwort zu einer solchen Frage wird dann 1) der individuelle Wissensstand jeweils neu berechnet und 2) eine nächste passende Aufgabe zugewiesen.
Beispiel area9learning
area9learning grenzt sich bei der Darstellung der eigenen adaptiven Lernplattform deutlich von Plattformen wie z.B. ALEKS ab. Zum einen dadurch, dass einem “schliessenden Modell” (wie bei ALEKS) die Orientierung an einem “biologischen Modell” gegenüber gestellt wird. Zum anderen durch eine explizite Positionierung als Anbieter im Feld betriebliches Lernen / corporate learning. Insbesondere bei zwei Grundannahmen gibt es deutliche Unterschiede. Nick Howe (area9learning) zufolge
- macht es keinen Sinn, von «hart verdrahteten» Beziehungen zwischen Lernzielen / Lerninhalten (Voraussetzungen etc.) auszugehen; vielmehr gibt es viele, zum Teil auch unvorhersehbare Wege zum Lernziel;
- gibt es bei der Bestimmung des aktuellen Wissens- / Lernstands immer Ungenauigkeiten («Rauschen»): neues Wissen / neue Fertigkeiten kommen undokumentiert dazu (z.B. über informelle Lernaktivitäten und Erfahrungen ausserhalb der Plattform); bereits gelerntes Wissen geht wieder verloren und Fertigkeiten lassen nach; Lernziele können unscharf formuliert sein; die Zuordnung von Test-Aufgaben zu Lernzielen kann unscharf sein; usw.
Bei der Bestimmung des Wissensstands eines Lernenden werden daher zwei Aspekte berücksichtigt (vgl. Abbildung 4):
- zum einen der objektive Grad, zu dem die gegebene Antwort korrekt ist;
- zum anderen die subjektive Einschätzung dazu, wie sicher sich ein(e) Lerner(in) bei der Antwort ist.
Die Modellierung des Wissens eines Lerners erfolgt über Algorithmen, in die beispielsweise die folgenden Werte einfliessen:
- Numerischer Wert für die Bedeutsamkeit des Inhalts
- Punktwert für die korrekte / inkorrekte Antwort
- Punktwert für die Selbsteinschätzung
- Punktwert für die Zeitdauer der Bearbeitung, zusammengesetzt aus
- Zeitdauer für das Lesen und Beantworten der Frage,
- Zeitdauer für das Ausfüllen der Selbsteinschätzung,
- Zeitdauer für das Lesen des Feedbacks nachdem die Antwort bewertet wurde.
Dabei werden die der Berechnung zugrundeliegenden Modelle und Algorithmen immer wieder überprüft und neu kalibriert. Hierzu kann area9learning (wie alle anderen Anbieter von solchen adaptiven Lernplattformen auch) auf viele Millionen Datenpunkte zurückgreifen, die bereits aus der Vergangenheit vorliegen und kontinuierlich hinzukommen.
Um einen effektiven und effizienten Lernprozess zu gewährleisten, müssen zwei potenziell konfligierende Ziele ausbalanciert werden:
- zum einen soll die Zuverlässigkeit, mit der die Diagnose von Wissen / Kompetenz erfolgt, möglichst hoch sein bzw. bleiben; zusätzliche Fragen bzw. Aufgaben zum gleichen Thema erhöhen diese Zuverlässigkeit;
- gleichzeitig soll aber der Zeitaufwand für Training möglichst geringgehalten werden; der Verzicht auf weitere Fragen zum gleichen Thema ist hierfür der zentrale Treiber.
Das Ausbalancieren dieser beiden konkurrierenden Anforderungen erfolgt über verschiedene weitere Modelle und Algorithmen, beispielsweise die folgenden:
- die Modellierung von “vollständiger Bearbeitung” eines Themas / Inhalts;
- die Modellierung von “Kompetenz”;
- die Modellierung von “Vergessen”;
- die Modellierung von “benötigter Zeit” für das Bearbeiten einer Aufgabe.
Eine adaptive Lernplattform wie area9learning bestimmt also den nächsten Lerninhalt bzw. die nächste Lernaufgabe, indem verschiedene Anforderungen ausbalanciert werden (vgl. Howe 2017, S. 25):
- das Komplettieren / vollständige Bearbeiten eines bereits begonnenen Themas;
- ein möglichst hoher Zuwachs an Wissen;
- das Wiederholen von bereits Gelerntem, um neues Wissen langfristig zu verankern;
- die Förderung der Genauigkeit der Selbsteinschätzung von Lernenden bzw. die Stärkung von deren Zutrauen in die eigene Selbsteinschätzung zu eigenem Wissen / eigenen Kompetenzen;
- die laufende Verbesserung der Modelle und Algorithmen, um Rauschen / Ungenauigkeiten zu reduzieren;
- den Zeiteinsatz und Motivation der Lernenden.
Fortsetzung
Dieser Beitrag findet seine Fortsetzung in den beiden nachfolgend aufgeführten Beiträgen:
- Wie leistungsfähig sind adaptive Lernplattformen? (Teil 2)
- Was sind Besonderheiten von E-Learning mit adaptiven Lernplattformen? (Teil 3)
Referenzen:
ALEKS Corporation (2012): What makes ALEKS unique. ALEKS Corporation. Online verfügbar unter https://www.aleks.com/about_aleks/overview.
area9learning (2017): adaptive learning. Eliminating corporate e-learning fatique. area9learning. area9learning.com. Online verfügbar unter https://offers.area9learning.com/adaptive-learning-whitepaper.
Bagheri, Mehri Mohammad (2015): Intelligent and adaptive tutoring systems. How to integrate learners. In: International Journal of Education 7 (2).
Bloom, Benjamin S. (1984): The 2 Sigma Problem. The search for methods of group instruction as effective as one-to-one tutoring. In: Educational Researcher 13 (6), S. 4–16.
Howe, Nick (2017): Adaptive learning insights. A practical guide to the future of corporate training. area9learning. Chestnut Hill, MA.
Wilson, Kevin; Nichols, Zack (2015): The Knewton Platform. A General-Purpose Adaptive Learning Infrastructure. knewton.com.
Am 25.09. + 02.10 + 16.10. 2018 findet das Online-Modul “Adaptive und KI-basierte Lernsysteme” im Rahmen unseres Zertifikatsprogramms “Digitale Bildung” statt. Dieser Beitrag ist ein kurzer Auszug aus dem Skript zu diesem Weiterbildungsmodul.
Arun Pradhan zu Agilität, Lernen und lernenden Organisationen (Fortsetzung)
Im März hatte Arun Pradhan seine Artikel-Serie im Learning Solutions-Magazin zu Lernen, Agilität und Lernenden Organisationen mit einem längeren Beitrag eröffnet (vgl. auch diesen Post auf scil-aktuell dazu). Mittlerweile hat er drei weitere Artikel zum Thema veröffentlicht…
In seinem zweiten Beitrag (April) mit dem Titel “Learning agility: Citi’s campaign for continuous learning” berichtet er zu einer Initiative der Citibank. Den Rahmen dazu bildet das bekannte 70:20:10-Modell, das bei Citi unter dem Titel “3E – experience, exposure, education” läuft. Zwei Elemente waren zentral bei dieser Initiative:
- 30-day development challenge
Fünf Tausend Mitarbeitende in der Region Europa und Mittlerer Osten sollten 30 Tage lang jeden Tag eine kurze, ca. 10-minütige Entwicklungsaktivität umsetzen. Beispielsweise mit einer unbekannten Person sprechen, etwas nützliches im eigenen Netzwerk teilen oder über eine Herausforderung nachdenken. - manager cards
Manager erhielten Karten in der Grösse einer Bank- bzw. Kreditkarte mit drei Fragen, über die sie Begegnungen mit anderen in kurze Entwicklungsgespräche transformieren sollten.
Der Kampagne lag ein business case mit Fokus auf Kundenzufriedenheit zugrunde und sie wurde vom Management aktiv unterstützt – u.a. über kurze Videobotschaften der obersten Führungsebene. Gleichzeitig stellte die Kampagne aber auch eine Herausforderung für das L&D-Team dar. Sie forderte die L&D-Profis im Sinne eines “walk your talk” mehr in Bereichen wie beispielsweise Community-Management, Inhalte-Kuratieren, Analytics und Erfolgsmessung zu leisten.
Für seinen dritten Beitrag im Mai mit dem Titel “Learning Agility: Report From a Learning Agility Research Panel” hat Pradhan drei Personen interviewt: Dani Johnson (zuvor Bersin by Deloitte, jetzt RedThread Research), Aaran McEwan (Gartner) und Laura Overton (Towards Maturity). Seinen drei Gesprächspartnern hat er u.a. folgende Fragen gestellt:
- Wie können Organisationen agiler werden?
Durch durch mehr Feedback im Hinblick auf das Erreichen von Geschäftszielen. Durch den Einsatz von sozialen Medien, die die interne Kommunikation vereinfachen bzw. beschleunigen. Durch häufigeres Operieren in einem “Trial & Error-Modus”. - Welche Rolle spielen Führungskräfte dabei?
Eine sehr grosse. Indem sie Lernen / Entwicklung zu einer Priorität machen (z.B. Satya Nadela bei Microsoft). Indem sie L&D vom Bereich HR zum Bereich Unternehmensstrategie verschieben. Indem Leistungsindikatoren entwickelt und verwendet werden, die die persönliche Entwicklung, die Entwicklung von anderen und den Beitrag zu einer lernförderlichen Umgebung abbilden. - Was kann L&D tun?
L&D professionals need to recognize that learning happens all over, all the time, that they don’t have control, and that their job is to enable it where it’s happening rather than controlling how it’s done.
(…)
learning professionals should operate more like learning ‘concierges’ who recommend, guide, and provide advice to maximize learning.
In seinem vierten Beitrag, “Learning Agility: Failing to Learn” (Juni), schaut Pradhan auf das Thema Misserfolg / Misslingen.
Er betont die Bedeutung einer akzeptierenden und wertschätzenden Umgebung für die Leistungsfähigkeit von Teams; einer Umgebung, in der man sich mitteilen kann, über Herausforderungen sprechen kann – und auch über Misserfolge sprechen kann. Neben Hinweisen dazu, wie man aus dem “blame game” im Umgang mit Misserfolgen ausbrechen kann, führt er mit dem “Return on failure” ein weiteres überraschendes Konzept ein, das er dann noch weiter erläutert:
Freie Werkzeuge für Storytelling-Elemente – auch in Lernumgebungen
Am Knight-Lab der Northwestern University (Chicago) arbeiten Informatiker und Journalisten an innovativen medialen Formen und Werkzeugen. Unter anderem auch an Werkzeugen für “digital storytelling”. Digital storytelling kann aber auch ein Gestaltungselement von Lernumgebungen sein – daher sind die dort entwickelten, auf JavaScript basierten open-source Werkzeuge auch für Learning Professionals interessant. Folgende Werkzeuge stehen mittlerweile zur Verfügung:
- Timeline – zum Erstellen von interaktiven Zeitleisten
- Soundcite – für das Ergänzen von Textpassagen mit Audio-Elementen
- Juxtapose – für das Gegenüberstellen von Bildern (“vorher – nachher”)
- StoryMaps – zum Erstellen von Karten, über die Geschichten erzählt werden können
Weitere Werkzeuge sind als Beta-Versionen verfügbar:
- SceneVR – für das Umwandeln von Fotos / Panoramabildern in ein navigierbares 360°-Bild
- Storylines – ein Werkzeug zum Visualisieren von Daten (“data over time stories”)
Hogle, Pamela (2018): Use free interactive storytelling tools to engage learners. LearningSolutions.com, 13. Juni 2018
Bewegung im Markt für Lernplattformen: Degreed übernimmt Pathgather
Degreed übernimmt Pathgather und wird damit zum stärksten Spieler in der neuen Produktkategorie “Learning Experience Platform”. Nach eigenen Angaben hat das neue Unternehmen mehr als 200 Kunden und vier Millionen lizensierte Nutzer.
Eine Pressemitteilung zur Übernahme wurde heute veröffentlicht. Josh Bersin, Analyst und Beobachter des Markts für Lernplattformen, hat die Übernahme schon vor fünf Tagen in seinem Blog ausführlich kommentiert:
While historically the learning management system has been the core technology in this space, this is changing quickly. Employees want a consumer-like experience to learn (similar to YouTube or Netflix), and the LMS was never designed for this kind of use. (…) As a result, the LMS, which is actually an administrative and compliance application, is moving into the world of ERP. And a new category of software for employees has emerged, something I call the Learning Experience Platform (LXP). (…) One way to think about this market is that LXP software is to learning what middleware is to applications. (…) This is still a young market and I expect a lot of things yet to happen. As more learning moves to short form video (micro-learning) and more courses are authored by experts and employees, we can expect these LXP systems to “deliver” learning right into the platforms of work.
Neue digitale Lernumgebungen und Datenschutz
Nicht nur in europäischen Bildungsinstitutionen wird in der Folge der Gesetzgebung zum Datenschutz (DSGVO) über geeignete Datenschutzbestimmungen an Schulen und Hochschulen diskutiert. Lisa Ho, Campus Privacy Officer (vermutlich zu übersetzen mit Datenschutzbeauftragte) der Universität Kalifornien, Berkeley, hat in einem längeren Beitrag für das Magazin EDUCAUSEreview einen vergleichenden Blick auf verschiedene Rahmenmodelle zum Datenschutz geworfen (UC Learning Data Privacy Priniciples, IMS Learning Data Principles, Asilomar I Principles, etc.). Im Hinblick auf (cloud basierte) “Next Generation Digital Learning Environments” an Bildungsinstitutionen und die zunehmenden digitalen Datenspuren, die Lernende / Studierende dort hinterlassen, sieht sie fünf zentrale Bereiche, zu denen Regelungen formuliert werden müssen:
- Transparenz und Vorhersagbarkeit
Wie genau werden Ziele und Umsetzung der Datensammlung beschrieben und wie zuverlässig sind Aussagen zur Datennutzung? - Anonymität und Entscheidungsmöglichkeiten
In welchem Ausmass werden Daten anonymisiert und welche Möglichkeiten der Freigabe zur Auswertung (z.B. für wissenschaftliche Studien) gibt es? - Zugriffsrechte, Eigentumsrechte und Kontrolle
Wem gehören Daten, wer darf auf sie zugreifen und wer den Zugriff kontrollieren? - Verantwortungsvoller Umgang mit Daten und Steuerung
Welche Leitlinien für den verantwortungsvollen Umgang mit Daten jenseits von Datenschutzbestimmungen, beispielsweise zur Weiterentwicklung der Lehre, werden formuliert? - Sicherheit und technische Standards
Welche Mechanismen zur Absicherung von Daten und technischer Infrastrukturen werden umgesetzt?
Diesen Fragen gehen wir übrigens auch in unserem Zertifikatsprogramm “Digitale Bildung” nach. Im November führen wir dazu das Modul “Sicherheit, Datenschutz & Nutzungsrechte in der digitalen Bildung” erstmalig durch. Als Gastreferenten dabei sind Datenschutz- und Sicherheitsbeauftragte der im-c AG und Vertreter des Kompetenzzentrums digitallaw.ch.
Ho, Lisa (2017): Naked in the garden: privacy and the next generation digital learning environment. EDUCAUSEreview